Ewald Lienen über den DFB

„Das Verhalten des DFB-Sportgerichts zeigt die ganze Hilflosigkeit und das Unverständnis, mit dem der Verband den Phänomenen in den deutschen Fußballstadien begegnet. Die sogenannte DFB-Sportgerichtsbarkeit erweist sich – ähnlich wie einschlägige Fifa-Funktionäre in anderen Zusammenhängen – auf der ganzen Linie als komplett beratungsresistent. Wohin uns die hilflose und lächerliche Bestrafungspraxis führt, zeigt die Aktualität: Nämlich zu absolut gar nichts, sofern man sich eine Verbesserung von Verhaltensweisen erhofft. Für mich unverständlich, dass es sich ein Bundesliga-Verein – wie aktuell Fortuna Düsseldorf – bieten lässt, durch einen unglaublichen Eingriff in die eigene Souveränität als Unternehmen derartig bestrafen zu lassen und Tausenden von Dauerkartenbesitzern ihr bezahltes Recht auf einen Spielbesuch unentgeltlich entziehen muss.“

-Ewald Lienen

Dem „kleinen King“ wird wieder der PrOZess gemacht

Prozess gegen OZ vor dem Amtsgericht St. Georg

Prozessbeginn am 28. August, 9:00 Uhr in Raum 0.09

weitere Termine:
4.09., 6.09. und anschließend jeden Dienstag und Donnerstag bis 29.11.2012, jeweils von 9:00 bis 10:00 Uhr

Links: freeoz.blogsport.de > www.free-oz.org

via Kiezkieker

 

 

 

Das „Sicherheitsproblem“ des deutschen Fußballs

Gewalt im Fußballkontext ist entgegen landläufiger Behauptungen rückgängig. Trotz allem entfaltete sich zuletzt eine Dynamik in der Debatte um sichere Stadien, die tatsächlich noch nie dagewesene Dimensionen erreichte. Es ist daher wahrscheinlich nur eine kurze Phase, nun zum Beginn der Saison, dass die Diskussion um das angebliche Gewalt- und Sicherheitsproblem im deutschen Fußball auf einer weniger populistischen Ebene, als zum Ende der letzten Saison, wo im Rahmen des verfrühten Platzsturms der Düsseldorfer Anhängerschaft Politiker_innen und Medienvertreter_innen eine (mal wieder) neue Dimensionen der Randale herbeiphantasierten und gegen „ein paar Bumsdumme“, „Kurventaliban“, etc. hetzten, neu aufgenommen wird. Bereits in der Sommerpause bemerkten einige Medienvertreter_innen im Rahmen ihrer Berichterstattung zur Sicherheitskonferenz, dass es ja tatsächlich merkwürdig anmutet, wie Entscheidungen zu Fanthemen in einer gar spontan wirkenden Zusammenkunft und ohne Fans getroffen werden. Eine leichte Abkehr vom Populismus zeichnet sich ab – er wirkt dennoch auch in der aktuellen Diskussion, er ist die treibende Kraft.

Die Sicherheitskonferenz

Durch das jüngst ausgelaufene Ultimatum der Fanvertreter_innen in der AG Fanbelange und die, zwar nicht sonderlich zufriedenstellende, aber immerhin vorhandene und im Ansatz deeskalierende Reaktion seitens des DFB, hat die Debatte neue Fahrt aufgenommen. DFB-Sicherheitschef Hendrik Große Lefert schiebt im Interview mit der taz die Schuld gar durchweg vom DFB in Richtung der Politik, die ihmzufolge großen Druck ausübe. Tatsächlich werden populistische Forderungen, gerade seitens der Innenminister (Bund wie Länder), immer lauter. Ob hier tatsächlich ein großes Problem gesehen wird, oder das Thema dazu dient Wahlkampf zu machen, kann hier nicht beurteilt werden, es sei aber festgestellt, dass der politische Druck mit der Berichterstattung in Folge der Ereignisse in Dortmund und Düsseldorf zum Ende der letzten Saison nicht gerade gesunken sein dürfte. Auch die Forderungen der Polizeigewerkschaften spielen sicherlich in das Agendasetting der Innenminister mit hinein. Nicht unwahrscheinlich also, dass es eine Mischung aus all dem ist, die uns diese Diskussion beschert.

Große Lefert merkt in Bezug auf diesen Druck der Politik auf den DFB nun an, so sehr sei man gar nicht für ein 10-Jähriges Stadionverbot, um dann aber sofort hinterherzuschieben, dass dies natürlich in „extremen Fällen“ angebracht sein könne. Die Frage drängt sich auf, nach welchen Maßstäben dies gemessen werden soll? Vielleicht, wenn sich mal wieder Fußballfans gegen Nazis zur Wehr setzen und damit Antirassismus und Antifaschismus mit Leben füllen. Für den DFB scheinen diese Begriffe lediglich medienwirksame Lippenbekenntnisse zu sein, anders ist nicht zu erklären, dass es zwar hier und da mal die rote Karte für Rassismus gibt, ansonsten aber im Zweifel nicht auf rassistische Vorfälle reagiert wird. Ist dies doch mal der Fall, steht die Strafe in keinem Verhältnis zu anderen Strafen; bei Homophobie und Sexismus scheint der DFB gänzlich blind zu sein.

Die dem Ganzen zugrundeliegende Sicherheitskonferenz versucht Große Lefert hingegen als medial falsch transportiert zu präsentieren, sie sollte „die Position und die Philosophie der Vereine dokumentieren“. Vor allem aber dokumentiert der DFB in diesen Worten und mit diesem Vorhaben sein verschobenes und antiquiertes Fan- und Gesellschaftsbild. Dass auf diese Weise völlig falsche Signale gesendet werden, begreift der DFB offenbar nicht. Das große Glück des DFB ist, dass trotz dieser, so erwartbar wie enttäuschend, schwachen Antwort, der Dialog in der AG Fanbelange kein Ende finden wird.

Darauf konnte der DFB jedoch trotz der unbefriedigenden Antwort spekulieren, schließlich hätte ein Abbruch der Gespräche der derzeit wirkenden Dynamik sicherlich weiteren Anschub geleistet. Mit dem Bekenntnis für den Erhalt der Stehplätze seitens Hendrik Große Lefert wurde auch der wohl wichtigste Kritikpunkt entkräftet, wirkte die Befürchtung eines Rückbaus der Stehplätze doch wie eine Drohung, die der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte Michael Gabriel nicht zu Unrecht als gefühltes Damoklesschwert charakterisiert.

Die Verbannten mit uns

Der weitere große Punkt, die Stadionverbote, ist jedoch, wie bereits angerissen, mitnichten vom Tisch. Die geplante Ausweitung des „Strafrahmens“ auf zehn Jahre ist, wie Jakob Falk von ProFans treffend formulierte, ein „Schlag ins Gesicht„. Die Signalwirkung dieses Politikums ist frappierend. Bereits die jetzige Regelung, die Stadionverbote mit einer Höchstdauer von 3 Jahren vorsieht, steht zurecht in der Kritik. Die intransparenten Verfahren fördern das Vertrauen in diese Disziplinarmaßnahme nicht. Eher noch wird das Misstrauen durch immer wieder publik werdende Fälle unschuldiger Empfänger eines solchen Verbotes gestärkt. Die Betroffenen haben nur bei wenigen Clubs die Möglichkeit zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und immer häufiger tritt die Polizei mit ihren Gesuchen nach einem bundesweiten Stadionverbot direkt an den DFB, wie bei den jüngsten Stadionverboten in der Fanszene des FC St. Pauli. An Schreibtischen in der Frankfurter Verbandszentrale des DFB kann keine Situation, die zu einem Stadionverbot führen soll, erörtert werden, dort darf nicht Recht gesprochen werden!

Das Mittel des Stadionverbots löst weniger Probleme, als es erst schafft, was inzwischen selbst einige Vertreter_innen der Polizei erkannt haben.

Zumeist bleiben sie weiterhin in ihren Gruppen und fahren nach wie vor organisiert zu jedem Heim- und Auswärtsspiel. Allerdings verbringen sie die 90 Minuten Spielzeit dann häufig an anderen Orten.

Dass dadurch, wie im verlinkten Spiegel Online Artikel, der Hooltra konstituiert wird, trifft sicherlich nicht immer, durchaus aber in einigen Fällen zu. Dies bestärkt nicht nur die These, delinquente Milieus würden im Fußballkontext systematisch erzeugt, sondern dient leider auch wieder als Grundlage für populistische Hetze. Obgleich dieser zusätzliche Arbeitsaufwand für die Polizei eigentlich eine deutliche Sprache sprechen sollte, eben gegen die Maßnahme des Stadionverbots, fordern Innenminister (sic!) und Polizeigewerkschaftler_innen weiter das Mittel bis zum Äußersten auszureizen. Darüber hinaus werden, beispielsweise in München, gerichtliche Kontaktverbote verhängt, womit jungen Menschen verboten ist, den Kontakt zu ihrer Gruppe zu pflegen. Die „resozialisierende Wirkung“ des Verbots, Umgang mit den eigenen Freunden zu haben, erkläre mir mal jemand. In den Augen einiger Sicherheitsfanatiker scheint das jedoch Sinn zu ergeben.

Ohne eine solche völlig überzogene und rechtlich fragwürdige, in den meisten Fällen keinesfalls tragbare Maßnahme, wird „Die Verbannten mit uns“ glücklicherweise stets mehr als eine Phrase oder Solidaritätsbekundung der Fußballfans mit ihren ausgesperrten Freunden sein: gelebter Alltag.

Fortschreitende Kriminalisierung

Während also das Gewaltproblem, so diese Formulierung nicht ohnehin schon eine Übertreibung darstellt, tatsächlich kleiner wird, scheuen sich diverse Protagonisten des Sicherheitswahns nicht, immer abstrusere Maßnahmen zu fordern oder umzusetzen. Generalbundesanwalt Harald Range forderte im Mai diesen Jahres elektronische Fußfesseln und Hausarrest für „notorische Hooligans“, was eine verfassungswidrige Verschärfung ohnehin schon praktizierter Meldeauflagen wäre. Die Polizei setzt derweil auf V-Leute in den Fanszenen, wie im Fall eines Nürnberger Fans. Vielleicht, so könnte man beinahe meinen, würden dann ja Gruppenverbote an den V-Leuten scheitern… wenn es nur nicht so traurig wäre.

Fußballfans werden immer stärker zu Terrorist_innen hochstilisiert, stets natürlich mit dem Verweis auf „die wenigen Radikalen“, derer man habhaft werden müsse und von denen sich die „große Summe der friedlichen Fans“ zu distanzieren habe. Mit dieser Rhetorik werden nicht nur Sachverhalte unzulässig vereinfacht und Fans in nicht zutreffende Kategorien einsortiert, es werden die wahren Probleme verschleiert.

Um nur ein Beispiel eines „wirklichen Problems“ zu nennen, sei auf die Einsätze der Polizei im Rahmen von Fußballspielen verwiesen. In geschlossenen Einheiten der Bundespolizei und der Bereitschaftspolizeien und BFE der Länder herrscht Korpsgeist und Machismo. Dort geht es um „Kriegermännlichkeiten“, um Abschottung, um Vergangenheitsverklärung und Mythenbildung, um Spaß am Erlebnis in der Gruppe und um Verteidigung der eigenen Autorität. Polizeibeamt_innen, die im Einsatz mit Fußballfans konfrontiert werden, sind von konservativen Wert- und Autoritätsvorstellungen geprägt, wodurch unausweichlich Reibungspunkte entstehen. Doch da sie überhaupt nicht geschult sind, mit verbalen Anfeindungen und dem Untergraben ihrer Autorität klarzukommen, eskaliert die Lage oft. Anstatt vernünftige (Aus- und Weiter-)Bildungsarbeit bei Polizist_innen zu leisten, versteifen sich die Lobbyisten der Polizeigewerkschaften in hanebüchene Theoreme über gestiegene Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamt_innen. Um die empirisch auch nur im Ansatz haltbar zu machen, wird der Gewaltbegriff zunehmend verwässert, so dass bereits polizeikritische Haltungen als Gewalt gewertet werden. Dass das angesichts oben beschriebener Wirkungen zwischen Fans und Polizei einer Lösung des Konfliktpotentials nicht zuträglich ist, liegt in der Natur der Sache.

Ewiger Irrglaube

In Deutschland gibt es kein Gewalt- oder Sicherheitsproblem im Fußball. Es gibt ein Populismusproblem in Politik und Gesellschaft. Es ist aber leider nicht damit getan, „die Vernünftigen“ dazu aufzufordern, „die Radikalen“ auszugrenzen. Dieser Irrglaube herrscht schon viel zu lange vor.

Nachtrag: Pünktlich zur Veröffentlichung dieses Blogposts, bläst Rainer Wendt zum unzähligsten Male in das Horn einer Beteiligung der Vereine und Verbände an den Kosten der Polizeieinsätze. Wenn Herr Wendt so sehr an den Haushalten von Bund und Ländern interessiert ist, sollte er sich vielleicht dafür einsetzen, mit nüchternem Blick auf die sicherheitsrelevanten Zahlen im Kontext des Fußballs zu gucken und entsprechend Polizeikräfte abzuziehen. Wie wissenschaftlich bewiesen ist, führt weniger Polizei in der Regel auch zu weniger Konflikt und das wäre ja dann eine gewaltreduzierende Spirale und kosteneffizient und… Entschuldigt, ich vergaß, es ist Rainer Wendt, Chefpopulist.

Zweiter Nachtrag: Die Belastung für Polizist_innen ist auch ganz hoch. Nochmal: Einfach nicht so ein Bohei machen…

Lesetipps (Folge 02)

Die heutige Folge der Lesetipps beginnt da, wo die letzte aufhörte, bei Batman.

Männer mit Masken 
(Göttinger Institut für Demokratieforschung)
Nils C. Kumkar sieht in Filmen ein prognostisches Potential für Gesellschaften und widmet sich entsprechend The Dark Knight Rises von Christopher Nolan zu. Wie schon der letzte Beitrag zu diesem Thema ist auch dieser Text nur denen zu empfehlen, die den Film schon kennen oder sich aus anderen Gründen Inhalte verraten lassen wollen.

Stellungnahme der Fan- und Mitgliederabteilung des 1. FC Union Berlin
(1. FC UNION)
Wie man sich zum Sicherheitstrara von DFB und DFL ausgewogen und im Interesse seines Vereins, seiner Mitglieder und Fans äußert beweist einmal mehr der 1. FC Union Berlin, bzw. besser gesagt dessen Fan- und Mitgliederabteilung (vermutlich vergleichbar mit der AFM beim FC St. Pauli). In der Rezeption der Nachwehen von Sicherheitsgipfel und Kodex geht Union als gefühlter „Gewinner“ hervor. Es wäre wünschenswert gewesen, dass ein solches Verhalten nicht Ausnahme, sondern Regel gewesen wäre.

Kein Hauch von 68
(Kultur und Gespenster #13) PDF
Auf 14 lesenswerten Seiten entfalten eine Studentin und ein Dozent, die sich beide hochschulpolitisch engagiert haben, eine Analyse der Bedeutung heutiger Tätigkeit an einer Hochschule. Am besten ausdrucken.

1:1 DingDong Heimspiel

Endlich wieder Millerntor. Nach der langen, aber glücklicherweise vorhandenen Sommerpause, stand es wieder an, in unsere Heimspielstätte zu pilgern und den Boys in Brown mit Chants und Stakkato die verdiente Unterstützung zukommen zu lassen. In einem äußerst langweiligen Spiel offenbarte sich, dass die Mannschaft sich noch finden muss und, dass die Kaderplanung noch nicht abgeschlossen sein kann. So gab es ein ernüchterndes 1:1 gegen ebenso einfallslose Ingolstädter.

Dem vorangegangen war einiges an Unsicherheit bezüglich der Tickets. Einerseits stand eine Entscheidung über die Vergabemodalitäten der Südkurven-Saisonkarten bis kurz vor Saisonstart aus. USP, Fanladen und FC St. Pauli hatten letztlich ein Vergabesystem über Punkte entwickelt. Bei einer Umfrage konnten Interessierte, aber auch Wechselwillige ihre „St. Pauli Erfahrung“, in Mitgliedschaft, Dauerkarten und Saisonkarten operationalisiert, ausdrücken. Klar, dass es Kritik geben musste, wie von den Öddels der Fanszene dem Fanclub „400:0 DingDong Feierabend“, deren Flyer das Fehlen von Freunden anprangerte. In meinen Augen und nach allem was ich zum Vergabesystem gehört habe ist diese Kritik gänzlich unangemessen. Alleine, wer drei Saisonkarten für die Südkurve hatte, erreichte genug Punkte um wieder eine Saisonkarte zu bekommen. Die darüber hinaus beinahe obligatorische Vereinsmitgliedschaft beschert weitere Punkte. Daher freue ich mich über eine richtig geile Südkurvenzusammensetzung und kann auf ein paar DingDongs weniger auch getrost verzichten.

Dann das Theater um die Gegengeraden-Öffnung. Die Ängste verständlich, Die Kritik an der Kommunikation des Vereins berechtigt, aber im Nachhinein ja alles halb so wild. Die 4.000 Menschen konnten wie versprochen auf die neue Gegengerade.

War irgendwie die Rückeroberung der Gegengerade. Zwei Eingänge sind schon für 4.000 Leute sehr wenig und da die Leute alle früh kamen, kam es doch zu einem ziemlichen Stau. Dieser wurde aber sehr diszipliniert und ohne Gedrängel abgewickelt. (Magischer FC)

Mag sein, dass das eng war, aber zwei Eingänge reichen meines Erachtens völlig aus, man bedenke, dass für die Stehplätze der Südkurve zuzüglich der ordinären Sitzplätze, also auch ca. 4000 Menschen, ebenso nur zwei Eingänge zur Verfügung stehen. Das funktioniert seit grob 4 Jahren relativ problemlos. Letztlich wird die Gegengerade 4 Korrektur: (Danke, astro) 5 Eingänge für 13.000 Fans bieten, das Verhältnis sich also noch verknappen.

Wo hingegen das Interesse an Einlass ins Stadion sichtbar abgenommen hat, sind die Eingänge für die Business Bereiche auf Haupttribüne und Südkurve. Der Zusammenhang ist über die Ligazugehörigkeit zu erklären. Dass die Plätze in der letzten Saison noch besser gefüllt waren, ist mit den Kündigungsfristen der Business Seats zu erklären. 3 Monate vor Saisonende, so meine Informationen, mussten Inhaber_innen von Busieness Seats die Verlängerung ihrer Saisonkarten beantragen. Da stand in der Erstligasaison der Abstieg noch nicht fest. Nur so haben wir uns durch ein Jahr zweite Liga, mit noch halbwegs gefüllten Business Seats, „gemogelt“. Nun im zweiten Jahr ist es dementsprechend deutlich weniger. Hier wären offizielle Zahlen des Vereins interessant und ein entsprechender, unbürokratischer Rückbau von Business Seats wäre im ökonomischen und atmosphärischen Interesse des Vereins wünschenswert.

Bei der Atmosphäre ist noch ein Blick auf die neue Gegengerade angebracht. Das bisher Fertiggestellte lässt erahnen, dass die neuen Gegengerade imposant wirken wird – sie tut dies auch jetzt schon. Trotzdem war der Blick auf den neuen Betonklotz mit trüben Gefühlen verbunden. Vom Dom ist kaum noch etwas zu sehen. Nach Fertigstellung der Nordkurve, wird auch der Bunker verschwunden sein. Elementare Bestandteile des Charmes unseres Stadions verschwinden peu a peu. Schade, aber wohl leider notwendig. Hoffen wir, dass diese atmosphärischen Einbußen durch größere Lautstärke, einem neu erwachenden „Roar“, kurzum „The Hell of Sankt Pauli“ zumindest teilkompensiert werden können.

Vor dem Anpfiff gab es einen ganz besonders ergreifenden Moment für einen ganz besonderen Sankt Paulianer. Der Tod von Günter Peine verdiente nicht nur die respektable Geste von USP, wie schon beim Auswärtsspiel in Aue, war ebenso verdient und angemessen, wie die besondere Schweigeminute, in der Günter Peine via Videowall eines seiner Gedichte vortragen konnte. RIP.

Gänzlich anders unerfreulich ist, dass es wieder vermehrt Stadionverbote im Sankt Paulianischen Umfeld gibt. Hierzu soll gar nicht viel an Worten aufgebracht werden, sondern nur kurz auf die Worte von USP zu dem Thema verwiesen werden. Die Verbannten mit uns!

Eine schöne Geste gab es dann von Nordsupport zum 10. Geburtstag von Ultrà Sankt Pauli: Neben einer gelungenen Choreo gab es ein kleines Päckchen für die Gruppe, die es in einer der widrigsten Umgebungen für Ultrà-Kultur geschafft haben eben diese zu implementieren. Nach nunmehr 10 Jahren ist Ultrà am Millerntor fester Bestandteil der Fankultur und nicht mehr wegzudenken. Dazu sicher gesondert nochmal mehr.

Sie haben sich ein Denkmal gebaut

und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut.

Es wird gebaut am Millerntor. Stets herrscht geschäftiges Treiben auf der Ostseite des Spielfelds, Bauarbeiter tummeln sich zwischen den schweren Betonteilen, LKW und schweres Gerät fahren zur Baustelle und von ihr weg. Mitten in diesem Treiben steht meistens wichtig unbeschäftigt Torsten Vierkant, „Stadionprojektmanager“, den viele als „geselligen Typen“ beschreiben würden. Von seiner Seite nicht wegzudenken ist Wolfgang Helbing, „Stadionchef“ und zweiter Geschäftsführer der Millerntorbetriebsgesellschaft. Beide begleiten den Neubau des Millerntors als Duo von Anfang an in jenen Schlüsselpositionen und haben dabei den einen oder anderen Bock geschossen, wie aus internen Kreisen zu vernehmen ist. Sie, die auch gerne mal den Thor Steinar tragenden Bild-Schmierfinken Thomas Dierenga in ihr „Separee 40“, für das nur sie einen Schlüssel haben, einladen (BILD LINK!!) scheinen, aller Kritik zum Trotze, die Wichtigkeit ihrer Personen für den Verein und sein Stadion enorm hoch einzustufen.

Bereits 2007 bei Fertigstellung der Südtribüne wurden in exponierter Lage vor dem Eingang der Geschäftsstelle jene zwei Stolpersteine platziert:

Helbing
„Der FC St. Pauli dankt Wolfgang Helbing“

Vierkant
„Der FC St. Pauli dankt Torsten Vierkant“

Es ist nicht wirklich klar, inwiefern diese Steinchen abgesprochen waren, an die große Glocke wurde das aber nicht gehängt. Diverse Gerüchte besagen, und deren Richtigkeit scheint nicht unwahrscheinlich, dass diese Danksagung auf Initiative der beiden Gedankten geschah, was man getrost als vermessen bezeichnen und empfinden kann.

Nun da die Haupttribüne steht und die Ecke zur Süd geschlossen ist, hat sich ein weiteres Mosaik – im wahrsten Sinne des Wortes – im großen Denkmal der beiden „Stadionschöpfer“ eingefügt. Besser: die beiden haben es offenbar einfügen lassen. Schon länger (ca. 3 Wochen) vorhanden, aber erst jetzt wirklich aufgefallen, ist im Mosaikbild an der KiTa in der Ecke zwischen Haupttribüne und Südkurve ein Schriftzug mit den Namen Torsten Vierkant und Wolfgang Helbing integriert.

Kita
Weitere „Danksagung“

Was aber nun so schlimm daran sei, mag man fragen. Zwei geltungsbedürftige Hornochsen verewigen sich dezent für ihre geleistete Arbeit beim Bau unseres schönen neuen Stadions. Kann man so sehen, bestimmt. Diese Sichtweise scheint aber bei genauerer Betrachtung, beständig weniger Sinn zu ergeben. Davon ab, dass nicht einmal Corny Littmann auf eine derart explizite Benennung auf „seinem“ Denkmal bestanden hat, war es vor allem der Kompetenzbereich der Herrschaften Vierkant und Helbing, in dem, im Zuge der Stadionrekonstruktion, kleine, mittlere und große Fehler gemacht wurden.

Zuerst lohnt sich ein Blick darauf, wer Wolfgang Helbing und Torsten Vierkant überhaupt sind, denn allein das lässt schon Rückschlüsse hinsichtlich der Kompetenzfrage zu. Helbing war seinerzeit Vize-Präsident unseres Vereins unter Weisner, als der magische FC haarscharf an der Insolvenz vorbeigeschrammt ist; Vierkant ist gelernter Stellwerker. Was also befähigt einen Insolvenzritter zur zweiten Geschäftsführer-Position einer großen GmbH und was einen, der Weichen im Bahnverkehr stellen kann, die Weichen für das wichtigste Bauvorhaben der Vereinsgeschichte zu stellen?

Und so wundert es bei diesen „Qualifikationen“ nicht, dass z.B. der Catering-Fahrstuhl der Südkurve in den Räumlichkeiten einer Toilette endet. Wir erinnern uns auch alle an die obskure Sitiuation, als beim letzten Heimspiel der Gegengerade, Vierkants völlig fehlerhafte Infopolitik, bezüglich des Verkaufs der alten Sitzschalen, für Verwirrung sorgte oder, als er vor dem Testkick gegen Schalke vergaß die Rasenheizung einzuschalten und dieser abgesagt werden musste. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen ist verstärkt zu hören, dass die Überdimensionierung der geplanten und unerwünschten Polizeiwache in der Gegengerade vor allem auf den Mist dieser beiden gewachsen ist – sie sind wohl auch die einzigen, die noch immer kein Problem in der Existenz der Wache sehen können oder wollen. Ebenso wird mangelhafte Kommunikation und Verzögerungstaktik bemängelt. Allgemein scheinen besonders Fanbelange ein Dorn in den Augen von Vierkant und Helbing zu sein.

Intern sorgt das Duo und vor allem Vierkant immer wieder für Kopfzerbrechen. So war es Torsten Vierkant, der den Spielertunnel, dessen Verlängerung nach dem Becherwurf DFB-Auflage war, eigenhändig während eines Spiels wieder zusammengeschoben hat. Ferner hat er sich diversen Anordnungen von Vereinsoberen, sowohl gewählten als auch angestellten, widersetzt. Helbing für seinen Teil „hasst“ laut Aussage eines Hamburger Journalisten „alle Fans“. Im Duo, so hört man, verweigern sie die Zusammenarbeit mit der AG Stadionbau. Ihre Schlüsselpositionen diesbezüglich seien nochmals ins Gedächtnis gerufen. Die Tatsache, dass die beiden sich ihren eigenen Altherren-Salon in die Haupttribüne haben bauen lassen, zu dem nur sie Zutritt haben, unterstreicht einmal mehr, wie wichtig sich diese beiden für unseren Verein halten, obgleich sie die Ideale des Clubs alle Nase lang mit Füßen zu treten scheinen.

All das sind wahrlich keine Ruhmesblätter, aber zu großen Teilen eben auch Gerüchte, die hier nicht weiter belegt werden können. Selbst wenn keines der Gerüchte stimmte, stehen die Fakten bereits für so viel Inkompetenz, dass ein Denkmal um diese beiden Personen, wie es Stück für Stück, Tribüne für Tribüne ins Millerntorstadion wächst, keine Rechtfertigung erhalten kann. Die Fehler von Vierkant und Helbing reihen sich ein in eine ganze Latte von Problemen unter unserem aktuellen Präsidium, die über den Begriff „Missgeschick“ weit hinausgehen. Und so wird es mit Sicherheit eine interessante JHV im Winter geben.

Es wird gebaut am Millerntor. Die Denkmäler, die sich zwei Personen selbst errichten sind Zeugen des faden Beigeschmacks des neuen Stadions.

Der Fall Wiesenhof

Die barbarische Ausnahme in einem sonst ethisch-moralisch einwandfreiem System.

An der Weser war beinahe alles perfekt. Ein schlichtes Trikot in den Vereinsfarben ohne Sponsor. Das Fanherz hüpft, wir kennen das noch von den Trikots des FCSP vor 3 Jahren. Doch nun wendet sich das Blatt aus Fansicht zum Schlechteren. Ein Logo mit norddeutschem Bauernhaus soll laut „Bild“ die Brust der Fischköppe zieren, es gehört dem Geflügelkonzern Wiesenhof. Dieser war zuletzt in die Kritik geraten, weil er Tiere schlecht behandelt und Arbeiter_innen ausbeutet. Die ARD hatte einen entsprechenden Bericht verfasst.

Paul Heinz Wesjohan
Wiesenhofboss Paul Heinz Wesjohan, bei der Geburt von DFL-Boss Rauball getrennt (Screenshot aus "Das System Wiesenhof", ARD)

Und genau deswegen entlud sich gestern ein Shitstorm auf der Facebookseite des SV Werder Bremen. Natürlich ist es verständlich, sich über derartige Bedingungen aufzuregen nur ist es leider das typische Richtig/Falsch-Schema, das hier Antrieb ist und in bekannter Betroffenheitsrhetorik seinen Ausdruck findet. Es ist ja mitnichten so, dass diese Vorgänge ein Unikum sind und Wiesenhof der einzige Produzent, der derart mit den Tieren verfährt. Es ist vielmehr das klassische Schema in der industriellen Landwirtschaft unserer kapitalistischen Welt. Es geht hier um Profit, um Gewinnmaximierung. Die Nachfrage nach günstiger Wurst erzeugt ein entsprechendes Angebot und anders herum. Entsprechend ist der Fleischkonsum auf Rekordniveau und die Entstehungsbedingungen des Fleisches sind dem Wesen des Systems gewissermaßen äquivalent.

Die verkürzte Gutgläubigkeit, es sei damit getan, den „Ausnahmefall Wiesenhof“ zu kritisieren, ist symptomatisch für die Zeit der „99 Prozent“, die immer noch glauben, es könne eine gute (soziale?) Marktwirtschaft geben. Die Problemanalyse der „shitstormenden“ Fußballfans erinnert erschreckend an den durchaus bekannten Fokus ihrer Kritik auf den „modernen Fußball“, bei der stets vergessen wird, dass jener lediglich Auswirkung des kapitalistischen Systems ist. Doch das nur als Nebenvermerk. Grundsätzlich ist die nun aufkommende Kritik an Wiesenhof Ausdruck derer, die tatsächlich so naiv sind, zu glauben, es gebe ein richtiges Leben im Falschen (Phrasenschwein wird beschert) und das ist der Fehler.

Tatsächlich, wäre es ein anderer Konzern, der unter vergleichbaren Bedingungen produzierte, wenn es Wiesenhof nicht (mehr) gebe. Vielmehr gibt es diverse Betriebe und Konzerne weltweit die unter unwürdigen Bedingungen – für Mensch und Tier – produzieren. Dabei ist aber nicht so, dass es die guten Betriebe einerseits und die bösen Betriebe, wie den Wiesenhof-Konzern, andererseits gibt. Alles, der Bio-Hof, genau wie der unethische Massenbetrieb, der Discounter und die Edelfleischtheke, der Dumpinglohn des Wiesenhof-Arbeiters und das Konto von Herrn Wesjohan finden im selben systemischen Kontext statt. Es ist das System und nicht die schwarze Seele des Konzernchefs, das Tierquälerei, Dumpinglöhne, mangelhafte Hygienebedingungen, etc. produziert, so dass auch die Arbeit der Holocaust-Relativierer von PETA nur bedingt dazu beitragen kann, diesen Zustand zu ändern. PETA fordert mit seinen Kampagnen regelmäßig zu kritischem Konsum hinsichtlich der Tierrechte auf, also dazu vegetarisch oder besser noch vegan zu leben. Nun sei es jedem Menschen unbenommen über seine Lebensführung selbst zu entscheiden, nur ist es tatsächlich so, dass gerade jene kritische Konsument_innen den neoliberalen Geist, der das System derzeit am nachhaltigsten prägt, vortrefflich reproduzieren:

In letzter Konsequenz bedeutet dieses Verhalten eine Verschiebung der Verantwortung für gesellschaftliche Verhältnisse: weg von den Institutionen gesellschaftlicher Macht, hin zum Individuum. Und das bedeutet zugleich, dass der Markt als Regulationsinstanz Akzeptanz findet, weil er ja von bewussten KonsumentInnen genutzt wird. Politischer Konsum erscheint somit als paradigmatische Aktionsweise der Kinder des Neoliberalismus. So wird jedoch zugleich die Verantwortung von dem Bereich der Produktion in den des Konsums verlagert (Publikative.Org/Tobias Neef)

Das ist nicht als Vorwurf gegenüber irgendwem zu lesen und soll nicht die moralische Waage zugunsten der Fleischkonsument_innen ausgleichen. Das schlechte Gewissen, das Fleischkonsument_innen durch Kampagnen, wie der gegen Wiesenhof, gemacht werden soll, ist jedoch wenig hilfreich. Dadurch werden die Ursachen der Produktionsverhältnisse in Betrieben, wie denen des Wiesenhof-Konzerns, verschleiert, gleichzeitig wird versucht einen ungerechtfertigten moralischen Druck aufzubauen. Ein Verzicht auf Fleisch oder tierische Produkte mag im Stande sein das eigene Gewissen beruhigen und kann als moralische Stärkung fungieren; es gibt gute Gründe dafür fleischfrei zu leben. Es wäre jedoch falsch zu glauben, es brachte eine Änderung hervor. Ferner ist mit Schuldzuweisungen à la „Jeder, der Fleisch isst, finanziert die Produktionsbedingungen mit seinem Konsumverhalten mit“ (siehe PETA Video zu Wiesenhof ab Minute 3:20) weder den Tieren oder sonst wem geholfen sei. Beinahe ist sogar das Gegenteil der Fall: die auf diese Weise geschwungene Moralkeule nimmt Druck von den Produzenten (was aber auch keine nachhaltigen Änderungen herbeiführen kann) und verteilt sie auf die Schultern der Einzelen. Weder ein Shitstorm gegen Werder, gegen Wiesenhof oder gegen Fleischfresser wird Kapitalismus, Massentierhaltung, Dumpinglöhne, schlechte Hygienebedingungen oder irgend etwas anderes ändern – und gleiches Gilt für Kampagnen.

Natürlich kann Öffentlichkeit und ein kritisches Bewusstsein punktuelle Erfolge erzielen. Es reicht nicht, gegen Wiesenhof als einzigen Fall zu agitieren, im Allgemeinen aber das System zu tragen, damit macht man sich schließlich unglaubwürdig. Das kritische Bewusstsein muss sich aber auf das Ganze beziehen und darf nicht auf einzelne Komponenten limitiert sein. Letztlich findet der kritische Konsum, da seine Grenzen, wo ihn sich die Menschen schlichtweg nicht mehr leisten können. Mit Sicherheit kann er also eine Komponente im Kampf ums schöne Leben darstellen, aber es darf sich nicht auf ihn beschränken und sich ihm bedienen zu können, ist ein Privileg, kein moralischer Freibrief.

Lesetipps (Folge 01)

Von Zeit zu Zeit finden sich im Internet lesenswerte Texte, die es zu Teilen lohnt. Starten wir also eine Serie:

Utopien des Privaten (Publikative.Org / Göttinger Institut für Demokratieforschung)
Der Göttinger Politologe Tobias Neef zu Utopien und politischer Agitation der in den 1980ern Geborenen. Auch der, dort eingangs verlinkte, Text seines Kollegen David Bebnowski zu diesem Thema ist durchaus eine Betrachtung wert.

Qualitätsfernsehen aus Sicht politischer Theorie (theorieblog.de)
Schöner Vergleich der US-Serien The Wire und The West Wing aus Sicht politischer Theorie. Da wird eine interessante Perspektive auf Serien eröffnet. Bei tieferem Interesse in die Verbindung von Popkultur und Theorie scheint die, im Blogpost erwähnte, Reihe „booklet“ ein guter Griff zu sein.

Men of Stahlhartes Gehäuse: Or, The Dark Knight Rises on Followership (Crooked Timber)
Dieser Beitrag bläst in ein ähnliches Horn, wie der zuvor verlinkte. Mit einer dicken SPOILERWARNUNG versehen, sei hier auf eine Untersuchung von Gesellschaftsbild und -theorie im neuen (und den „alten“) Batman Film (The Dark Knight Rises) verwiesen.