DFL will Nägel mit Köpfen

Die DFL möchte in Punkto Sicherheit möglichst schnell Nägel mit Köpfen machen. In einer heute veröffentlichten Pressemitteilung heißt es, die Clubs haben bis zum 22.11.2012, also eine Woche, Zeit sich mit ihren relevanten Gremien abzustimmen und sich zu einem veränderten Maßnahmenkatalog zu äußern. Dass etwas in diese Richtung kommen würde, wurde von allen Seiten erwartet, der frühe Zeitpunkt jedoch vermag zu überraschen.

An dieser Stelle sollen die als wichtige Aspekte herausgestellten Punkte kurz kommentiert werden. Eine ausführliche Analyse muss in den nächsten Tagen auf Grundlage des gesamten Papiers erfolgen. Ausgangspunkte der neuen Überlegungen seien der DFL zufolge Rückmeldungen der Clubs, von Fanorganisationen, sowie der AG Fanbelange des DFB.

1. Das gerade in den vergangenen Wochen immer wieder geforderte Bemühen um einen wechselseitigen Dialog zwischen Clubs und Fangruppen soll künftig auch statuarisch verankert werden. Der Dialog soll darauf gerichtet sein, Grundregeln für die Ausübung der positiven Fankultur im Stadion gemeinsam zu entwickeln und einvernehmlich zu vereinbaren. Folgende Grundsätze stehen dabei aus Sicht des Vorstandes nicht zur Disposition: der Verzicht auf Gewalt, Rassismus bzw. Diskriminierung, politischen Extremismus sowie Pyro-Technik. Ein Automatismus, wonach Fan-Gruppierungen in ihrer Gesamtheit bei Fehlverhalten einzelner bestraft werden, war und ist nicht vorgesehen. Stattdessen soll die täterorientierte Aufklärung intensiviert werden.

Es ist grundsätzlich positiv festzustellen, dass Fan-Gruppierungen nicht in ihrer Gesamtheit bestraft werden sollen. Hier erfolgt also eine klare Distanzierung von der in der Sportsgerichtsbarkeit des DFB durchaus gängigen Praxis der Kollektivbestrafung. Darüberhinaus soll der Dialog mit den Fans statuarisch verankert werden. Das war es dann aber auch mit den positiven Aspekten. Diesbezüglich muss auch relativierend gefragt werden, wie groß der Fortschritt hier tatsächlich ausfallen soll und was lediglich Lippenbekenntnisse sind. Dies ist zugegebenermaßen eine pessimistische Sichtweise, nach den Erfahrungen der letzten Jahre (nicht zuletzt das einseitige Beenden der Gespräche in der Pyrotechnikfrage) stellt sich ein gewisses Grundmisstrauen jedoch als ratsam dar.

Dieses Misstrauen wird in den hier feierlich angekündigten vermeintlich fanfreundlichen Anpassungen bereits bestärkt. So ist hier unter anderem von der „Ausbildung positiver Fankultur“ die Rede. Dies zeigt hervorragend auf, welches Bild von Fankultur in den hohen Gremien des Ligaverbandes vorherrscht. Man möchte die verwertbaren („positiven“) Aspekte der deutschen Fußballfankultur gerne bewahren, die vermeintlich „negativen“ Nebenwirkungen jedoch möglichst verbannen. Hier offenbart sich eine Schwarz-Weiß-Denke, die ihresgleichen sucht. Man ist auf Seiten des Verbands entweder nicht fähig oder nicht willens Fußballfans und ihre Kultur als Ganzes zu erfassen und zu akzeptieren. Dies geht an Grundsätzen des Lebens vorbei. Hier soll die Medaille ohne ihre Kehrseite per Dekret von oben durchgesetzt werden. Das ist schlichtweg unmöglich. Es ist schwerlich vorstellbar, dass dies, so fern die Herrschaften den Kurven auch sein mögen, unbekannt ist. Es ist vielmehr anzunehmen, dass durch die einseitige Darstellung von und Fokussierung auf Fankultur den Weg zu repressiver(er) Handhabe gegenüber „delinquenten“ Fußballfans ebnen soll.

Die gleichsam relativierende und gleichsetzende Aufzählung von Gewalt, Rassismus und Pyrotechnik wird in diesem Zuge noch um Diskriminierung und politischen Extremismus erweitert. Der vielfach geforderten Differenzierung an diesem Punkt wird also nicht nachgekommen, im Gegenteil, die Pauschalverurteilung wird noch erweitert. Hierbei wird in den Maßnahmen die von der Bundesregierung forcierte Extremismusdoktrin weiter gesellschaftlich implementiert. Zwar passt das relativierende und gleichmachende Wesen dieser kruden Theorie in das Bild der Gleichsetzung verschiedener Dinge durch die Verbände und einige Vereine (so mitunter auch unserem FCSP), die Passage wird dadurch aber nicht erträglicher. Eine derartige Sichtweise darf keinesfalls die Unterschrift der Vereine finden.

Alles unter Punkt 1 genannte zielt auf eine vollständige Reglementierung der Fankultur. Alles von einer vorgegebenen Norm abweichende wird kriminalisiert. Mit der angestrebten Einzeltäterverfolgung, der „täterorientierten Aufklärung“ soll mutmaßlich Denunziantentum innerhalb der Fanszenen strukturell gestärkt werden. Je stärker sich eine Mehrheit innerhalb einer Fanszene von einer „delinquenten“ Minderheit abgrenzt, desto einfacher ist eine solche Fanszene zu kontrollieren. Und genau darum geht es dem Verband: die volle Kontrolle über das, was in den Kurven passiert.

2. Nur dort, wo objektiv Mängel vorliegen, soll und muss es zu Verbesserungen kommen. Zusätzliche infrastrukturelle Maßnahmen sollen in diesem Sinne individuell auf Club-Ebene bei entsprechenden Missständen verwirklicht werden. Es wird keine statuarischen Vorgaben bezüglich sog. „Vollkontrollen“ geben. Diese waren im Übrigen auch im Konzeptpapier nicht vorgesehen, sondern lediglich die Verbesserung der infrastrukturellen Einrichtungen bei etwaigen, individuell vor Ort zu beschließenden Kontrollen, in der Regel bei Risikospielen.

Der zweite Abschnitt soll sich, ähnlich dem ersten, möglichst positiv und unverbindlich lesen lassen. Nun kann er freilich auch so ausgelegt werden, nur muss er das eben nicht. Die angesprochene Unverbindlichkeit der zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen lässt natürlich den Spielraum diese nicht umzusetzen, sie lässt aber ebenso den Spielraum sie gerade umzusetzen, wie nicht zuletzt das Beispiel aus München zeigt, wo Vollkontrollen in Zelten durchgeführt wurden.

Die Clubs sind ja bezüglich der Vorkehrungen auch nicht alleinige Entscheidungsinstanz. Es ist seit Jahren Gang und Gebe, dass auch die Polizei, besonders bei sogenannten Risikospielen, die ja mitunter inflationär ausgerufen werden, ihre Wörtchen mitredet.

Eine Errungenschaft im Vergleich zum Ursprungspapier, lässt sich hier nur mit ausreichend gutem Willen ablesen.

3. Die zu beschließenden Maßnahmen sollen nach drei Jahren evaluiert werden. Dabei gilt es dann festzustellen, wie sich die Umsetzung bewährt hat und welche Punkte möglicherweise einer weiteren Veränderung bedürfen.

Die letzte große Anpassung zum Ursprungspapier erwähnt ein Evaluationsverfahren nach drei Jahren. Grundsätzlich natürlich keine schlechte Idee. Hier schließt sich die Frage an, wer die Maßnahmen evaluiert und nach welchen Maßstäben. Es ist doch deutlich schwierig, wenn schon der Einführung der Maßnahmen keine empirischen Daten zugrunde gelegt werden eine Evaluation im zeitlichen Vergleich anzustellen.

Darüber hinaus ist eine Evaluation ja immer schön und gut, nur sind die Maßnahmen dann längst implementiert und etabliert, so dass eine Rücknahme von Maßnahmen nur in besonders schlecht bewerteten Ausnahmen zu erwarten wäre.

Wirklich diskussionswürdige Verbesserungen sind in diesen Punkten nicht zu erkennen. Vielmehr wirkt es wundersam verdächtig, dass der Vorstoß wieder in einem derart engem zeitlichen Rahmen ratifiziert werden, ja geradezu über’s Knie gebrochen werden soll. Zwar seien Rückmeldungen von Fanorganisationen und der AG Fanbelange eingeflossen, nur ist hier nicht von einen gemeinsam mit Fans erarbeiteten Papier zu sprechen. So lange ein Dialog, ob statuarisch verankert oder nicht, nicht auf Augenhöhe stattfindet, solange Fans und Fanvertretungen nicht als gleichberechtigte und ernstzunehmende Gesprächspartner wahrgenommen werden, ist wohl kein Sicherheitspapier der DFL unterschriftsfähig. Zwar heißt es, man wolle sich als Kommission auch noch mal mit der AG Fanbelange zusammensetzen, das aber als gemeinsame Ausarbeitung zu interpretieren wäre gänzlich verfehlt. Das enge Zeitfenster, das den Clubs bleiben soll, sich mit den örtlichen Gremien zu beraten ist wohl der am 12.12.2012 stattfindenden Mitgliederversammlung des Ligaverbands geschuldet, auf der das ursprüngliche Papier beschlossen werden sollte, nur gibt es da facto diesen hier kolportierten Zeitdruck nicht. Unter diesen Voraussetzungen wird der mutmaßlich angestrebte Dialog mit Fans schwer. Die Fußballfankultur in Deutschland befindet sich am Scheideweg, die DFL drängt darauf die Richtung vorzugeben – das ist weder zielführend, noch auf Augenhöhe.

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”

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    Bei dem Satz, in dem „täterorientierte Aufklärung“ mit Denunziantentum gleichgesetzt wird, fiel mir komischerweise gleich Sven Brux mit seiner Aussage ein. Korpsgeist und so.

    Wie hätten Sie es denn gern? Also keine Kollektivbestrafung ist ok, aber täterorientiert ist auch irgendwie doof, weil irgendwer so einen Täter in der Masse auch rausfinden muss? Alles, was also nicht von einer Polizeikamera entdeckt wird, ist im Grunde keine Tat?

    Ich bin im Grunde in vielen Punkten absolut bei Ihnen, aber dieses in die rechte Denunzianten-Ecke stellen von Leuten, die nicht die Klappe halten, wenn einer Scheiße baut, für die kollektiv andere in irgendeiner Form haften müssen (und wenn nicht mehr die Mit-Fans durch Abschaffung der Kollektivstrafe, dann immer noch als Kollektiv die Vereine), ist nicht wirklich zielführend.

    Damit behaupte ich _nicht_, dass Sie das hier tun, aber die gewählte Formulierung ist nur allzu bekannt.

    Ansonsten wohltuend sachlich hier, mal eine Ecke, wo man nicht auf Geifer ausrutscht, wenn man reinkommt.

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