Wunderkerzen sollen, wenn es nach DFB, Feuerwehr und Polizei geht am Millerntor nie wieder zu sehen sein. Der FC St. Pauli gab heute eine entsprechende Mitteilung auf seiner Homepage heraus, nach der Fans beim nächsten Heimspiel auf Wunderkerzen verzichten sollten. Man stehe unter Beobachtung. Jetzt gibt es Grund zur Annahme, der Sponsor, der bei diesem Spiel Knicklichter verteilen will, könnte auf andere Art mit dem plötzlichen Verbot zu tun haben, als manch ein Gedanke vermuten ließ.
Leuchtmittel waren immer beliebt im Stadion. Ob nun das gute, alte bengalische Licht oder die klassische Wunderkerze – mit all dem kann man herrliche Effekte erzeugen. Das geht auch mit Feuerzeugen, wie Konzerte von Take That und anderen beweisen, oder neuerdings mit Handydisplays oder Kamerablitzen. Am meisten Charme haben nach wie vor Fackel und Kerze. Der DFB stuft jene jedoch als Pyrotechnik ein, womit sie verboten sind. Zwar sind handelsübliche Wunderkerzen als Feuerwerk der Klasse I eingestuft und dürfen damit von Personen ab 3 Jahren benutzt werden, weiß Wikipedia, doch der DFB Irrsinn braucht solch Klassifizierung nicht, so lange er im Namen der Sicherheit verbieten kann.
Ich habe heute Nachmittag über die Sponsorenaktion zum nächsten Heimspiel geschrieben. Es wurde in einer offiziellen Mitteilung darum gebeten bei dem Spiel, bei dem der Sponsor Captain Morgan im ganzen Millerntor Knicklichter verteilen möchte, auf Wunderkerzen zu verzichten seien. Der Verein, so heißt es, stehe unter Beobachtung. Eine Verschwörung, das Wunderkerzenverbot, solle der Knicklichtaktion mehr Geltung verleihen, wollte ich gar nicht forcieren, lediglich auf einen mehr oder minder lustigen Zufall hinweisen.
Doch so zufällig wie es mit mangelndem Verschwörungswillen scheinen mag, ist es vielleicht gar nicht. Sven Brux schließt im inoffiziellen Fanforum einen Zusammenhang zwischen den Knicklichtern und dem Wunderkerzenverbot aus. Für den Gedanken, Wunderkerzen stören die Karpfenteichatmosphäre wird das stimmen, doch es könnte einen anderen Zusammenhang geben.
Aus vertrauenswürdiger Quelle habe ich erfahren, dass der Sponsor ursprünglich nicht mit Angler- respektive Militariazubehör plante, sondern mit – wer mag es erahnen – Wunderkerzen. 20.000 Spautzemännchen in einem Stadion, das stellte man sich schön, vielleicht werbewirksam, in jedem Fall genehmigungspflichtig vor. So kontaktierte man die Feuerwehr, um sich die Erlaubnis für diese Sponsoringaktion zu holen.
Nun zähle man 1 und 1 zusammen und sage mir, werden der Feuerwehr dank ihrer besonders guten Sicht nun ausgerechnet beim letzten Heimspiel gegen Regensburg Wunderkerzenbündel, geworfene Kerzen, etc. nicht entgangen sein, obwohl es bei nahezu jedem Flutlichtspiel zu Wunderkerzengebrauch kommt, oder mag da ein Werbepartner des FCSP tollpatschig und aus Versehen schlafende Hunde geweckt haben?
Es kann Zufall sein, dass die Feuerwehr unseren Club auf die Wunderkerzengefahren hinweist, nachdem sie um Erlaubnis gefragt wurden, es kann aber auch sein, dass die Idee des Sponsors Anstoß einer Dominoreaktion war. Choreoaktionen und ähnliches sollten bei den Fans bleiben.
Dieser Text erschien ursprünglich im transmitter 0313, der Programmzeitschrift des Freien Sender Kombinats Hamburg.
Nazis in den Fußballstadien
Ultras sind seit Monaten ein medialer Dauerbrenner. Als Ende letzten Jahres ein mittlerweile abgemildert verab- schiedetes Sicherheitskonzept des Ligaverbands diskutiert wurde, formierte sich schnell ein breiter Protest. Unter dem Motto „12:12 – Ohne Stimme keine Stimmung“ tat sich ein Großteil der Ultras und anderer Fans in Deutschland zusammen. Nur wenige Gruppierungen nahmen unter Verweis auf die dort gebildete Querfront nicht oder nur eingeschränkt teil. Die Protest- aktion war ein Erfolg und es waren auch die Fans, die zur Versachlichung der medialen Debatte um Gewalt, Randale, Pyrotechnik und sichere Stadien beitrugen.
„Ultrà“ ist ein Import aus Italien und gilt in Deutschland mittlerweile als größte Jugendkultur. Doch während sich in Italien der politische Straßenkampf ins Stadion verlagerte, gilt für die meisten deutschen Ultragruppen Politik als nicht mit dem Fußball vereinbar. Die wenigsten Ultragruppen in Deutschland positionieren sich politisch. Ausnahmen stellen beispielsweise Ultrà Sankt Pauli oder Filmstadtinferno Babelsberg als linke Gruppen, Inferno Cottbus als einzige offen rechte Gruppe*. Dabei ist der Einsatz gegen Kommerzialisierung und „für den Erhalt der Fankultur“ durchaus politisch. Darüber hinaus jedoch bedeutet die „unpolitische“ Schiene nur allzu oft eine Offenheit gegenüber rechtem Gedankengut.
Als die offen agierenden Neonazis und Reichskriegsfahnen aus den Fankurven verschwanden, kamen die Ultras in den Kurven auf; es wird ihnen als Verdienst angerechnet. Dabei ist der Zusammenhang gar nicht so deutlich: Das Erstarken der Ultrakultur fällt in den Zeitraum, in dem die extreme Rechte in Deutschland ihren Strategiewechsel vollzog. Die tumbe Naziglatze war verpönt und hatte ausgedient. Es galt, junge Menschen für rechten Lifestyle zu begeistern. Das Konzept der Autonomen Nationalisten entpuppte sich dabei als äußerst kompatibel mit der jungen deutschen Ultrakultur. Die gefühlte Einheitlichkeit der Fans im Protest konnte den politischen Konflikt unter den Ultras nur ähnlich notdürftig verschleiern wie das Schlagwort „unpolitisch“. Im Januar gab die linksorientierte Gruppe „Aachen Ultras“ (ACU) ihren Rückzug aus dem Stadion bekannt.
Seinen Anfang nahm der Aachener Konflikt im Sommer 2010. Eine kleine Gruppe hatte sich wegen unterschiedlicher Auffassungen von Ultrà von der Gruppe ACU abgespalten und binnen kurzer Zeit diverse Jungmitglieder der ACU um sich geschart. Die „Karlsbande Ultras“ (KBU) waren geboren. Dabei spielten auch politische Themen eine Rolle – so akzeptierten KBU Mitglieder die Neonazis am Aachener Tivoli als Teil der Fanszene, während ACU Nazis strikt ablehnten. Das Versprechen von Party und Gewalt schien vielen jungen Ultras attraktiver als kritisches Denken.
Die Trennung politisierte die Aachen Ultras zwar nochmals, sie führten aber fortan ein Randdasein. Die Karlsbande biederte sich schnell beim Rest der Fanszene an, darunter auch die extrem rechte Hooligangruppe Westwall, mit der es mittlerweile diverse Überschneidungen gibt. Von Doppelmitgliedschaften einzelner Leute über eine gemeinsame Zaunfahne bis zum Kampfsporttraining ist die offiziell „unpolitische“ Karlsbande mit den Nazihools vom Westwall verbandelt. Westwall besteht unter anderem aus Mitgliedern der seit 2012 verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“. Mitglieder der „Kameradschaft Alsdorf Eupen“ und weitere Einzelpersonen der extremen Rechten finden sich ebenso in der Aachener Hool-Kombo.
Die Aachen Ultras, die immer wieder auf die Verbindungen zwischen Karlsbande, Westwall und der Aachener Neonaziszene hinwiesen, galten am Tivoli schnell als Nestbeschmutzer und „szenespaltende Sambatruppe“. Von der Stadionöffentlichkeit und dem Verein wurde die politische Dimension des Aachener Fankonflikts stets heruntergespielt. Gerne wurde er zur Auseinandersetzung zweier gleichsam schuldiger Gruppierungen gemacht. Wenn politische Aspekte in die Beurteilung des Konflikts mit einflossen, war die Agitation der ACU das Problem, nie jedoch die rassistischen Einstellungen bei Teilen der Aachener Fanszene. Ähnlich sah das dem Vernehmen nach sogar der Fanbeauftragte. Der mangelnde Rückhalt sorgte letztlich dafür, dass die Gruppe ihr Engagement im Stadion eingestellt hat.
In Braunschweig versucht die Gruppe „Ultras Braunschweig 2001“ (UB01) nach vier Jahren Exildasein bei Wasser- und Handballspielen der Braunschweiger Eintracht wieder erste Schritte ins Fußballstadion. Der Konflikt in Braunschweig ist dem Aachener sehr ähnlich. Hier wurden Mitglieder aus der Gruppe UB geworfen, die eine neue Gruppe gründeten und rasch größer als die alte wurde. Auch hier wurden die Überbleibsel der alten Gruppe nach der Spaltung stärker (links) politisiert, während der Großteil der Braunschweiger Ultras sich in der „unpolitischen“ „Cattiva Brunsviga“ wiederfand. Die Gruppe Cattiva pflegt gute Kontakte zur Braunschweiger Hooliganszene, unter anderem der „Kategorie Braunschweig“ und den „Fetten Schweinen Braunschweig/Hungerhaken“ – ihrerseits Neonazis und mit der extremen Rechten verbandelt. Eine Broschüre der „Initiative gegen rechte Hooligan-Strukturen“ zeigt die Verbindungen der Braunschweiger Hooligan- und Neonazi-Szene. (Download: nonazisbs. blogsport.de).
Am Wochenende der Veröffentlichung dieser Broschüre besuchten UB01 gemeinsam mit anderen Ultras, Antifas und Journalist_innen das Heimspiel von Eintracht Braunschweig gegen VfL Bochum. Obwohl die Gruppe in die Nordkurve ging, also weit weg vom Braunschweiger „Szenebereich“, kam es zu Durchbruchversuchen von Kategorie Braunschweig und anderen Hooligans. Die Gruppe musste unter Polizeischutz mit einem Shuttlebus aus dem Stadion gebracht werden.
An viele Elemente von „Ultrà“ kann extrem rechte Ideologie gut anknüpfen, gerade bei politisch noch nicht gefestigten Jugendlichen. Das macht die „unpolitischen“ Gruppen so gefährlich und linke Gruppen so notwendig. Wenn sich, wie in Aachen, junge Menschen zum Programm der „Unpolitischen“, dem zwanglosen Gesaufe, Pöbeleien und ein bisschen Gewalt stärker hingezogen fühlen, kommen sie in Berührung mit rechtem Lifestyle. Das fängt bei Musik von den Onkelz und Frei.Wild im Auswärtsbus an und kann zum Wiesensparring mit der Kameradschaft Aachener Land führen.
Die Isolierung von Neonazis und extremen Rechten durch die Mehrheit der Fans ist notwendig, doch die meisten folgen der verinnerlichten Extremismustheorie. Sie nehmen vor allem die offene Agitation der „Linksextremisten“ als Problem wahr. Die Rekrutierung von Nachwuchs durch Rassisten und extreme Rechte geschieht meist im Verborgenen. Hinzu kommt ein verbreiteter Alltagsrassismus der Mehrheitsgesellschaft. Beides lässt extrem rechte Ideologie in den Augen der Masse zur Privatsache werden. Dadurch fehlt linken Gruppen die so wichtige Unterstützung. Dies und nicht die Pyrotechnik ist derzeit wohl die größte Gefahr in den Stadien derRepublik.
*Update 05.03.2013 – 19:07: Ursprünglich schrieb ich Inferno Cottbus sei die einzige offen rechte Ultràgruppierung in Deutschland. Das stimmt jedoch nur halb. Es gibt keine Stellungnahme der Gruppe, in der sie sich als politisch rechts äußern. Andererseits machen sie jedoch aus ihrer Einstellung keinen großen Heel, wie eine kurze Google Suche offenbart. Neben ihnen agieren auch die NS Boys (der Name ist kein Zufall, wenngleich er offiziell “nur” für “New Society” steht) aus Chemnitz durchaus offen rechts. Sie wenden sich sogar explizit in einer Stellungnahme gegen “Linksextremismus” im Stadion und ziehen daraus die Konsequenz selbst auch politisch handeln zu müssen. Wie im Text ersichtlich sind das nicht die einzigen Gruppen mit Neonazis in den Reihen und Verankerung in Neonazi-Strukturen, aber wohl die zwei herausragend offen auftretenden.
Gastbeitrag von Schuninio. Der Autor ist 36 Jahre und hat keine Angst in ein Fussballstadion zu gehen.
Ihr habt sicher alle am vergangenen Samstag die Diskussionsrunde im ZDF-SportStudio mit dem neuen DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig und Johannes „JoJo“ Liebnau von der Gruppe ChosenFew gesehen. Falls nicht könnt ihr den gesamten Beitrag hier bei Youtube oder in der ZDF-Mediathek anschauen. Aber Achtung(!) in der Mediathek vom ZDF konnte ich nur die Diskussionsrunde abrufen, aber nicht den eingespielten Beitrag und die Einleitung durch Moderator Sven Voss, auf die ich mich im Folgenden beziehe.
Auf den diversen SocialMedia-Plattformen hat diese Diskussionsrunde bereits einige lobende Worte hinsichtlich der differenzierten Betrachtung des Themenkomplexes „Gewalt im Stadion“ bekommen. Zu Recht, wie ich finde, denn sie hob sich wohltuend ab von den Runden im vergangenen Sommer, als jeder Sender seinen Beitrag zum Thema „Fussball und Gewalt“ abliefern wollte und viele Menschen, die nie ein Fussballstadion von innen gesehen haben, sich bemüssigt fühlten, ihre Meinung zum Thema in den Orbit zu blasen. Allerdings bleiben für mich auch bei dieser Diskussionsrunde – bei allem Lob für die sachliche Aufarbeitung – einige Fragen unbeantwortet bzw. werden mir da einige Themen nicht ausreichend behandelt.
Dass in einer halbstündigen Diskussion nicht alle Bereiche in dieser vielschichtigen Thematik abgearbeitet und bis ins Detail diskutiert werden können ist mir auch klar. Allerdings hätte ich nach der Ankündigung durch Sven Voss erwartet, dass wenn man die Themen „DFB-Strafen“ und „Nazis in den Fanblöcken“ schon plakativ durch Schlagzeilen benennt, diese auch in der Diskussion mit entsprechendem Aufwand behandelt werden. Ist das Thema „Strafen“ durch die Hinterfragung von „Stadionverbote als Mittel der Wahl“ noch ansatzweise gestreift worden, bleibt der Themenkomplex „Nazis in Fanblöcken“, den man mit der „ACU“-Schlagzeile anreisst, komplett aussen vor.
Gut man kann jetzt auf dem Standpunkt stehen, dass das Thema „Pyrotechnik“ und „Randale bei Fussballspielen“ die eigentlichen Kernthemen waren und damit eben kein Platz z.b. für die Aufarbeitung und Diskussion des Falles „Aachen Ultras“ war. Doch dann muss sich das ZDF und insbesondere die SportStudio-Redaktion inkl. ihrem Moderator Sven Voss die Frage gefallen lassen, warum baut man die Schlagzeile „Ende der Aachen Ultras – Kapitulation im Kampf gegen Rechts“ aus Spiegel Online in die Ankündigung der Diskussion mit ein, wenn man dieses Thema, welches durchaus eine Aufarbeitung durch eine Diskussion mit (einem) Verbandsoffiziellen nötig hätte dann komplett verschweigt? Dabei wäre gerade dieses Thema im Bezug auf die „Antirassismus“-Kampagnen von DFB und DFL im Kontext mit Stadionverboten für Fans, die sich gegen Nazis in den Fanblöcken engagieren interessant gewesen.
Also warum wird dieser Themenkomplex angeschnitten und dann nicht diskutiert? Wollte man nur knackige prägnante Schlagzeilen präsentieren, um die Zuschauer nach der drögen WettenDass-Sendung bei Stimmung zu halten oder hat man beim ZDF ein wirkliches Interesse an einer differenzierten Aufarbeitung des gesamten Themenkomplexes? Letzteres wird zweifelhaft, schaut man sich mal die restlichen präsentierten Schlagzeilen an. U.a. wird eine Schlagzeile vom Spiel Schalke 04 gegen Hannover 96 herangezogen, zu der sich ausser eine diffusen Meldung des sid kaum Informationen zum wirklichen Ablauf des Geschehens finden lassen. Trotzdem wird solchen „Argumentationshülsen“ der Polizei und der Politik Raum geboten, ohne dass man mal hinterfragt, was denn da wirklich los war. Okay, das kann man aufgrund der mangelnden Informationen vielleicht nicht, aber dann ist eine solche Schlagzeile echt nur ein Anheizer und keine wirkliche Diskussionsgrundlage.
Auch die Schlagzeile zur Strafe des DFB gegen den BvB taugt in meinen Augen nur als Appetitmacher, um die Zuschauer vor dem Gerät und beim ZDF zu halten. Anders ist es wohl kaum zu erklären, dass man nicht mal ansatzweise den Versuch der Aufarbeitung wagt und einmal kritisch hinterfragt, warum der BVB eine Strafe zahlen muss. Weil seine Fans Luftschlagen auf das Spielfeld geworfen haben? Bei dieser Aktion ist niemand verletzt oder geschädigt worden. Lediglich das Spiel muss für ein oder zwei Minuten unterbrochen werden. Ja, auch ich weiss, dass die Strafe zweigeteilt ist und auch wegen Feuerzeugwürfen beim Derby gegen Schalke ausgesprochen wurde. Man sieht: Differenzierung und sachliche Auseinandersetzung wäre doch schön gewesen, damit diese Schlagzeilen nicht nur für sich stehen und maximal für Diskussionen an Stammtischen über die „neuen Dimensionen der Gewalt“ taugen.
Nochmal: Natürlich war das Thema beim SportStudio „Gewalt im Fussball“ (und nicht „Sinnhaftigkeit der Strafen des DFB“) und das wird in der Sendung imho sehr sachlich und auch differenziert diskutiert. Auch die Stimmen vom DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig und dem Kriminologen Prof. Dr. Thomas Feltes, die keinen Anstieg der Gewalt in deutschen Stadien feststellen können, sind natürlich Wasser auf die Mühlen der Fanvertreter. Insofern ist die Diskussion natürlich ein Gewinn für die Argumentation der Fanvertreter. Insbesondere die sehr kritische Auseinandersetzung von Prof. Dr. Feltes mit den ZIS-Zahlen und die Darstellung der Verletztenzahlen aus der Saison 2011/2012, absolut und im Verhältnis auf ein Bundesligaspiel bezogen, zeigen endlich einmal, dass die Argumente der Fanvertreter in der Vergangenheit so weit von der Wahrheit nicht entfernt sind, wie es beispielsweise die Polizeivertreter gerne Glauben machen wollen. Auch der Hinweis von Prof. Dr. Feltes darauf, dass ein Großteil der Verletzten Opfer von Pfeffersprayeinsätzen gewesen sind, ist in meinen Augen ein Schlag ins Gesicht für die Scharfmacher unter den Polizeivertretern. Hoffentlich helfen solche Aussagen von anerkannten Gewaltforschern die Diskussion zu versachlichen und vielleicht endlich weg zu kommen von der populistischen Behauptung, dass in Fussballstadien eine Art Bürgerkriegsszenario, ausgelöst durch Fans, existiert. Und letztlich ist auch der Einspieler, der als Plädoyer gegen das Vermengen der verschiedenen Themen in dieser Diskussion gesehen werden kann, in meinen Augen ein Schritt in die richtige Richtung. Hier werden von den Medien endlich einmal (wenn auch zunächst nur sehr zart) die Themenkomplexe „Pyrotechnik“ und „Gewalt“ getrennt.
Aber und soviel Kritik muss erlaubt sein: Warum bringt man derartige „Stimmungs- und Scharfmacher“-Schlagzeilen in die Sendung mit ein, wenn man nicht auch diesen einmal sachlich auf den Zahn fühlt? Hier bleibt ein leicht fader Beigeschmack und hier hat das ZDF, hier haben alle Medien in meinen Augen noch viel zu tun, um das Thema „Fussball und seine Fans“ nicht wieder auf die populistische Schiene zu bringen, sondern diese zarten Versuche der differenzierten Berichterstattung beizubehalten.
Rassismus ist ein Problem der “Mitte” und muss als solches auch von dieser bekämpft werden. Die Extremismustheorie ist für vieles gut, nur nicht dazu, die Realität adäquat zu erfassen. Man spricht dort von einer demokratischen Mitte, die nicht näher definiert wird und von extremistischen Rändern, die sich, wie bei einem Hufeisen ganz weit von dieser Mitte entfernen und doch ganz nah beieinander liegen. Eine besondere Nähe war zwischen der irgendwie linken ACU und der “unpolitischen” Karlsbande nicht gerade zu spüren. Im Gegenteil, die große Gruppe, die sich gegen emanzipatorische Ansätze entschied und sich von ACU als Karlsbande abspaltete (ähnlich Cattiva / Ultras Braunschweig) firmierte zwar als “unpolitisch”, doch wie so oft in solchen Fällen gab es enge Verknüpfungen ins Milieu der extremen Rechten. Wenngleich die Karlsbande aus ACU hervorgegangen ist, ist sie die größte Ultragruppierung am Aachener Tivoli. Zuletzt wurde der Konflikt zwischen beiden Gruppen immer häufiger medial rezipiert. Doch selbst die geschaffene Öffentlichkeit vermochte nicht mehr zu helfen.
Update 14.01.2013 – 15:35: ACU lösen sich entgegen der ersten Formulierung hier nicht auf, sondern sie stellen ihre Aktivitäten im Stadion ein und besuchen keine Spiele mehr. Ob das nun dauerhaft oder temporär ist bleibt abzuwarten. Der Blogpost wird inhaltlich durch den kleinen Fehler leider kaum falscher. Was in Aachen geschieht bleibt eine Niederlage gegen extrem rechte Agitation.
Außerdem ist unten nun noch ein Artikel von ZEIT Online zu diesem Thema verlinkt. hk
Für manche mehr, für andere weniger überraschend lösen sichstellen die Aachen Ultrasaufihre Aktivitäten im Stadion der Alemannia Aachen erstmal ein. Ein Schritt der bedauerlich, aber verständlich ist. Nicht nur der Aachener Fall zeigt, dass Politik im Stadion genauso zu finden ist, wie in allen anderen Lebensbereichen. Gerade deswegen braucht es Fangruppen, die sich politisch klar positionieren und sich gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie etc. engagieren. Es stimmt bedenklich, dass am Tivoli eine solche Gruppe keinen Rückhalt erfährt und letztlich die “unpolitische” (also rechtsoffene bis -lastige) Karlsbande den Kampf gewinnt. Obwohl es bekannte Verbindungen zwischen Karlsbande und der Kameradschaft Aachener Land (KAL) gibt, ist es gelungen die Aachen Ultras als Nestbeschmutzer und Störenfriede erscheinen zu lassen. Ihre vermeintlich “linksextremen” Positionen, also sich einzusetzen gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und andere Formen der Diskriminierung, finden sich in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen, der Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Union und dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Es sind Positionen die von der Mehrheit der Gesellschaft getragen werden sollten.
Eine Gruppe, so klein wie ACU, braucht den Rückhalt aus der Fanszene ihres Vereins. Ein Konsens, der wie selbstverständlich herrschen sollte. Anderenfalls verkommt jede Positionierung gegen extrem rechtes Gedankengut bei gleichzeitigem Ausbleiben der Unterstützung derer, die den Kampf führen, zu bloßen Lippenbekenntnissen. Der Kampf gegen Rechts wird für die, die ihn ausfechten zu einer kräftezehrenden Aufgabe, an der sie letztlich scheitern müssen. Die Kritikwürdigkeit der Karlsbande, rechter Aachener Hooligans (z.B. Westwall) und der KAL ist offensichtlich und steht außer Frage. Die Kritikwürdigkeit der uneindeutigen Positionierung von Vereinsführung, Fanprojekt, DFB und DFL und dem Großteil der Aachener Fanszene gehört jedoch nochmals unterstrichen. Sie haben weggesehen, den Aachen Ultras eine Mitschuld gegeben, Maßnahmen auf beide Gruppierungen gleichsam angewendet oder sich erst gar nicht geäußert. Dadurch wurde der “Sieg” der extrem rechten Kräfte unter den Aachener Fans gegen die ACU erst möglich. Es ist das Versagen der Mehrheit, das Grundwerten des menschlichen Miteinander den Boden entzieht. Die größte Bedrohung für die Demokratie ist nicht eine fingierte Gefahr von Linksaußen, sondern die nie definierte “Mitte”, also die schweigende Masse.
Wir wünschen den Mitgliedern der ACU für die Zukunft alles Gute.
„Auf der Jahreshauptversammlung des Clubs hatte die Mitgliedermehrheit Ende November einem Präsidiumsantrag zugestimmt, nach dem die Vereinsbeiträge für die über 17.000 Mitglieder pro Monat um gut 20 Cent steigen und auch die Ticketpreise ab der kommenden Saison erhöht werden, um daraus die Wache zu finanzieren.“ (taz.de)
Erstmal ist davon auszugehen, hier handelt es sich, zumindest bezüglich der Mitgliedsbeiträge, um ein Missverständnis der taz. Im Antrag auf der JHV wurde die Verwaltungskostenpauschale erhöht. Es handelt sich dabei um einen quasi buchhalterischen Posten. Die Mitgliedsbeiträge in den Abteilungen sind nach Abteilungssatzungen den jeweiligen Abteilungszwecken zuzuführen.
Mit dem Errichten einer externen Wache würde erstmal durch die entgangene Polizeimiete ein Finanzierungsloch in der Gegengerade entstehen, das es zu stopfen gilt. Wir haben daher beschlossen, dass die Verwaltungskostenpauschale erhöht wird. Darüber werden den Abteilungszwecken fremde Kosten gedeckt. Der Mitgliedsbeitrag erhöht sich dadurch nicht automatisch, lediglich der Anteil der nicht dem jeweiligen Abteilungszweck zukommt wird größer, bei gleichbleibenden Beiträgen wird eben das zweckgerichtete Geld geringer. Eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge liegt im Zuständigkeitsbereich der Abteilungen.
Mit dem erhöhten Verwaltungskostenanteil soll die Miete für die Museumsfläche gedeckt werden, die Wache wird dadurch also nur äußerst indirekt finanziert. Anders verhält es sich mit den Ticketpreisen. Diese sollen tatsächlich zur Generierung von Finanzmitteln zum Bau einer externen Wache eingesetzt werden. Das war aber auf der Versammlung klar, wurde dort auf Nachfrage nochmals von Michael Meeske bestätigt und darf nun nicht allzusehr überraschen. Der Antrag war zwar schwammig formuliert, die Auswirkungen erwartbar. Wenn es in der taz nun heißt, die externe Wache würde teurer, dann war es ja sogar aus ökonomischer Vereinssicht genau richtig, den Antrag so zu stellen.
Natürlich ist es kritisch zu sehen, dass Fans des FCSP der Hamburger Polizei eine Wache finanzieren, was soll es daran auch positives zu sehen geben. Letztlich ist es ein Freikaufen aus einem etwas größeren Übel. Nach all den Erfahrungen, die Fußballfans im Allgemeinen mit der Polizei machen ist es natürlich eigentlich blanker Hohn, dass ausgerechnet jene nun direkt für bessere Infrastruktur bei der Polizei sorgen müssen. Auch gedenkt natürlich niemand, sollte sich der Wachenbau durch Mieteinnahmen amortisieren, den Fans den „Kredit“ zurückzugeben. Es ist unser Dankesgeschenk für Jolly-Überfall, Schweinske-Cup und all die anderen schönen Partys, die wir mit reaktionären Mittelstandskids in grün und blau feiern durften.
Grundsätzlich sollte der Bau einer Polizeiwache der öffentlichen Hand obligen. Windige Absprachen zwischen Expräsi Littmann und Stadtvertretern, sowie verworrene DFL Richtlinien führen nun zu einem Aushöhlen des Aufgabenbereichs der öffentlichen Hand. Der Bau einer Polizeiwache wird privatisiert, Wendt und Neumann tanzen vor Freude den Ententanz und wir müssen versuchen uns das ganze Elend damit schönzureden, dass wir unser Stadion in weit geringerem Maße mit der Polizei teilen, als ursprünglich gedacht.
Mit dieser widersinnigen Interpretation des Protestierens würden sich Castor-Demonstrationen stets in jenem Moment in Wohlgefallen auflösen, in dem das Ding auf die Gleise rollt. Atomkraft-Gegner hätten fröhlich lachend die Segel gestrichen, nachdem Schwarz-Gelb den Ausstieg aus dem Ausstieg bekannt gegeben hatte. Doch die Proteste blieben standhaft, denn sie hatten ein konkretes Ziel.
Ein Dresden-Fan redet sich in Wut (Frankfurter Rundschau)
Thomas Wendrich geht mit seinem 15-jährigen Patenkind regelmäßig Spazieren und berichtet vom Gespräch beim letzten Treffen über Gerechtigkeit, Rechtsprechung, Kollektivstrafen, Demokratie und die domestizierung des Ostfußballs. Mich stört zwar die ewige Rhetorik von „Kriminellen“, da das meines Erachtens zu kurz greift, dennoch werden Mechanismen sehr schön aufgezeigt und dem Jungen kann man zu so viel Scharfsinn nur gratulieren (wenn es sich denn so zugetragen hat).
Oh, mein sonst so friedlich Latein büffelnder Patensohn hat sich in Wut geredet! Es freut mich, dass er aufbegehrt und Schlüsse zieht! Ich frage ihn, ob er lieber den Richter beseitigen wolle, oder das Gesetz, wonach er geurteilt habe. Am besten beides! Denn was keinen Nutzen habe, solle auch nichts kosten! Wir lachen, und er entschuldigt sich leise.
Fußball und ich (mustERkennung) Bericht vom Unioner Gastspiel bei der Braunschweiger Eintracht aus der Sicht eines, den es nur selten ins Stadion treibt, der mit dem Sport Fußball als solchem wenig anfangen kann, der aber das Stadionerlebnis, die Kultur auf den Rängen, den gesamten irrationalen Quatsch von Kälte und Bier, kollektiven Emotionen und Heiserkeit zu schätzen weiß. Eine beinahe Außenperspektive auf die Kultur, die es zu schützen gilt und die eben aus mehr besteht, als Fahnen und Transparenten.
Bis zum Anpfiff sind es noch 2 Stunden, es ist kalt und nass, zum Glück kein Regen. Ich ahne ein knappes Kontingent an Karten und entscheide mich dazu, gleich die Karte zu kaufen, im Gästeareal zu warten, vielleicht ein Bier zu trinken. Es gab nur noch Sitzplatzkarten, genau, dass was ich nicht wollte, dass was ich wollte, ich wollte – nun endlich entschieden – die Lieder hören, die Mannschaft feiern, begeistert sein von einem Verein. Meinem Verein?
Den Ikens, Wenigs, Rosenfelds, Dierengas, Friedrichs, Neumanns, Schünemanns, Wendts, Jekys, Kuschelpunkers, Sparschälers etc. dieser Welt gewidmet – Krause, Wöckener, ihr seid ganz ok 😉
Kaum ist das Sicherheitspapier verabschiedet, kaum hat die öffentliche Meinung scheinbar erkannt, die Fans seien keine unkritische, dumpfe Masse, scheint es vielen ein Anliegen zu sein die Heterogenität der Besucher in den Stadien zu betonen. Unglücklicherweise jedoch wird der erst jüngst eingeschlagene Weg der sachlichen Debatte in diesem Zuge postwendend verlassen. Dabei wird zum Beispiel von „wahren Fans“ gesprochen. Die Mainzer Fangruppe „Meenzer Metzger“ spricht in einem offenen Schreiben an einen Protagonisten des neu entdeckten Themas, Harald Strutz, von einem Keil der zwischen die Fans getrieben würde und selbst im nicht gänzlich unkritischen Text des Abendblattschreibers Matthias Iken finden sich Elemente der Wahr-Falsch-These, wie wir die Kategorisierung von Fans in richtige und eben nicht so richtige mal nennen möchten. Das Bemerkenswerte an dieser These ist, das der erfolgenden Kategorisierung offensichtlich keinerlei belastbare Kriterien zugrunde liegen. Die Autoren dieser bestenfalls glossenjournalistischen Beiträge bewegen sich damit auf unterstem Stammtischniveau. Grund genug die Debatte um die Fans, Stadionerlebnis und Gewalt zu ihrer jungen Seriösität zurückzuführen. Zeit einen Blick auf die Stufen und Plastikschalen deutscher Stadien zu werfen und dabei auch die Selbstkritik nicht zu kurz kommen zu lassen.
Vorab gilt es festzustellen, dass die Unterscheidung in gute und schlechte, wahre und falsche Fans grundsätzlich wenig zielführend ist. Offensichtlich entsteht sie jedoch aus dem Gefühl, es gäbe so etwas wie qualitativ zu wertende Unterschiede zwischen Fans. Wird über Ultras berichtet, ist nicht selten die Rede davon, dass sie sich als die wahren Fans sähen, oder es gar seien. Diese Behauptung muss ja beinahe schon in einem Abwehrreflex all jener münden, die sich nicht als Ultras definieren und sich durch derartige Thesen in ihrer „Fanwürde“ verletzt sehen. Die Behauptung als solche ist aber so schon nicht haltbar. Gerade bei älteren Ultras, so ist es zumindest unsere Erfahrung, gibt es eine solche Haltung nicht. Am ehesten noch gibt es eine Erwartung für das eigene ungewöhnlich hohe Engagement eine gewisse Form von Respekt zu erfahren – nur stellt das keine Wertung von irgendetwas dar. Manch (junger?) Ultrà mag sich vielleicht auch für einen besseren Fan halten, das jedoch ist einerseits als Freiheit der Jugend zu verbuchen und sollte andererseits von einer pluralistischen Stadiongesellschaft ausgehalten werden können. Wohl wissend, dass sich das ungestüme Verhalten ohnehin in der Regel „herauswächst“.
Statt entsprechender Gelassenheit fußt bei manchem Fan und Journalisten ein halbes Weltbild auf dieser unzutreffenden Annahme. Das angenommene Besserfan-Dasein der Ultras wird diesen daraufhin unisono abgesprochen und stattdessen auf die Restmenge der Stadionbesucher umgemünzt. Distinktion at its best. Nun sind es wieder die Ultras, die den Frieden stören und wir sind wieder bei den 99% friedlicher Fans, denen die ewig meckernden und randalierenden Ultras ohne Einsicht gegenüber stehen. Dabei ist es schon erstaunlich, wie ambivalent und kontextabhängig die Wahrnehmung dieser Subkultur ist.
Wir möchten das nicht mal auf Ultras beschränken, zumindest am Millerntor wird es den Realitäten nicht gerecht. Hier engagieren sich diverse Fans im und um den Verein. Es gibt einen hohen Organisationsgrad, auch jenseits des „Gesangsteppichs“ mit verhältnismäßig langer Geschichte. Schon lange bevor mit USP eine neue Generation von Fans sich vor 10 Jahren anschickte, den Support im Stadion wieder zu beleben (ja, der war weitestgehend tot – sagen auch viele die mit der Supportform nichts anfangen können), waren Fans organisiert und brachten ihre Meinungen ein. Sogar Pyro soll es schon weit vor den ersten Anfängen der Ultrà-Kultur am Millerntor gegeben haben.
Im nunmehr verabschiedeten Sicherheitspaket der DFL gibt es unter anderem einen Punkt, der die Vereinsführungen anhält den Austausch mit den eigenen Fans zu suchen. Hier stellt sich grundsätzlich die Legitimationsfrage. Lange hat das aktuelle Präsidium gehadert, den Ständigen Fanausschuss als Gremium zu akzeptieren, dass die Fanszene repräsentieren kann und auch jetzt gibt es wieder Gedankenspiele einen Fanbeirat einzurichten. Wie ein legitimes Gremium aussehen kann und soll, dazu gibt es freilich wenig substantielle Ideen. Unser Präsidium ist legitimiert für unseren Verein zu handeln, da wir es gewählt haben. Durch den zurückgezogenen Abwahlantrag gegen einen Vizepräsidenten ist unser Präsidium als Ganzes zur Amtshalbzeit ein weiteres Mal legitimiert worden, so man den Antrag als „Vertrauensfrage von unten“ sieht. Meinungen dadurch sei vieles kaputt gegangen sind unseres Erachtens nicht haltbar. Stattdessen kann man die Vorgänge als „reinigendes Gewitter“ werten, aus dem der Verein in seiner Gesamtheit gestärkt hervorgegeht – wenn denn daraus auch die richtigen Schlüsse gezogen werden.
In Demokratien legitimieren sich Regierungen im Spannungsfeld von Effizienz (Output-Legitimität) und Inklusion (Input-Legitimität). Großbritannien galt lange Zeit zu Recht als das klassische Paradebeispiel für eine Mehrheitsdemokratie, deren Regierungen sich via Effizienz legitimieren. Deutschland oder Österreich hingegen sind eher konsensuale Demokratien. Legitimation wird hier stärker über Inklusion und Partizipation erreicht, als über Effizienz.
Littmann war ein Präsident, der seine Legitimität über die Effizienz bezogen hat. Anstatt möglichst alle Meinungen einzuholen, war er ein Macher und ließ sich an seinen Taten messen. Er hatte Freunde und Feinde, Fürsprecher und Gegner, das liegt in der Natur der Sache. Als erster Präsident des FC Sankt Pauli seit Jahren hat er es aber geschafft, ein Stadionbauprojekt anzustoßen, das Realität werden sollte. Das legitimierte ihn – neben der Wahl versteht sich. Das jetzige Präsidium des FCSP ist da gegenteilig einzuordnen. Es hat keinen „starken Mann“ in erster Reihe stehen. Präsident Orth wird gerne profillos genannt. Mag sein, dass das stimmt. Was in jedem Fall stimmt, ist dass dieses Präsidium die Partizipation und die Inklusion braucht. Es muss seine Vereinsmitglieder anhören, sie mitnehmen. Das Präsidium versteht sich als Team und es tut gut daran, das Team nicht nur mit 5 Spielern auflaufen zu lassen, sondern Verein und Umeld mitzunehmen. Nicht zuletzt deswegen ist es so interessant, wie die Kommunikation zwischen Basis und Führungsetage funktioniert.
Die Fragen, die sich also stellen sind, wie kann eine Fanvertretung legitimiert sein und inwiefern muss sie es überhaupt? Wie können, sollen und dürfen Fans ihre Interessen artikulieren und wie sind sie im Bild, in dem das Präsidium als Regierung gedacht wird einzuordnen?
Ein Aspekt, warum heute überhaupt Konflikte auch innerhalb der Vereine und zwischen Vereinsführungen und Fans entstehen ist in einem grundsätzlichen Wandel zu begründen. Früher galten Vereine hauptsächlich aktiven und ehemaligen Sportlern. Die Clubführung handelte normalerweise weitestgehend autonom. Die Fans, so überhaupt vorhanden, standen klar außerhalb des Vereins und hatten kaum eine Stimme. Heute sind Vereine gewachsen. Sie sind, gerade im Profifußball, mittlere bis große Wirtschaftsunternehmen, mancherorts noch auf Vereinsbasis, anderenorts als „komplette“ Kapitalgesellschaften. Dort, wo es den Verein noch als einen solchen gibt, stellen Fans zumeist die Mehrheit der Vereinsmitglieder. Da der Verein die Gesamtheit aller Mitglieder repräsentiert, sind Faninteressen somit automatisch auch Vereinsinteressen und Fans sind daher berechtigt und in der Lage, ihre Stimme zum Wohle des Vereins zu artikulieren. Die Zuschauerstruktur in den Stadien ist nicht mehr so proletarisch geprägt, wie in den 1980ern. Stattdessen hat sich der Fußball vom „Volkssport“ zum „Gesellschaftssport“ gewandelt. Viele Mitglieder und Fans sind hoch qualifiziert und es aus ihren Fangruppierungen gewohnt, Prozesse selbst zu gestalten. In Teilbereichen organisieren (und analysieren) einfache Fans und Mitglieder heute besser als Vereinsführungen mit hauptamtlichem Unterbau. Hieraus leitet sich ein höherer Wille zur Partizipation und eine geschärftes Problembewusstsein ab, das auch zu Unwohlsein bei vermeintlich oder tatsächlich vorhandenen Unzulänglichkeiten der Clubs und Verbände führt.
Zumindest im Fall Sankt Pauli spielt natürlich auch die historische Komponente in die Kultur von Fanorganisation hinein. Aus Hafenstraßenbesetzerzeiten sind es Fans am Millerntor traditionell gewohnt nichts geschenkt zu bekommen und mit wenig Mitteln möglichst viel zu erreichen. Aus dieser Do-It-Yourself-Kultur bildeten sich einige Organisationstalente heraus. Auch die Ultràbewegung ist stark vom „DIY“-Ansatz geprägt, was insofern auch als eine Ursache des Partizipationswillen gedeutet werden könnte.
Traditionell ist eine Beteiligung der Mitglieder an der Führung des Vereins nur über die – normalerweise jährlichen – Mitgliederversammlungen vorgesehen. Hier können Vereinsorgane wie Präsidium und Aufsichtsrat gewählt und abbestellt, außerdem der Vereinsführung bindende Aufträge erteilt werden. Eine Beschränkung der Inklusion des Mitgliederwillens auf diese Möglichkeiten erscheint aber immer weniger angemessen zu sein. Für eine so relativ selten stattfindende Veranstaltung sind die Geschwindigkeit des Wandels, die Vielzahl und Vielfältigkeit der innerhalb eines Jahres auftretenden Herausforderungen zu hoch. Auch sind viele Themen so komplex, dass eine ausreichend sorgfältige Diskussion den Rahmen einer Versammlung sprengt.
Damit kommt einfachen Mitgliedern und Fans auch außerhalb der Mitgliederversammlungen keine Bittstellerrolle zu. Ganz im Gegenteil: die Vereinsführung sollte die Partizipation der Mitglieder und tlw. auch des weiteren Umfelds an der Erarbeitung und Entscheidung von Themen fördern, sind sie doch auf den Input von Fans angewiesen. In der öffentlichen Wahrnehmung wird dieses Verhältnis leider gerne verdreht.
Unabhängig von einer Vereinsmitgliedschaft sind Fans immer und in erster Linie Fans und stellen damit für den Verein das dar, was die Gesellschaft für den Staat ist. Sie sind von Entscheidungen betroffen und sie halten den Verein mit ihrem Kapital und natürlich ihrer Hingabe am Leben.
Zwischen Staat und Gesellschaft sollen Interessenverbände vermitteln. Die Führungsetage eines Fußballvereins braucht wie die Regierung eines Staates die Expertise und die Informationen aus der Gesellschaft um überhaupt angemessen handlungsfähig zu sein. Ferner wird die Gesellschaft über Interessensvertretungen in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Natürlich sind im Staat längst nicht alle in der Gesellschaft vertretenen Interessen organisiert und nicht alle Interessenvertretungen finden gleichen Zugang zur Politik. Dennoch darf gelten, dass je mehr Interessen angehört werden, desto legitimierter ist die Politik von Seiten der Gesellschaft. Dabei ist es beinahe paradox, dass durch dieses Mehr an Teilhabe die Demokratie in der Wahrnehmung geschwächt wird. Die Transparenz nämlich sinkt durch diese Inklusion. Die Aggregation von Interessen widerspricht dem Grundsatz einer liberalen Demokratie („One Man, one Vote“), denn die Interessenvertretungen freilich sind nicht immer durch Wahlen legitimiert. Sie haben jedoch Ressourcen, wie die vertretenen Mitglieder im Rücken. Daraus resultiert ein nicht gänzlich aufzulösendes Legitimationsdilemma, das lediglich durch möglichst große Transparenz und offenen Interessenvertretungen reduziert werden kann. Grundsätzlich ist es erstmal gut, wenn aus der Gesellschaft Interessen in die Politik getragen werden und die Entscheidungsträger so aus ihrer Informationsblase herausgerissen werden. Beim Fußball verhält sich das nicht anders.
Dass Ultras und andere aktive Fans sich organisieren und ihre Interessen einbringen ist also völlig legitim und sogar wünschenswert. Beim FC St. Pauli ist das Legitimitätsdilemma darüber hinaus bei weitem nicht so groß, wie es im Staatsbeispiel sein kann. Es ist selbsterklärend, dass unser Präsidium nicht für jeden Furz 19 Millionen angebliche Sympathisanten befragen kann, die mal irgendwann gesagt haben, dass sie den FC Sankt Pauli ja ganz töfte fänden. Wer sich aber zumindest durch unregelmäßige Stadionbesuche einen Fan nennt, hat alle Mittel und Wege seine Stimme in die Waagschale zu werfen. Die Wege beim FC Sankt Pauli sind sogar so kurz, dass alle dem Präsidium Emails schreiben können, um ihre Meinung kund zu tun. Erstaunlicherweise sind die, die das tun, in der Regel an einer Hand abzuzählen.
Im Allgemeinen können sich ALLE Fans organisieren zumal das mit fast keinen Hürden verbunden ist. Es braucht 5 Gleichgesinnte und insgesamt 30 Euro Jahresbeitrag um einen Fanclub zu gründen der den Fanclubsprecherrat wählt. Hier findet direkte demokratische Legitimierung der eigenen Interessenvertretung statt. Mit dem FCSR steht allen Fanclubs ein zuverlässiger Ansprechpartner zur Verfügung. Es ist also nicht schwer sich zu organisieren und durchaus von Vorteil. Organisierte Fans sind aber (wir wiederholen uns, weil wir es müssen) keine besseren Fans als der Sympathisant, der noch nie am Millerntor war – der Einsatz für den Verein bleibt jedem überlassen und daraus leitet sich keine Wertigkeit ab – aber sie sind besser informiert, besser vernetzt und im Zweifel auch eher von negativen Entwicklungen betroffen. Und ja sie tragen einen erheblichen Teil zum Stadionerlebnis (ob sicher oder nicht) bei. Sie sind dabei genauso Bestandteil wie der Sitzplatzfan (und sitzen und organisiert sein schließt sich nicht aus, wie beim FCSP nicht nur die „Oldtras“ und die „Desorganisierten“ beweisen), der lediglich mit seinem Fanschal in das Stadion kommt, nur ist ehrlicherweise letzterer eventuell einen Tick leichter zu ersetzen – das will aber ja niemand!
Durch ihr Wissen und ihren Erfahrungshorizont, durch ihre lebendige Diskussionskultur und auch ihre Heterogenität, sind Fanstrukturen wie der StFA, der in toto eine ganze Menge regelmäßiger Stadionbesucher (Heim wie Auswärts) und Vereinsmitglieder repräsentiert, durchaus legitime und wichtige Ansprechpartner für die Vereinsführung. Ein Fanbeirat, wie er von unserem Präsidenten angeregt wurde, sollte entsprechend nicht von oben installiert werden. Wenn der Bedarf gesehen wird sollte er aus der Mitte der Fans entwickelt werden. Die Kanzlerin bestimmt ja auch nicht den DGB-Vorsitzenden. Dass also ein Votum eines Gremiums, dass eine große Menge von Fans und Mitgliedern vertritt mehr Gewicht hat, als eine Einzelmeinung liegt in der Natur der Sache. Ein solches Gremium muss nicht die Meinung aller vertreten, kann es auch gar nicht. Das Schöne an einer pluralistischen Gesellschaft ist doch die Vielfalt, auch die der Meinungen und Interessen. Die Herausforderung für unser Präsidium ist es, möglichst vielen dieser Interessen gerecht zu werden. Wenn es aber nur die Verfechter einer „Interessenrichtung“ schaffen sich und ihre Anliegen zu organisieren, dann ist es weder hilfreich noch zeugt es von sonderlich großem Demokratieverständnis, diesen dann den Status eines vollwertigen Mitglieds der Subgesellschaft abzusprechen. Es mag ja sein, dass die aktive Fanszene (wie auch immer man sie fassen mag) in der Minderheit ist, aber es ist nicht ihre Schuld, dass große Teile der restlichen Fans sich und ihre Interessen nicht artikulieren und organisieren können oder wollen. Es ist dann auch unangemessen und undemokratisch, der „schweigenden Masse“ eine bestimmte, homogene Meinung zuzusprechen, wie es gerne von Vereinsführungen und Verbänden zur Begründung der Legitimation ihrer Entscheidungen getan wird. Wer sich nicht wahrnehmbar artikuliert, enthält sich seiner Stimme.
Noch ein Mal: niemand ist besserer oder schlechterer Fan. Niemand schreibt jemandem vor, wie Fansein auszuleben sei. Nur darf sich auch niemand beschweren, dass sich interessierte Fans zusammenschließen und dadurch ein größeres Pfund in der Hand haben. Wo bleibt die Gründung der deutschlandweiten Liga der außergewöhnlichen Klatschpappenfans gegen Pyrotechnik oder so was? Niemand würde sich dagegen wehren, im Gegenteil das wäre total erfreulich.
Nur zeugt es eben von schlechtem Stil, wenn der eigene Frust, die eigenen Komplexe und die Paranoia auf eine Gruppe projiziert werden. Andere Fans sind weder weniger echt noch unter einen generellen Kriminalitätsverdacht zu stellen. „Wer nichts zu verbergen hat“-Rhetorik sollte sich eigentlich mittlerweile selbst als Unterkomplex enttarnen. Es ist doch schon erstaunlich, dass gerade das bürgerliche Spektrum seine eigene Herrschaftsform ganz offensichtlich nicht verstanden hat. Bezeichnend jedoch, dass diejenigen, die sich demokratisch organisieren und verhalten, aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden sollen.
Die Demokratie ist mitnichten perfekt. Sie ist wohl besser als jede Diktatur, aber sie hat ihre Schwächen und sie produziert ihre Ungerechtigkeiten. Die Revolution ist derzeit aber nicht in Sichtweite und so hat man sich wohl oder übel erst mal mit ihr zu arrangieren. Aktive Fans und Ultras spielen ihre Rolle in der Demokratie besser als mancher Innenminister, der in den 1970ern mal ne Mark für den Stehplatzbereich bei Bayern Hof bezahlt hat aber ganz offensichtlich gar keine Ahnung vom Thema seiner Wahl hat, mancher Polizeigewerkschaftler, der als Scharfmacher der Nation eine ruhigere Debatte fordert oder mancher Journalist, der sich ernsthaft darüber wundert, dass eine Vereinsführung das Votum seiner Mitgliederversammlung respektiert. Es stünde all jenen doch sehr gut zu Gesicht, sich ein Beispiel an diesem Demokratieverständnis zu nehmen. Das ganze Gejammer und Gewimmer um wahre Fans ist nicht weniger als ein Zeugnis eines mangelhaften Demokratieverständnisses. Vielleicht ist es geprägt vom politischen Programm des Neoliberalismus, in dem in Extremismustheorie, Leistungswahn und „Sozialschmarotzer“-Denunziation eine Absage an den Pluralismus ihren Ausdruck finden.
Gemeinsam Laut: Fußballfans
Beim FC Sankt Pauli mag die Organisation besser funktionieren als anderswo. Ein Rummenigge wird vermutlich nie einen Fan als Gesprächspartner auf Augenhöhe akzeptieren. Hier liegt es an den Fans sich weiter zu organisieren, sich zu koordinieren und für ihre Interessen einzustehen. Wenngleich es genug Probleme in den Fanszenen und mit Fans gibt, hier seien nur die Kurven genannt, in denen Nazis geduldet oder gar hofiert werden, es hat sich doch gezeigt, dass Fußballfans heute in der Lage sind sich zu organisieren und willens sind an demokratischen Prozessen zu partizipieren. Wer einen solchen Organisationsgrad für sich nicht will, wer es vielleicht gerade mal schafft alle vier Jahre sein Präsidium zu wählen, wenn überhaupt, der sollte sich nicht darüber beschweren, dass seine Stimme nicht gehört wird. Denn eins sollten doch gerade Fußballfans praktisch seit jeher wissen, gemeinsam sind sie lauter!
Gestern traf sich der Ligaverband zu seiner Jahreshauptversammlung und gab dort 16 Anträgen zur Umsetzung der im als „Sicheres Stadionerlebnis“ bekannt gewordenen Papier benannten Punkte statt. Das Thema kochte dieser Tage nochmals hoch, nachdem der Protest der Fans zuvor für ein gut wahrnehmbares, durchgängiges Rauschen im Blätterwald gesorgt hatte. Dabei rückte vor allem der Druck der Politik in den Fokus – damit ist der Sachverhalt nichtmal im Ansatz ganzheitlich erörtert. Wenn etwa Stefan Engert in zweiBlogposts beim Sicherheitspolitik-Blog seine Politologensicht auf den Diskurs zum Besten gibt liegt er nicht falsch, aber auch noch nicht richtig richtig:
„Das Dilemma der Clubs und des DFL ist, dass der Sprechakt im sogenannten ‚Schatten der Hierarchie‘ erfolgt ist und damit ein Lehrstück von Governance ist: Kommt es zu keiner (horizontalen) Selbstregulierung durch die DFL, die Clubs und Fanszene bis Jahresende (d.h. am 12 Dezember), wird der Staat selbst die Spielregeln definieren und (hierarchisch) außergewöhnliche Maßnahmen wie vermutlich die „Abschaffung der Stehplätze, personalisierte Tickets oder reduzierte Kartenkontingente“ sowie drastische Geldstrafen für die Vereine, Geisterspiele oder den Komplettausschluss der Gästefans durchsetzen, um die Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum Stadion wiederherzustellen[…]“ (Stefan Engert)
Auf gut Deutsch bedeutet das, weil die Politik gesagt hat, es gibt ein Sicherheitsproblem, wird die faktische Existenz eines solchen unbedeutend und Vereinen und Verbänden bleibt keine Wahl, als sich durch sicherheitspolitische Eigeninitiative dem Klammergriff des Staates zu entziehen – anderenfalls ist die eigene Autonomie dahin. Den populistischen Druck der Innenminister zu benennen ist wichtig. Es darf hierbei auch nicht unter den Tischen fallen gelassen werden, dass Wahlkampfgetöse und Ablenken vom Versagen beim NSU-Komplex zum Schwenk aufs vermeintliche Sicherheitsproblem im Fußball motivieren. Dennoch wird diese Betrachtungsweise dem Thema nicht vollumfänglich gerecht.
Mit der „Schatten der Hierarchie“-These kann gewiss einiges erklärt werden, doch der Komplexität des Sachverhalts wird dieser Ansatz nicht gerecht. Es scheint angebrachter, dieses Muster in das vielschichtige Akteursnetzwerk einzuweben, aber den Blick eben zu erweitern. Welche Akteure sind also in dieser Debatte aus welchen Gründen wichtig und was sind ihre Partikularinteressen? Bereits erwähnt haben wir die Politik, die DFL, die Vereine und die Fanbasis. Dazu kommen DFB und Polizei(-gewerkschaften).
Von Seiten der Politik, allen voran der Innenminister, werden die Rufe nach mehr Sicherheit in den Stadien immer lauter. Dass sie dabei viel Populismus und wenig Empirie in die Arena werfen ist hinlänglich bekannt und belegt, das tut effektiv aber nur bedingt zur Sache, denn der Druck ist vorhanden und durchaus wirkmächtig. Zwar machen sie sich dadurch medial angreifbar, aber das sind sie ja ohnehin. Das Versagen beim NSU-Komplex, über den zwar nachwievor kritisch berichtet wird, veranlasste das öffnen einer Baustelle, die so nicht gegeben ist. Das erklärt mitunter auch, warum das Problem so groß sein soll, obwohl selbst die unbrauchbaren Zahlen der ZIS keinerlei Anlass zur Panik bieten. Dummerweise ist das leider völlig egal, weil sich der Großteil der dummdeutschen Bevölkerung gar nicht so intensiv mit den Themen auseinandersetzt. Deswegen reichen ein paar Pyrobilder und die Forderung nach mehr Sicherheit um ein riesiges Fass aufzumachen. Deswegen reichen ein bis zwei Entlassungen von Verfassungsschutzamtschefs und eine Rechtsextremismus-Verbunddatei um die empörten Massen zu befriedigen. Ich würde mich freuen hier Unrecht zu haben, der Eindruck drängt sich allerdings auf.
In ein ähnliches Horn blasen die Polizeigewerkschafts-Chefdemagoge Rainer Wendt und seine Geschwister im Geiste. Forderungen nach finanzieller Beteiligung an Polizeieinsätzen, zusätzlichen Befugnissen und immer abstrusere Bedrohungsszenarien zeichnen die wahrgenommene Arbeit der Polizeilobbyisten aus. Interessant diesbezüglich ist, dass die Polizeipraktiker da durchaus andere Ansichten vertreten. Von einem geschlossenen Akteur Polizei mit klaren Interessen kann also nicht die Rede sein. Trotzdem waren es nicht die differenzierten Stimmen aus der Polizei, die maßgeblich in die Debatte eingeflossen sind, sondern immer wieder dieser Populismus.
Wenn Rauball nun ernsthaft glaubt, die Debatte werde mit dem Implementieren des Konzepts ein Ende finden, dies gar von Innenministern und Polizei fordert, lässt er einiges außer Acht. Es wird stets irgendwo gewählt, weitere Skandale um den NSU sind nicht unwahrscheinlich und andere Probleme von denen es abzulenken gilt sind ohnehin stets zu erwarten. Der Fußball ist in Deutschland populär, wie nie zuvor und damit ein stets bewegendes gesellschaftliches Feld. Derart positioniert wird der Fußball stets auch als Plattform profilierungssüchtiger Politiker missbraucht, um einmal den Jargon der Populistenfraktion bezüglich Fanthemen aufzugreifen.
Jedoch sind nicht nur Ablenkung und Wahlkampf treibende Interessen für die Exekutive sich in die Sicherheitsdebatte beim Fußball einzumischen. Etwas vage ausgedrückt kann hier vom neoliberalen Geist unserer Zeit gesprochen werden, der sich im Sicherheitsdiskurs wiederfindet. Die kontextuale Einbettung diesbezüglich scheint zumindest nicht allzu weit hergeholt. Der Fußball eignet sich wie nichts anderes als sicherheitspolitisches Testfeld. Es kommt mit Sicherheit 😉 nicht von ungefähr, dass viele Methoden und Taktiken der Polizei zuerst im Rahmen von Fußballspielen getestet werden. Mit den Ultras steht der Polizei die größte in Jugendsubkultur in Deutschland zur Verfügung, die sich in ihrer nicht sonderlich autoritätshörigen Grundausrichtung nicht nur perfekt zur für Experimente eignet, sondern auch eine faktische Bedrohung darstellt. Wenngleich der Verweis auf den arabischen Frühling, besonders den Fall Ägypten, wo Ultras federführend an der Revolution beteiligt waren, nicht zum Vergleich taugt – der soziopolitische Kontext ist ja doch sehr verschieden. Gerade bei Vereinen, die nicht Sankt Pauli heißen, gibt es eben noch viel des sogenannten Prekariats in den Kurven. Bei Metalust und Subdiskurse wird dieser Gedankenstrang schön entfaltet. Wäre, nebenbei bemerkt, ein spannendes Thema für eine wissenschaftliche Annäherung.
Genau dieses Prekariat ist ja auch betroffen vom viel zitierten Stehplatzverbot. Die Erfolge für mehr Sicherheit sind, so es sie gibt, äußerst marginal. Der Einfluss auf die Stimmung und die Zuschauerstruktur ist da schon größer. Es kann daher nicht das Moment der Vertreibung außer Acht gelassen werden, spricht man über Vollversitzplatzung (die Jan Korte zufolge nicht von der Politik oktroyiert werden kann) und Preisspirale. Ein Bekenntnis genau dazu mag vielleicht noch kaum jemand aussprechen, aber in einem Land wo „sozial ist, was Arbeit schafft“ (egal wie bezahlt) und sich „Leistung wieder lohnen muss“ kann es ja eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis man sich den Besuch eines Fußballstadions eben verdienen muss.
Ebenso im Neoliberalismus verhaftet ist das Interesse der DFL am Sicherheitskonzept, denn es ist ja nun nicht so, dass einzig der Druck aus der Politik Triebfeder des Konzeptpapiers war. Im Papier bzw. den entsprechenden Anträgen geht es nicht selten um Kompetenzübertragung vom DFB an die DFL. Die DFL beansprucht für sich größere Autonomie, möchte sich selbst strukturell stärker aus dem DFB lösen. Das Sicherheitspapier hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Fans, es ist ein Schritt zur institutionellen Trennung von Profifußball und Fußball. Es mag aus Sicht der DFL ihr größter Fehler gewesen sein, bei ihrer Gründung die Sportgerichtsbarkeit für ihre Ligen beim DFB belassen zu haben. Dieser Fehler ist mit dem nun verabschiedeten Papier ausgebügelt. Natürlich bedeutet das eventuell mehr Sicherheit für die Vereine was Strafen betrifft und eventuell findet die beinahe schon berühmte Willkür damit ein Ende. Willkür, wie beim DFB üblich, lässt sich schwerlich verkaufen, die DFL ist auf klare Regeln und Kompetenzen angewiesen um ihr Produkt bestmöglich vermarkten zu können. Mit dem Entzug von Fernsehgeldern steht der DFL eine Strafart zur Verfügung, die wohl noch härter ist, als alles vom DFB Bekannte. Ob sie diese Karte allerdings ziehen werden, oder das alles lediglich Argumentationsgeplänkel war, bleibt abzuwarten. Vor allem aber ist die DFL auf die volle Kontrolle über ihr Produkt angewiesen. Das anzustrebende Ideal der DFL dürften dabei US-amerikanische Sportligen sein.
Die Fernsehgelder sind ein für die Debatte um die Sicherheit in den Stadien nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt. Die Kompetenzübertragung vom DFB an die DFL ist dabei nur als Versatzstück im Vermarktungskonzept der DFL zu begreifen. Wenn Engert über die Fans, ihre Funktion und letztlich auch ihre Interessen schreibt,
„Das sind einerseits die Kunden, d. h. die zahlende Anhängerschaft, die neben dem Spiel der eigenen Mannschaft dazu beiträgt, den Stadionbesuch mit ihren Gesängen und Anfeuerungen zu einem kleinen Erlebnis des Alltags zu machen.“
hat er damit nicht Unrecht. Nur offenbart sich ein hier analytischer Trugschluss, den wir Fußballfans vielleicht auch mit zu verschulden haben. Natürlich sind die Fans in den Stadien ein wichtiger Faktor, ein wichtiges Element im Fußball. Ihnen kommt ja, und das klingt hier auch an, eine Art Doppel- bis Dreifachfunktion zu. Einerseits sind sie zahlende Kundschaft der Vereine. Sie tragen das Geld in die Stadien. Außerdem sind sie oft auch Kunden der (Pay-)TV-Sender. Finanziell sind sie in dieser Funktion noch weit wichtiger für die Vereine, denn der Großteil ihrer Einnahmen kommt aus Fernsehgeldern, welche es wiederum nur gibt, wenn die Sender die entsprechende Kundschaft hat. Zu guter Letzt sind die Fans gewissermaßen auch Teil des Kapitalstocks der Vereine und Verbände, denn die von ihnen erzeugte Atmosphäre in den Stadien macht das Produkt Profifußball besser vermarktbar. Ein Gutteil der „Fernseh-Fans“ (Es gibt wohl eine nicht kleine Schnittmenge zwischen „Stadion-Fans“ und „Fernseh-Fans“) guckt den Fußball nicht zuletzt wegen der Atmosphäre. Damit sind die Fans Konsumenten eines Konsumguts, dessen Teil sie sind. Der reine Fokus auf den Stadionbetrieb greift daher zu kurz.
Die Bundesligen sind zum medialen Kassenschlager avanciert. Pay-TV-Sender sind bereit hohe Lizenzgebühren für die Übertragungsrechte zu entrichten und durch den hohen Kapitalfluss im Profifußball wird nicht nur der Sport qualitativ gefördert, der Sport verändert sich. Die Mechanismen der Vermarktung machen das Verschieben des Anstoßes teurer und den Spielabbruch schwerer zu verkraften. Der Spieltag in der zweiten Liga ist über 4 von 7, in der ersten über 3 von 7 Wochentagen verteilt. Hinzu kommen englische Wochen und weitere internationale und nationale Wettbewerbe. Es vergeht fast kein Tag, an dem es kein Fußball zu konsumieren gibt und entsprechend steigen die Anforderungen an ein standardisiertes Event, ein Spektakel. Die DFL versteht sich dabei als Dienstleister an ihrem größten Kunden, und das sind eben nicht die Fans im Stadion, sondern die Sender, die Übertragungsrechte kaufen. Dass das eine das andere bedingt wird dabei beinahe vergessen, aber nicht ganz. Daher kommen doch die Beteuerungen, die Fankultur in Deutschland sei sicher. Schönes Bekenntnis, danke für’s Geräusch, verstanden haben es die grauen Verbandsherren nicht, was es überhaupt mit Kultur auf sich hat. Wer aber nie in der Kurve stand, weder in der Sommerhitze noch bei Minusgraden, wer nie an Bahnhöfen von behelmten Hundertschaften mit Knüppel und Pfefferspray empfangen wurde und so weiter, der wird auch nicht verstehen, wie so eine Kultur funktioniert. Anders gesagt: wer es nicht fühlt, kann es nicht verstehen.
Es ist also durchaus im Interesse der DFL weiterhin Fans dabei zu haben nur sollen die gefälligst nicht ins Spektakel eingreifen können, zumindest nicht unkontrolliert. Der Ligaverband als Vermarkter des Sports sieht sich also in einer Zwickmühle. Sie wollen die Gewinnbringenden Fernsehsender, also letztlich deren Kunden einerseits, brauchen dafür aber die Fans andererseits, die sie unter Kontrolle haben müssen, damit die Vermarktung einwandfrei funktioniert. Die Fans in den Stadien sind der Dünger der Vermarktbarkeit und können gleichsam zu ihrer Blattlaus werden.
Was aber wollen die Fans? Man kann sich natürlich jeden Punkt des Sicherheitspapiers vornehmen und gucken, was Fans dazu gesagt haben. Dabei wird man zu dem Schluss kommen, Fans wollen Pyrotechnik, Stehplätze und eine menschenwürdige Behandlung. Das ist, von streitbaren Fragen bezüglich Pyro abgesehen, sicher richtig, nur ist damit nicht das genuine Interesse von Fußballfans zu erfassen. Durch die Komplexität des Themas und subjektiven Beweggründen der einzelnen Fans sind generalisierbare Aussagen über die heterogene Gruppe der Fans in den Stadien grundsätzlich nur schwerlich möglich. Ich halte es jedoch für den falschen Ansatz über die expliziten Punkte des Sicherheitspapiers zu kommen. Zu leicht drängt sich dann der Trugschluss auf, wird nichts davon umgesetzt, haben die Fans ihre Maximalforderung erreicht. Diese Perspektive blendet jedoch die Themen und Kämpfe der Vergangenheit vollständig aus. Der Fußball ist nicht mehr der selbe, wie er es noch in den 80ern und 90ern war. Viele Veränderungen waren positiv, andere negativ – so ist das nunmal, nur sollte im Diskurs eben bedacht werden, dass Fußballfans schon seit langem in regelmäßigen Abständen dicke Kröten zu schlucken hatten.
Trotz der Farce, die der Verweis auf die geschützte Fußball- und Fankultur seitens Ligaverbandschef Rauball ist, ist noch lange nichts verloren. Kultur wird nicht von Führungsetagen definiert, sondern ergibt sich im Zusammenspiel von Menschen. Die Macht eine Kultur zu formen kommt von unten. Jede Form der Repression führt am anderen Ende zur Produktion. Sie mögen Jugendkultur, Gewalt, Pyro, Randale, Wut, Freude und Extase durch Verbote zu kontrollieren versuchen, doch dieser Versuch ist zum scheitern verdammt.Mehr „Sicherheit“ in Deutschland, die wird es durch die Beschlüsse nicht geben. Weder in den Stadien, noch außerhalb. Das Ergebnis dieser Phantomdebatte ist nichts wert. Die Fußballkultur hat sich stets zwischen diversen Parametern entwickelt. Stadionverbote schließen nicht nur einzelne Personen vom Stadionbesuch aus, sie führen zu Zaunfahnen, Aufklebern, Gesängen, Märschen und einem verstärkten Zusammengehörigkeitsgefühl. Kultur zu unterdrücken, ist wie der Versuch einen Baum am Wachsen zu hindern. Die Richtung der Entwicklung mag sich verändern, doch das Wachstum wird nicht gestoppt.
„Die organisierten Fußballfans haben gezeigt, wie mächtig sie sind. Es war ihr Druck, der die ursprüngliche, schärfere Version des Sicherheitskonzepts scheitern ließ und zu einer Blamage für die DFL machte. Durch ihre durchaus öffentlichkeitswirksame Betriebsamkeit wurde auch in den Medien zunehmend differenzierter berichtet.“ (Christian Spiller)
Es ist falsch die Debatte um mehr Sicherheit in den Stadien nur von einer Seite zu betrachten. Die Konfliktlinien verlaufen kreuz und quer zwischen den verschiedenen Akteuren. Es ist mitnichten anzunehmen, ohne den Druck seitens der Politik, gäbe es keinen Grund mehr für das Papier. Es ist nicht nur der Populismus, Wahlkampfgeplänkel und eine ablenkende Phantomdebatte, was die Innenminister antreibt Forderungen nach mehr Sicherheit zu stellen, es ist auch der neoliberale Geist. Es ist nicht nur der gut gemeinte Versuch die Sportgerichtssprechung auf verbindliche, rechtsstaatliche Grundsätze zu stellen, sondern auch ein klares Vermarktungsinteresse der Deutschen Fußballliga. Das Sicherheitspapier und die anhängende Debatte gilt es von allen Seiten zu analysieren und die Kritik entsprechend in den Schnittstellen zu platzieren.
Die DFL gewinnt Autonomie gegenüber dem DFB mit der Annahme aller 16 Anträge zum Sicherheitspaket. Die Vereine unterliegen mit ihren Voten damit nicht nur dem Druck der Politik, sondern auch vermeintlichen Sachzwängen einer bis zum äußersten gedehnten Verwertungslogik. Dennoch dürfen sich die Fans auf die Schulter klopfen, sie waren es, die die Debatte versachlicht haben. Fankultur ist durch die gestrigen Beschlüsse nicht dem Untergang geweiht. Sollte es dennoch irgendwann zur forcierten Vertreibung kommen und Fankultur verschwindet aus den Stadien, es wird etwas anderes geben. Doch erstmal darf man sich hoffentlich auf viel Pyro freuen. Verbote sind Antrieb. Gerade für die Jugend.
Auch gegen die Zustimmung zur überarbeiteten Fassung des DFL Papiers „Sicheres Stadionerlebnis“ hat sich der FC Sankt Pauli erklärt. Nachdem die Stellungnahme zum ersten Papier einiges an Unmut zu tage förderte und letztlich in diversen kontrovers zu diskutierenden Anträgen auf der JHV mündeten, scheinen die Signale beim Präsidium unseres Clubs angekommen zu sein.
Der FC St. Pauli sieht sich außer Stande, wie von der Deutschen Fußball Liga gewünscht, den abgeänderten Maßnahmenkatalog zum Thema Sicherheit in deutschen Stadien bis zum Stichtag 22. November 2012 zu kommentieren und im Nachgang am 12. Dezember 2012 darüber abzustimmen. Für die Vereinsverantwortlichen ist ein gemeinsamer Diskussionsprozess mit Fanvertretern für eine adäquate Abstimmung solch eines Katalogs notwendig. Aufgrund des sehr engen Zeitfensters ist dies aber nicht in ausreichendem Maß möglich.
Der FC St. Pauli vertritt die Auffassung – und hat dies bereits am 25. Juli 2012 in einem Brief an DFB und DFL bekräftigt, dass der Verein nur solchen Anträgen zustimmen kann, die das Ergebnis umfassender Diskussion mit Fanvertretern sind. Dies sieht das Präsidium des Hamburger Zweitligisten derzeit als nicht gegeben an.
Bleibt die Frage, ob sie das auch nach der JHV noch so sehen. Wir werden es abzuwarten haben. Außerdem gibt es ja die Möglichkeit mittels Anträgen die Beibehaltung dieser Herangehensweise zu forcieren. Der FC Sankt Pauli ist damit der erste Verein, der auch die zweite Version des Papiers ablehnt. Was macht Union?
In Ergänzung zu unserem Text zu den verschiedenen JHV Anträgen gebietet es die Vollständigkeit, auch einen Dringlichkeitsantrag, dessen Stellung im Sankt-Pauli-Forum öffentlich gemacht wurde, hier aufzugreifen. Wenngleich nicht klar ist, ob dem Dringlichkeitsantrag stattgegeben wird, ist es ein guter und wichtiger Antrag.
Im Antrag wird der erneute Vorstoß der DFL ein Sicherheitspapier zu etablieren aufgegriffen und dem Verein untersagt, sogenannte Vollkontrollen durchzuführen. Ein gutes und wichtiges Versatzstück in der Auseinandersetzung um den öffentlichen Sicherheitswahn wäre mit der Annahme des Antrags beim FC St. Pauli implementiert.
Antrag:Dringlichkeitsantrag an die Ordentliche Mitgliederversammlung am 26.11.2012 gemäß § 15 Ziffer 5 der Vereinssatzung
Die Mitgliederversammlung möge beschließen, den Organen des Vereins die Veranlassung sogenannter Vollkontrollen / Ganzkörperkontrollen von Heim- oder Gästefans bei den Spielen des FC St. Pauli zu untersagen und sie zugleich beauftragen, im Falle einer entsprechenden Veranlassung von staatlicher oder anderer Seite sämtliche rechtmäßig zur Verfügung stehenden Mittel, insbes. auch Rechtsmittel, auszuschöpfen, um die Durchführung abzuwenden.
Begründung:Vor dem Hintergrund der Debatte um die Sicherheit in den Stadien und der derzeitigen DFL-/DFB-Linie zeigt die aktuelle Entwicklung deutlich, dass Vereine sich verstärkt im Druck sehen, sich vor drakonischen Verbandsstrafen durch überhöhte Maßnahmen zur Kontrolle der Stadionbesucher abzusichern. Es erscheint zunehmend notwendig, in diesem Themenbereich Grenzen zu definieren und diese auf der breiten Basis eines Mitgliedervotums den Vereinsorganen an die Hand zu geben. Besondere Aktualität hat hierbei das Thema Ganzkörperkontrollen gewonnen, nachdem innerhalb nur einer Woche zwei Vereine zu dieser Maßnahme gegriffen haben, so dass dies im Mittelpunkt dieses Dringlichkeitsantrages steht.
Mit dem Mittel der Ganzkörperkontrollen sehen die Antragsteller eine entscheidende Grenze als klar überschritten an, denn dieses drastische Mittel ist zur Erhöhung der Stadionsicherheit weder erforderlich, noch geeignet, noch angemessen, und daher unverhältnismäßig im Sinne des rechtsstaatlich verankerten Verhältnismäßigkeitsprinzips, mithin fehlt ihm jede Legitimation und Rechtmäßigkeit. Vollkontrollen, bei denen Stadionbesucher intensiv durchsucht werden und sich ganz oder teilweise entkleiden müssen, bedeuten einen tiefreichenden Einschnitt in die Privatsphäre und die grundrechtlich geschützte Würde des Menschen. Der daraus resultierende hohe Anspruch, der an die Kriterien zur Durchführung einer solchen Maßnahme zu stellen ist, wird vollkommen missachtet, indem hier große Personengruppen, die nicht näher bestimmt werden als durch die Pauschaldefinition, Besucher eines Fußballspiels zu sein, dieser Prozedur unterzogen werden. Stadionbesucher werden schon allein durch deren Androhung unter einen kriminalisierenden Generalverdacht gestellt, während die Auswahl der Personen, an denen die Maßnahme tatsächlich vollzogen wird, willkürlich und fernab jeder Kontrolle auf Basis undurchsichtiger und undefinierter Kriterien durchgeführt wird, was im krassen Gegensatz zu jedem rechtsstaatlichen Mindestanspruch steht.
Hinzu tritt die fehlende Erforderlichkeit und Geeignetheit einer solchen Maßnahme, zur Erhöhung der Sicherheit im Stadionbetrieb beizutragen. Während die Erforderlichkeit schon anhand offizieller und öffentlich verfügbarer Daten und Statistiken leicht widerlegbar ist (der Besucher eines Fußballspiels lebt hiernach erheblich sicherer als der Besucher nahezu jeder anderen Großveranstaltung), wird hinsichtlich der Geeignetheit das Ziel nicht nur verfehlt, sondern gar unnötig ein Eskalationspotential erst geschaffen, da sich die ersichtliche Unangemessenheit und Überzogenheit provozierend und konfliktverschärfend auswirkt. Auch die große Mehrheit der friedfertigen Stadionbesucher wird es nicht widerstandslos über sich ergehen lassen, sich diskriminierenden und demütigenden Einlasskontrollen zu unterziehen, die ohne klaren Grund so massiv in ihre Persönlichkeitsrechte eingreifen.
Schlussendlich werden alle Bemühungen, die sogenannte „Gewaltdebatte“ zu versachlichen und von hysterischen Untertönen befreit in einen konstruktiven Dialog aller Beteiligten hinüberzuführen, durch solche Maßnahmen massiv konterkariert und torpediert. Wenn die DFL in ihren Vorschlägen zur statuarischen Verankerung des Dialoges richtigerweise feststellt, dass u.a. Diskriminierung, Gewalt und Rechtsverstöße nicht Bestandteil einer positiven Fankultur sein können, dann sollte dieser Grundsatz auch für die Kultur der Verbände und Vereine Gültigkeit haben.
Lichterkarussell Wahlempfehlung: Der Zulassung des Antrags und dem dann hoffentlich zugelassenen Antrag sollte unbedingt stattgegeben werden.
Mit der Stellungnahme des Ständigen Fanausschusses ist die Diskussion um die vermeintlichen Lügen von Gernot Stenger gegenüber Fanvertretern in die nächste Runde gegangen. Es geht hier um die Fragen, ob Vize-Präsident Dr. Gernot Stenger die vom Kicker am 24. September lancierten Punkte des Sicherheitspapiers der DFL (PDF Download) inhaltlich bekannt waren und ob er das Papier entgegen seiner Aussage als unterschriftsfähig bezeichnet hat.
Dem Abendblatt zufolge liegt den Antragstellern des Abberufungsantrags gegen Gernot Stenger ein Präsidiumsprotokoll vor. Auch wir haben dieses Protokoll jetzt vorliegen. Das als „streng vertraulich“ markierte Dokument soll unseretwegen gerne vertraulich bleiben. Es handelt sich um das Protokoll vom 20. September, also einem Datum, das deutlich vor dem Treffen von Präsidium und Ständigem Fanausschuss lag. In seiner Stellungnahme hat Gernot Stenger darauf verwiesen, dass er das Papier niemals als unterschriftsfähig bezeichnet habe. Zumindest das Protokoll spricht nun eine andere Sprache, weswegen wir es für unsere Pflicht halten, auf diesen Umstand hinzuweisen.
Aus diesem Protokoll geht hervor, dass das Papier und sein Inhalt dem Präsidium bekannt war und, dass eine grundsätzliche Zustimmungsfähigkeit beschlossen wurde. Es ist müßig nun auf juristische Feinheiten einzugehen, etwa dass der Kicker nicht den exakten Wortlaut des Papiers genannt habe, und dass die Formulierungen Gernot Stenger so in der Form nicht bekannt gewesen seien.
Es ist menschlich Fehler zu machen, diese sind zwar mitunter ärgerlich, aber verzeihlich. Niemand macht immer alles richtig, manchmal begeht man sogar sehr große Dummheiten, doch das alles ist nur menschlich. Sollte Herr Stenger also versehentlich gesagt haben, das sei ihm so nicht bekannt gewesen, hätte das im Nachhinein sicherlich geklärt werden können. Stattdessen jedoch wird auf Kleinigkeiten herumgeritten und Wortklauberei betrieben, so dass es am Ende faktisch uninteressant wird, ob nun die Wahrheit oder die Unwahrheit gesagt wurde. Das Vertrauensverhältnis, das so wichtig ist, und an dem alle Parteien interessiert sein sollten, wird durch so ein Verhalten nachhaltig gestört.
Es ist äußerst enttäuschend, dass hier mehrfach die Gelegenheit verpasst wurde, reinen Tisch zu machen. Wie schön wäre es doch gewesen, hätte das Präsidium nach dem Treffen mit Gremien und Fanvertretungen das Angebot einer gemeinsamen Stellungnahme wahrgenommen und damit einen Neustart des Themas unter enger und wirksamer Einbeziehung der Fans gestartet.
Dies wurde phänomenal verpatzt, so dass man sich über den nun erfolgten Abberufungsantrag nicht wundern muss, wobei man sicherlich darüber diskutieren kann, inwieweit man das Verhalten so auf eine Einzelperson beziehen sollte, wenn das Vorgehen tatsächlich innerhalb des Präsidiums abgestimmt war. Eine Basis der Zusammenarbeit, die alle Seiten so dringend brauchen, ist derzeit leider nicht ersichtlich. Gerade auf Seiten eines ehrenamtlichen Präsidiums wäre man doch gut beraten, die Ansichten derer zu berücksichtigen, die ihr Leben und Geld auf irrationale Weise dem Fußball opfern und den Sport damit zu dem machen, was er derzeit noch ist.
Es ist nun an der Mitgliederversammlung am 26.11.2012 zu beurteilen, ob eine solche Basis zwischen Fans und Gernot Stenger wieder aufgebaut werden kann, oder der Mann sein Amt lieber räumen sollte. Wir enthalten uns hier jeglichen Urteils, möchten aber sicherstellen, dass die Vorgänge für dieJHV möglichst transparent sind. Zur finalen Klärung wäre eine auszugsweise Veröffentlichung des relevanten Protokolls im Rahmen der Mitgliederversammlung sicherlich hilfreich und angemessen. Das obliegt jedoch Präsidium und Aufsichtsrat.
Die DFL möchte in Punkto Sicherheit möglichst schnell Nägel mit Köpfen machen. In einer heute veröffentlichten Pressemitteilung heißt es, die Clubs haben bis zum 22.11.2012, also eine Woche, Zeit sich mit ihren relevanten Gremien abzustimmen und sich zu einem veränderten Maßnahmenkatalog zu äußern. Dass etwas in diese Richtung kommen würde, wurde von allen Seiten erwartet, der frühe Zeitpunkt jedoch vermag zu überraschen.
An dieser Stelle sollen die als wichtige Aspekte herausgestellten Punkte kurz kommentiert werden. Eine ausführliche Analyse muss in den nächsten Tagen auf Grundlage des gesamten Papiers erfolgen. Ausgangspunkte der neuen Überlegungen seien der DFL zufolge Rückmeldungen der Clubs, von Fanorganisationen, sowie der AG Fanbelange des DFB.
1. Das gerade in den vergangenen Wochen immer wieder geforderte Bemühen um einen wechselseitigen Dialog zwischen Clubs und Fangruppen soll künftig auch statuarisch verankert werden. Der Dialog soll darauf gerichtet sein, Grundregeln für die Ausübung der positiven Fankultur im Stadion gemeinsam zu entwickeln und einvernehmlich zu vereinbaren. Folgende Grundsätze stehen dabei aus Sicht des Vorstandes nicht zur Disposition: der Verzicht auf Gewalt, Rassismus bzw. Diskriminierung, politischen Extremismus sowie Pyro-Technik. Ein Automatismus, wonach Fan-Gruppierungen in ihrer Gesamtheit bei Fehlverhalten einzelner bestraft werden, war und ist nicht vorgesehen. Stattdessen soll die täterorientierte Aufklärung intensiviert werden.
Es ist grundsätzlich positiv festzustellen, dass Fan-Gruppierungen nicht in ihrer Gesamtheit bestraft werden sollen. Hier erfolgt also eine klare Distanzierung von der in der Sportsgerichtsbarkeit des DFB durchaus gängigen Praxis der Kollektivbestrafung. Darüberhinaus soll der Dialog mit den Fans statuarisch verankert werden. Das war es dann aber auch mit den positiven Aspekten. Diesbezüglich muss auch relativierend gefragt werden, wie groß der Fortschritt hier tatsächlich ausfallen soll und was lediglich Lippenbekenntnisse sind. Dies ist zugegebenermaßen eine pessimistische Sichtweise, nach den Erfahrungen der letzten Jahre (nicht zuletzt das einseitige Beenden der Gespräche in der Pyrotechnikfrage) stellt sich ein gewisses Grundmisstrauen jedoch als ratsam dar.
Dieses Misstrauen wird in den hier feierlich angekündigten vermeintlich fanfreundlichen Anpassungen bereits bestärkt. So ist hier unter anderem von der „Ausbildung positiver Fankultur“ die Rede. Dies zeigt hervorragend auf, welches Bild von Fankultur in den hohen Gremien des Ligaverbandes vorherrscht. Man möchte die verwertbaren („positiven“) Aspekte der deutschen Fußballfankultur gerne bewahren, die vermeintlich „negativen“ Nebenwirkungen jedoch möglichst verbannen. Hier offenbart sich eine Schwarz-Weiß-Denke, die ihresgleichen sucht. Man ist auf Seiten des Verbands entweder nicht fähig oder nicht willens Fußballfans und ihre Kultur als Ganzes zu erfassen und zu akzeptieren. Dies geht an Grundsätzen des Lebens vorbei. Hier soll die Medaille ohne ihre Kehrseite per Dekret von oben durchgesetzt werden. Das ist schlichtweg unmöglich. Es ist schwerlich vorstellbar, dass dies, so fern die Herrschaften den Kurven auch sein mögen, unbekannt ist. Es ist vielmehr anzunehmen, dass durch die einseitige Darstellung von und Fokussierung auf Fankultur den Weg zu repressiver(er) Handhabe gegenüber „delinquenten“ Fußballfans ebnen soll.
Die gleichsam relativierende und gleichsetzende Aufzählung von Gewalt, Rassismus und Pyrotechnik wird in diesem Zuge noch um Diskriminierung und politischen Extremismus erweitert. Der vielfach geforderten Differenzierung an diesem Punkt wird also nicht nachgekommen, im Gegenteil, die Pauschalverurteilung wird noch erweitert. Hierbei wird in den Maßnahmen die von der Bundesregierung forcierte Extremismusdoktrin weiter gesellschaftlich implementiert. Zwar passt das relativierende und gleichmachende Wesen dieser kruden Theorie in das Bild der Gleichsetzung verschiedener Dinge durch die Verbände und einige Vereine (so mitunter auch unserem FCSP), die Passage wird dadurch aber nicht erträglicher. Eine derartige Sichtweise darf keinesfalls die Unterschrift der Vereine finden.
Alles unter Punkt 1 genannte zielt auf eine vollständige Reglementierung der Fankultur. Alles von einer vorgegebenen Norm abweichende wird kriminalisiert. Mit der angestrebten Einzeltäterverfolgung, der „täterorientierten Aufklärung“ soll mutmaßlich Denunziantentum innerhalb der Fanszenen strukturell gestärkt werden. Je stärker sich eine Mehrheit innerhalb einer Fanszene von einer „delinquenten“ Minderheit abgrenzt, desto einfacher ist eine solche Fanszene zu kontrollieren. Und genau darum geht es dem Verband: die volle Kontrolle über das, was in den Kurven passiert.
2. Nur dort, wo objektiv Mängel vorliegen, soll und muss es zu Verbesserungen kommen. Zusätzliche infrastrukturelle Maßnahmen sollen in diesem Sinne individuell auf Club-Ebene bei entsprechenden Missständen verwirklicht werden. Es wird keine statuarischen Vorgaben bezüglich sog. „Vollkontrollen“ geben. Diese waren im Übrigen auch im Konzeptpapier nicht vorgesehen, sondern lediglich die Verbesserung der infrastrukturellen Einrichtungen bei etwaigen, individuell vor Ort zu beschließenden Kontrollen, in der Regel bei Risikospielen.
Der zweite Abschnitt soll sich, ähnlich dem ersten, möglichst positiv und unverbindlich lesen lassen. Nun kann er freilich auch so ausgelegt werden, nur muss er das eben nicht. Die angesprochene Unverbindlichkeit der zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen lässt natürlich den Spielraum diese nicht umzusetzen, sie lässt aber ebenso den Spielraum sie gerade umzusetzen, wie nicht zuletzt das Beispiel aus München zeigt, wo Vollkontrollen in Zelten durchgeführt wurden.
Die Clubs sind ja bezüglich der Vorkehrungen auch nicht alleinige Entscheidungsinstanz. Es ist seit Jahren Gang und Gebe, dass auch die Polizei, besonders bei sogenannten Risikospielen, die ja mitunter inflationär ausgerufen werden, ihre Wörtchen mitredet.
Eine Errungenschaft im Vergleich zum Ursprungspapier, lässt sich hier nur mit ausreichend gutem Willen ablesen.
3. Die zu beschließenden Maßnahmen sollen nach drei Jahren evaluiert werden. Dabei gilt es dann festzustellen, wie sich die Umsetzung bewährt hat und welche Punkte möglicherweise einer weiteren Veränderung bedürfen.
Die letzte große Anpassung zum Ursprungspapier erwähnt ein Evaluationsverfahren nach drei Jahren. Grundsätzlich natürlich keine schlechte Idee. Hier schließt sich die Frage an, wer die Maßnahmen evaluiert und nach welchen Maßstäben. Es ist doch deutlich schwierig, wenn schon der Einführung der Maßnahmen keine empirischen Daten zugrunde gelegt werden eine Evaluation im zeitlichen Vergleich anzustellen.
Darüber hinaus ist eine Evaluation ja immer schön und gut, nur sind die Maßnahmen dann längst implementiert und etabliert, so dass eine Rücknahme von Maßnahmen nur in besonders schlecht bewerteten Ausnahmen zu erwarten wäre.
Wirklich diskussionswürdige Verbesserungen sind in diesen Punkten nicht zu erkennen. Vielmehr wirkt es wundersam verdächtig, dass der Vorstoß wieder in einem derart engem zeitlichen Rahmen ratifiziert werden, ja geradezu über’s Knie gebrochen werden soll. Zwar seien Rückmeldungen von Fanorganisationen und der AG Fanbelange eingeflossen, nur ist hier nicht von einen gemeinsam mit Fans erarbeiteten Papier zu sprechen. So lange ein Dialog, ob statuarisch verankert oder nicht, nicht auf Augenhöhe stattfindet, solange Fans und Fanvertretungen nicht als gleichberechtigte und ernstzunehmende Gesprächspartner wahrgenommen werden, ist wohl kein Sicherheitspapier der DFL unterschriftsfähig. Zwar heißt es, man wolle sich als Kommission auch noch mal mit der AG Fanbelange zusammensetzen, das aber als gemeinsame Ausarbeitung zu interpretieren wäre gänzlich verfehlt. Das enge Zeitfenster, das den Clubs bleiben soll, sich mit den örtlichen Gremien zu beraten ist wohl der am 12.12.2012 stattfindenden Mitgliederversammlung des Ligaverbands geschuldet, auf der das ursprüngliche Papier beschlossen werden sollte, nur gibt es da facto diesen hier kolportierten Zeitdruck nicht. Unter diesen Voraussetzungen wird der mutmaßlich angestrebte Dialog mit Fans schwer. Die Fußballfankultur in Deutschland befindet sich am Scheideweg, die DFL drängt darauf die Richtung vorzugeben – das ist weder zielführend, noch auf Augenhöhe.