Staat auf dem Rückzug

Während in Heidenau der Mob wütet, winken in München Bürger*innen den ankommenden Geflüchteten und empfangen sie mit Wasser, Decken, Obst und Stofftieren. Und während allenthalben das ehrenamtliche Engagement für Geflüchtete gelobt und herausgestellt wird, bekommt der Mob mit neuerlichen „Asylkompromissen“ den Lohn für seine Brandanschläge. Im Angesicht dieser Gleichzeitigkeit findet unser Gastautor eine handlungsunfähige radikale Linke, die sich auf die Antworten von vor 25 Jahren stützt und der aktuellen Entwicklung nichts entgegenzusetzen weiß und obendrein die Tragweite der aktuellen Geschehnisse zu verkennen scheint.

Von Lunge (Gastautor)

„Die Maßnahmen, die wir vorschlagen und gemeinsam umsetzen wollen, haben sicherlich auch Einfluss auf diese neuen Zugangszahlen. Wir hoffen, dass sie dann deutlich geringer werden.“
– Bundesinnenminister Thomas de Maiziere am 05.08.2015

„Deutschland zeigt sich gerade als starkes und mitfühlendes Land. Stark und mitfühlend: Das ist, glaube ich, das, was das Engagement vieler Menschen ausdrückt. Wir haben heute alle miteinander in den Gesprächen erst einmal denen gedankt, die das vor Ort machen – mit großem Engagement und meistens im Ehrenamt. […] Deswegen kann ich sagen, dass ich das von Thomas de Maizière vorgelegte Konzept ausgezeichnet finde und dass es aller Ehren wert ist, das jetzt sozusagen in die Praxis umzusetzen. “
– Sigmar Gabriel am 05.08.2015

Die Debatte in der deutschen Flüchtlingspolitik wirkt derzeit polarisiert, polarisiert im Angesicht von 335 rechten Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte im ersten dreiviertel Jahr 2015. Das offizielle Deutschland inszeniert eine „Willkommenskultur“ für Geflüchtete, die letztlich in komplette Selbstgerechtigkeit gipfelt, etwa im Rahmen einer Aktion von „BILD“ und Deutscher Fußballliga unter dem großen Motto „Wir helfen!“. Das Objekt der Hilfe wird kaum sichtbar an den Rand gedrängt, Geflüchtete sind hier beliebig austauschbar, durch Kinder, Obdachlose oder Straßenhunde in der Ukraine.

Staat auf dem Rückzug weiterlesen

Solidarität mit Refugees: Das Gegenteil von ‚gut‘ ist ‚gut gemeint‘

von @probablyzuerich (Gastautor) und Hugo Kaufmann

Während in Harvestehude der Bau einer Geflüchtetenunterkunft vorerst auf Eis liegt, nachdem einige Anwohner*innen geklagt haben und in diversen deutschen Städten nach wie vor, getrieben von einer diffusen Mischung aus Abstiegsängsten, Rassismus und Nationalismus, teilweise zig-tausende Menschen auf die Straßen gehen, wenn nicht gar schlimmer hetzen und attackieren, kann der Stern von einem Beispiel berichten, in dem eine kleine Gemeinde mit Geflüchteten gänzlich anders umgeht:

„Des sant auch Menschen, bloß a bisserl schwarz“

Solidarität mit Refugees: Das Gegenteil von ‚gut‘ ist ‚gut gemeint‘ weiterlesen

Rassistische Kommentare zu #GERGHA (Trigger-W.)

*TRIGGER-WARNUNG* // Der folgende Blogpost dokumentiert rassistische Kommentare // *TRIGGER-WARNUNG*

Dass vermeintlich unverkrampfter Patriotismus schnell in nationalistischen Chauvinismus und Rassismus umschlägt ist nichts Neues. Genauso ein alter Hut ist die Tatsache, dass rassistische Stereotype und Rassismus in der Gesellschaft weit verbreitet sind. Dennoch soll in diesem Blogpost eine Auswahl rassistischer Kommentare dokumentiert werden, die im Zusammenhang mit dem gestrigen WM-Spiel der DFB-Auswahl gegen die ghanaische Nationalelf bei Twitter geäußert wurden.

Noch mal die Trigger Warnung: Ab hier wirds bitter!

*Nachtrag 22.06.2014 16:30*
Da einige Twitter User ua. wegen dieses Blogsposts Morddrohungen erhalten sind nun alle Screenshots anonymisiert und die Links zu den Tweets entfernt. Wenngleich rassistische Kommentare unendlich scheiße sind, möchten wir für solche Reaktionen keine Verantwortung übernehmen müssen.

Rassistische Kommentare zu #GERGHA (Trigger-W.) weiterlesen

Tot geglaubt und doch vorhanden

Dieser Text erschien ursprünglich im transmitter 0313, der Programmzeitschrift des Freien Sender Kombinats Hamburg.

Nazis in den Fußballstadien

Ultras sind seit Monaten ein medialer Dauerbrenner. Als Ende letzten Jahres ein mittlerweile abgemildert verab- schiedetes Sicherheitskonzept des Ligaverbands diskutiert wurde, formierte sich schnell ein breiter Protest. Unter dem Motto „12:12 – Ohne Stimme keine Stimmung“ tat sich ein Großteil der Ultras und anderer Fans in Deutschland zusammen. Nur wenige Gruppierungen nahmen unter Verweis auf die dort gebildete Querfront nicht oder nur eingeschränkt teil. Die Protest- aktion war ein Erfolg und es waren auch die Fans, die zur Versachlichung der medialen Debatte um Gewalt, Randale, Pyrotechnik und sichere Stadien beitrugen.

„Ultrà“ ist ein Import aus Italien und gilt in Deutschland mittlerweile als größte Jugendkultur. Doch während sich in Italien der politische Straßenkampf ins Stadion verlagerte, gilt für die meisten deutschen Ultragruppen Politik als nicht mit dem Fußball vereinbar. Die wenigsten Ultragruppen in Deutschland positionieren sich politisch. Ausnahmen stellen beispielsweise Ultrà Sankt Pauli oder Filmstadtinferno Babelsberg als linke Gruppen, Inferno Cottbus als einzige offen rechte Gruppe*. Dabei ist der Einsatz gegen Kommerzialisierung und „für den Erhalt der Fankultur“ durchaus politisch. Darüber hinaus jedoch bedeutet die „unpolitische“ Schiene nur allzu oft eine Offenheit gegenüber rechtem Gedankengut.

Als die offen agierenden Neonazis und Reichskriegsfahnen aus den Fankurven verschwanden, kamen die Ultras in den Kurven auf; es wird ihnen als Verdienst angerechnet. Dabei ist der Zusammenhang gar nicht so deutlich: Das Erstarken der Ultrakultur fällt in den Zeitraum, in dem die extreme Rechte in Deutschland ihren Strategiewechsel vollzog. Die tumbe Naziglatze war verpönt und hatte ausgedient. Es galt, junge Menschen für rechten Lifestyle zu begeistern. Das Konzept der Autonomen Nationalisten entpuppte sich dabei als äußerst kompatibel mit der jungen deutschen Ultrakultur. Die gefühlte Einheitlichkeit der Fans im Protest konnte den politischen Konflikt unter den Ultras nur ähnlich notdürftig verschleiern wie das Schlagwort „unpolitisch“. Im Januar gab die linksorientierte Gruppe „Aachen Ultras“ (ACU) ihren Rückzug aus dem Stadion bekannt.

Seinen Anfang nahm der Aachener Konflikt im Sommer 2010. Eine kleine Gruppe hatte sich wegen unterschiedlicher Auffassungen von Ultrà von der Gruppe ACU abgespalten und binnen kurzer Zeit diverse Jungmitglieder der ACU um sich geschart. Die „Karlsbande Ultras“ (KBU) waren geboren. Dabei spielten auch politische Themen eine Rolle – so akzeptierten KBU Mitglieder die Neonazis am Aachener Tivoli als Teil der Fanszene, während ACU Nazis strikt ablehnten. Das Versprechen von Party und Gewalt schien vielen jungen Ultras attraktiver als kritisches Denken.

Die Trennung politisierte die Aachen Ultras zwar nochmals, sie führten aber fortan ein Randdasein. Die Karlsbande biederte sich schnell beim Rest der Fanszene an, darunter auch die extrem rechte Hooligangruppe Westwall, mit der es mittlerweile diverse Überschneidungen gibt. Von Doppelmitgliedschaften einzelner Leute über eine gemeinsame Zaunfahne bis zum Kampfsporttraining ist die offiziell „unpolitische“ Karlsbande mit den Nazihools vom Westwall verbandelt. Westwall besteht unter anderem aus Mitgliedern der seit 2012 verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“. Mitglieder der „Kameradschaft Alsdorf Eupen“ und weitere Einzelpersonen der extremen Rechten finden sich ebenso in der Aachener Hool-Kombo.

Die Aachen Ultras, die immer wieder auf die Verbindungen zwischen Karlsbande, Westwall und der Aachener Neonaziszene hinwiesen, galten am Tivoli schnell als Nestbeschmutzer und „szenespaltende Sambatruppe“. Von der Stadionöffentlichkeit und dem Verein wurde die politische Dimension des Aachener Fankonflikts stets heruntergespielt. Gerne wurde er zur Auseinandersetzung zweier gleichsam schuldiger Gruppierungen gemacht. Wenn politische Aspekte in die Beurteilung des Konflikts mit einflossen, war die Agitation der ACU das Problem, nie jedoch die rassistischen Einstellungen bei Teilen der Aachener Fanszene. Ähnlich sah das dem Vernehmen nach sogar der Fanbeauftragte. Der mangelnde Rückhalt sorgte letztlich dafür, dass die Gruppe ihr Engagement im Stadion eingestellt hat.

In Braunschweig versucht die Gruppe „Ultras Braunschweig 2001“ (UB01) nach vier Jahren Exildasein bei Wasser- und Handballspielen der Braunschweiger Eintracht wieder erste Schritte ins Fußballstadion. Der Konflikt in Braunschweig ist dem Aachener sehr ähnlich. Hier wurden Mitglieder aus der Gruppe UB geworfen, die eine neue Gruppe gründeten und rasch größer als die alte wurde. Auch hier wurden die Überbleibsel der alten Gruppe nach der Spaltung stärker (links) politisiert, während der Großteil der Braunschweiger Ultras sich in der „unpolitischen“ „Cattiva Brunsviga“ wiederfand. Die Gruppe Cattiva pflegt gute Kontakte zur Braunschweiger Hooliganszene, unter anderem der „Kategorie Braunschweig“ und den „Fetten Schweinen Braunschweig/Hungerhaken“ – ihrerseits Neonazis und mit der extremen Rechten verbandelt. Eine Broschüre der „Initiative gegen rechte Hooligan-Strukturen“ zeigt die Verbindungen der Braunschweiger Hooligan- und Neonazi-Szene. (Download: nonazisbs. blogsport.de).

Am Wochenende der Veröffentlichung dieser Broschüre besuchten UB01 gemeinsam mit anderen Ultras, Antifas und Journalist_innen das Heimspiel von Eintracht Braunschweig gegen VfL Bochum. Obwohl die Gruppe in die Nordkurve ging, also weit weg vom Braunschweiger „Szenebereich“, kam es zu Durchbruchversuchen von Kategorie Braunschweig und anderen Hooligans. Die Gruppe musste unter Polizeischutz mit einem Shuttlebus aus dem Stadion gebracht werden.

An viele Elemente von „Ultrà“ kann extrem rechte Ideologie gut anknüpfen, gerade bei politisch noch nicht gefestigten Jugendlichen. Das macht die „unpolitischen“ Gruppen so gefährlich und linke Gruppen so notwendig. Wenn sich, wie in Aachen, junge Menschen zum Programm der „Unpolitischen“, dem zwanglosen Gesaufe, Pöbeleien und ein bisschen Gewalt stärker hingezogen fühlen, kommen sie in Berührung mit rechtem Lifestyle. Das fängt bei Musik von den Onkelz und Frei.Wild im Auswärtsbus an und kann zum Wiesensparring mit der Kameradschaft Aachener Land führen.

Die Isolierung von Neonazis und extremen Rechten durch die Mehrheit der Fans ist notwendig, doch die meisten folgen der verinnerlichten Extremismustheorie. Sie nehmen vor allem die offene Agitation der „Linksextremisten“ als Problem wahr. Die Rekrutierung von Nachwuchs durch Rassisten und extreme Rechte geschieht meist im Verborgenen. Hinzu kommt ein verbreiteter Alltagsrassismus der Mehrheitsgesellschaft. Beides lässt extrem rechte Ideologie in den Augen der Masse zur Privatsache werden. Dadurch fehlt linken Gruppen die so wichtige Unterstützung. Dies und nicht die Pyrotechnik ist derzeit wohl die größte Gefahr in den Stadien derRepublik.

*Update 05.03.2013 – 19:07: Ursprünglich schrieb ich Inferno Cottbus sei die einzige offen rechte Ultràgruppierung in Deutschland. Das stimmt jedoch nur halb. Es gibt keine Stellungnahme der Gruppe, in der sie sich als politisch rechts äußern. Andererseits machen sie jedoch aus ihrer Einstellung keinen großen Heel, wie eine kurze Google Suche offenbart. Neben ihnen agieren auch die NS Boys (der Name ist kein Zufall, wenngleich er offiziell “nur” für “New Society” steht) aus Chemnitz durchaus offen rechts. Sie wenden sich sogar explizit in einer Stellungnahme gegen “Linksextremismus” im Stadion und ziehen daraus die Konsequenz selbst auch politisch handeln zu müssen. Wie im Text ersichtlich sind das nicht die einzigen Gruppen mit Neonazis in den Reihen und Verankerung in Neonazi-Strukturen, aber wohl die zwei herausragend offen auftretenden.

Brachland

 

Ja wo eigentlich, mag man sich fragen, vielleicht würden sie ja helfen. Doch bei näherer Betrachtung muss man die Frage stellen, wozu denn? Damit die wieder so dilettantische, halbgare Arbeit verrichten, wie bei ihrem letzten größeren Besuch? Dresden, München, Hamburg, Halle, Leipzig, Köln und Düsseldorf stehen noch. Berlin sowieso, und tausende anderer Städte und Gemeinden, vollgepropft mit dummdeutschem Mob.

Was aber hätte denn daran so schwer sein können, bummelige 550.000 Quadratkilometer „Deutsches Reich“ durch wohl dosiertes Flächenbombardement in unbewohnbares Brachland zu verwandeln? Die Alliierten schafften es nicht den Täterstaat zu solcher Unwirtlichkeit zu versteppen, dass sich nicht mal ein Sauron ihrer annehmen würde, weil sein geliebtes Mordor schlicht humaner (und humider) gewesen wäre.Wollten sie es etwa nicht? Heute wäre es jedenfalls nur noch ein grob 360.000 Quadratkilometer großes Betätigungsfeld, was letztlich ihrer Inkompetenz geschuldet ist, das erkämpfte Gebiet untereinander aufzuteilen. Die ideologische Zerreissprobe der Folgejahre zeichnete sich bereits ab. Der fehlende Wille kann also als plausible Erklärung gelten, man hatte andere Pläne.

Weder zwei verlorene Weltkriege noch eine Funktion als militärischer Prellbock (aka Wirtschaftswunder) konnten schlussendlich derartige Nominierungen für den Grimme-Preis verhindern und auch heute können die Alliierten wohl nicht helfen. Wo schon die Maya Weißsagung nicht griff, bleibt letztlich nur zu hoffen, die Apokalypse ließe nicht mehr so lange auf sich warten. Die Erwartung, alles würde sich noch irgendwie zum Guten* wenden, scheint vergebens.

So ärgern wir uns allein in den letzten 3-4 Monaten mit Pogromstimmungen, Wortschöpfungen wie „Asylmissbrauch“, Hetze gegen Sinti und Roma und die Unschuldsvermutung aussetzenden Urteilen eines demokratischen Rechtsstaates herum. Weite Teile der ach so demokratischen Bevölkerung dieser „Kulturnation“ treten vehement dafür ein, doch bitte weiter dem gemeinen Juden die Schuld allen Übels andichten zu dürfen, weil man das ja noch sagen dürfen müsse. Viele wehren sich dagegen, Schwarze und Poc nicht weiterhin mit dem N-Wort bedenken zu dürfen, da das ja schon vor 30 Jahren nicht mehr bös’ gemeint gewesen wäre. Weite Teile befinden auch, Frauen sollten sich nicht so anstellen, wenn Männer sie etwas „unbeholfen anflirteten“.

Eine Mehrheit der Bevölkerung kann und will sich offenbar vom tief verwurzelten Vertrauen der eigenen Überlegenheit nicht lösen. Ihre Israelkritik äußert sich in Antisemitismus, ihre Literaturkritik in Rassismus und letztlich bedeutet ihre Verteidigung gegen die „feministische Hysterie“ (allein schon…) nicht weniger, als dass man von der Vorstellung, die Frau habe dem Vaterland vor allem reichlich Kinder zu schenken, noch nicht so recht abrücken mag. Man weiß ja nie, wofür man die Gören noch brauchen könnte.

Wie schön doch Brachland gewesen wäre.

*Das reine und pure Gute, auf Erden verkörpert vom gemeinen Quokka:

Flickr: Loetifuss
Flickr: Loetifuss

PS: Dieser Post dürfte Spuren von Ironie und diesem Satire erhalten, das stets so wenige verstehen.

Das N-Wort bedeutet Rassismus

Eine eigentlich unnötige Debatte

Derzeit wird eine Debatte darüber geführt, ob in Kinderbüchern diskriminierende Begriffe, wie das N-Wort, weiter Verwendung finden sollten. Eigentlich sollte diese Diskussion überflüssig sein. Die Debatte nervt und sie wird in einer Intensität geführt, gerade von Seiten der Verfechter, dass man beinahe überrascht sein könnte. Das einzig Erfreuliche in dieser Debatte sind die mitunter enorm guten Äußerungen einiger Menschen dazu. Eine kleine Auswahl möchte ich euch daher zum Einstieg nicht vorenthalten. Lest die Texte und lest sie aufmerksam. Nicht wenige der Autor_innen mussten und müssen selber Diskriminierungserfahrungen machen und wissen daher, wovon sie reden. Gerade ihnen gilt es zuzuhören. Sie haben zu diesem Thema weit Gewichtigeres zu sagen, als Weiße.

Gute Texte finden sich bei Der braune Mob e.V.Bühnenwatch, Mädchenmannschaft eins und zwei, Accalmie (ohnehin sehr zu empfehlendes Blog), Shehadistan eins, zwei und drei, Metalust und Subdiskurse einszwei und drei, Gleisbauarbeiten, zoon politikon, Tagesspiegel.

Besonderes Augenmerk verdient die kleine Ishema, die, wie wohl schon alle gesehen haben, in einem Leserbrief der ZEIT-Redaktion deren weiße Selbstgefälligkeit um die Ohren schmettert:

Was ist eigentlich Rassismus?

Was Rassismus eigentlich bedeutet wird dankenswerter weise vom braunen Mob anschaulich und auszugsweise beleuchtet:

„Rassismus heißt nicht, eine bestimmte „Rasse“ zu „hassen“, sondern zu glauben, dass Menschen wegen ihrer biologischgeografischen Herkunft „angeboren“ oder „naturgemäß“ über spezifische Vorlieben, Talente, Neigungen oder Charakter-Eigenschaften verfügen.

Rassismus ist unter anderem:

  • der Reflex, die Strassenseite zu wechseln wenn einem zwei Schwarze entgegenkommen.
  • eine Frau als „Cappuchinoschönheit“ zu bezeichnen.
  • zu finden, dass „Schwarze super singen können“ und nochmal nachzufragen, ob der Schwarze Rechtsanwalt „wirklich Rechtsanwalt ist“, nur um ganz sicher zu gehen.
  • Schwarze Deutsche zu fragen, wo sie „wirklich herkommen“ und ob der „Papa oder die Mama Schwarz“ sei.
  • zu sagen „wir haben doch schon einen Schwarzen in der Band, noch einer muss nicht sein“.
  • zu sagen „ich kenne viele Schwarze also kann ich kaum Rassist sein“ oder „in Deutschland gibt es doch gar nicht soo Rassismus“.
  • zu ignorieren, dass unsere Gesellschaft weiße Menschen strukturell und institutionell stark bevorzugt, und dadurch sein weißes Privileg zu leugnen.

Am Wochenende auch mal mit Schwarzen auszugehen bedeutet nicht automatisch, dass man kein Rassist ist. Ebenso wenig wie mit vielen Frauen zu sprechen nun mal nicht bedeutet, dass man „kein Sexist sein kann“.

Rassismus hat so an sich, dass ihn vor allem diejenigen bemerken, die davon betroffen sind. Falls einzelne weiße Deutsche Rassismus nicht ständig erfahren, dann ist das sehr erfreulich, heißt aber leider nicht, dass es ihn nicht oder nur selten gibt, sondern nur dass sie ihn nicht mitbekommen weil sie nicht die Zielscheibe sind. Zu behaupten, es gäbe „kaum Rassismus“ ist eine der beleidigendsten Aussagen, die man als nicht-Betroffener tätigen kann, weil sie die täglichen Erfahrungen hunderttausender Leute, die das nunmal besonders gut beurteilen können, ignoriert und sich auf anmassende und verletzende Art „über“ sie stellt: bei allem was sie mitmachen müssen, wird das nun auch noch bestritten. So etwas ist bestenfalls ignorant.“ (Der braune Mob e.V.)

Wir haben alle rassistische Stereotype verinnerlicht, denn wir wachsen nicht im luftleeren Raum auf, sondern werden in dieser Gesellschaft sozialisiert. Wir wachsen mit N*Küssen, N*königen und so weiter auf. Eventuell reflektieren wir später, dass das ja eigentlich falsch ist, nur sind die Stereotypen tief verankert und werden sogar aggressiv verteidigt, wie die aktuelle Debatte zeigt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der PoC strukturell benachteiligt sind. Wir genießen Privilegien, die für uns selbstverständlich sind. Da können wir im einzelnen oftmals nichts für, trotz allem ist diese Struktur rassistisch und auch wenn wir uns unsere weiße Haut nicht ausgesucht haben, schadet ein kritisches Hinterfragen der eigenen Privilegien nicht. Nein, wenn wir irgendwann mal zu einer Symmetrie kommen wollen, die überhöhte Vormachtstellung von Weißsein durchbrechen wollen, ist es sogar unsere Aufgabe genau das zu tun. Wer das nicht als die Gesellschaft ansieht, zu der wir werden müssen, ist Rassist und nicht weniger, als ein Rassist! Wer meint, er müsse seine Privilegien eben nicht hinterfragen, weil er sich gerne in die Rolle des ja-auch-hin-und-wieder-Betroffenen verdrückt (Stichwort „Deutschenfeindlichkeit“, du arme „Kartoffel“, jajaja…) hat Rassismen so sehr verinnerlicht, dass er eigentlich an der eigenen Kotze ersticken müsste.

Was wiegt wohl schwerer, die „Last“ die nicht ausgesuchten Privilegien kritisch zu reflektieren, oder die Last mit nicht selbst gewählter (das tut niemand!) Diskriminierung tagtäglich umgehen zu müssen. Wer soll sich also nicht so anstellen, wegen diskriminierender Begriffe? Die, die davon profitieren, oder die, die darunter leiden? Wir haben nicht darüber zu entscheiden, ob ein Wort oder eine Handlung diskriminiert, wir sind die verschissen privilegierte Mehrheit. Was diskriminiert, wird von den Betroffenen definiert, da haben wir nicht mitzureden, sondern nichts anderes zu tun als zuzuhören und das ernst zu nehmen!

Als weißer, heterosexueller Mann gehöre ich zur privilegiertesten Gruppe in dieser Gesellschaft. Diskriminierung erlebt man so im Prinzip keine. Am ehesten noch gibt mir das Wissen aus der Schulzeit eine Ahnung davon. Ich habe gelernt, dass auf dumme Sprüche mein Gewicht betreffend meist Gewalt folgte. Das ist bei weitem kein Vergleich zu dem, was Schwarze und PoC in unserer Gesellschaft gewaltsam erdulden müssen. Das versetzt mich lange nicht in die Position wissen zu können, wie sich Menschen fühlen, wenn sie durch Begriffe wie das N-Wort getriggert werden; was das in ihnen hervorruft.

Und eines muss eingangs eben noch festgehalten werden, ganz gleich wie Antifa und Antira und was-weiß-ich man sich fühlt. Man ist eben nicht einfach kein Rassist und man wird auch nicht einfach Rassist, wie der braune Mob ganz richtig schreibt. Man lebt in einer rassistischen Gesellschaft und dem kann man sich nicht erwehren. Man kann nur fortwährend versuchen weniger rassistisch zu sein. Nein das muss man.

Weiße „Zivilisation“ und deutsche Geschichte

„Why have a civilisation if we are no longer interested in being civilized?“, fragt sich der Protagonist Frank im Film „God bless America“. Die Zivilisation sieht der weiße Mann zugrunde gehen, da im Fernsehen weiße Menschen von anderen weißen Menschen gedemütigt werden (es sind nur weiße). Doch weiße Zivilisation war nie sonderlich human. Seit mehreren hunderten Jahren bedeutet westliche, weiße Zivilisation vor allem die Unterdrückung und Ausbeutung des „Anderen“.

Das deutsche Geschichtsbewusstsein scheint auf die Zeit von 1933 bis 1945 limitiert zu sein. Alles davor wird dadurch irrelevant, alles danach wird dadurch gut, human, demokratisch. Rassismus in Deutschland wird zu einem historischen Ausrutscher verklärt. Durch dieses Geschichtsverständnis kann nicht nur die Zeit des NS nicht adäquat gefasst werden, der Maßstab für das, was Rassismus sein darf, verschiebt sich. Der Blick auf die eigene Geschichte wird verschleiert. Es scheint als gelte den Deutschen der Holocaust stets als Maßstab für Diskriminierung, doch der war keine Diskriminierung, sondern Völkermord einmaligen Ausmaßes. Er war kein kollektiver Mordrausch, nicht „nur“ eine Serie von Pogromen. Dieser Genozid war und ist in seiner Planung bis zur „Endlösung der Judenfrage“ einzigartig. Die Auseinandersetzung damit ist Pflicht, nur heißt das aber nicht, dass all das was nicht an die Qualität dessen herankommt nicht so schlimm ist. Genau das passiert aber nur zu häufig. All das, was die einmalige Qualität der Shoah nicht erreicht, gilt den Deutschen als „nicht so schlimm“, „kein Antisemitismus“ oder eben „kein Rassismus“. Die Aufarbeitung des Singulären legt sich, absurder weise, wie ein Schleier über die Debatte um Diskriminierung. Auf diese Weise werden Rassismus und rassistische Strukturen in Deutschland relativiert.

EDEKA leitet sich von E.d.K., also „Einkaufsgenossenschaft deutscher Kolonialwarenhändler“ ab. An der Kasse dieses nur zu gern vergessenen Relikts des deutschen Kolonialismus steht Bloggerin Anneke Gerloff mit der aktuellen Ausgabe der ZEIT und kauft sich die Zeitung mit den Illustrationen schwarzer Menschen aus diversen Kinderbüchern auf dem Cover. Zusammengestellt zu einer Collage, die dem Gefühl weißer Mehrheitsgesellschaftler Ausdruck verleiht, von politisch korrekter Sprache zensiert zu werden. Mit dem Leitartikel der Ausgabe findet sich für diese Angst mit Ulrich Greiner der vermeintlich Mutige, der sie ausspricht.

Ohne „die Anderen“ funktioniert Rassismus nicht

Der Begriff der Zensur allein, das Klammern weißer, deutscher Feuilletonisten an diskriminierende Begriffe bedeutet in diesem Kontext nicht weniger, als Widerstand gegen eine Gesellschaft frei von bzw. mit weniger Rassismus und angeborenen Privilegien. Und es bedeutet das Ausklammern und Unterdrücken der Erfahrungen der Betroffenen, als hätten die keinen Wert. Es ist ein zwanghaftes Festhalten am Status Quo einer Gesellschaft, in der vor allem weiße Mittelstandskids eine Chance haben. Denn das N-Wort ist kein Relikt des deutschen Kolonialismus, wie EDEKA, es ist gelebte rassistische Kontinuität. Es steht für den Kolonialismus und die Welt- und Menschenbilder, die ihm seine angebliche Legitimität gaben. Es sind diese Bilder, die in den Köpfen der Menschen fortwirken. Es ist die Entmenschlichung, die in diesen Bildern steckt und bis heute wirkt.

Wie kleine Jungs in der Schule, die durch das Sagen eines „bösen Wortes“ ein Tabu brechen, freut sich der weiße, deutsche Feuilletonist, das N-Wort am Leben zu halten. Doch es handelt sich bei dem Begriff nicht um ein gewöhnliches, gesellschaftlich geächtetes Wort, welches einfach nur ein gesellschaftlich anerzogenes Tabu bricht. Mit diesem Begriff werden „die Anderen“ markiert. Dieser Begriff ist konstitutiv für eine Denkweise, in der sich Attribute an zugeschriebenen sozialen Kategorien, hier also Schwarz bzw. nicht-weiß, festmachen lassen. Gesellschaften in denen das N-Wort gelebte Realität ist, sozialisieren Kinder mit dem Gefühl der Andersartigkeit. Es sind die weißen Kinder, die lernen, dass es noch andere gäbe, es sind die schwarzen Kinder, die lernen, dass sie angeblich anders und nicht von hier, sondern etwa aus der Südsee seien.

Diese Sozialisation setzt sich durch. Ein Fleischhauer oder ein Greiner mögen denken, das sei nicht so schlimm und die Menschen könnten das durchaus kontextualisieren. Doch sie unterschätzen die Subtilität mit der Rassismus wirkt. Sie merken ja offenkundig selber nicht einmal, wie sie selbst rassistische Stereotype reproduzieren. Es ist kein Ausdruck von Freiheit mit dem Beibehalten diskriminierender Begriffe Stereotypisierungen zu reproduzieren. Im Gegenteil: Es schränkt die Freiheit der Betroffenen ein, also ist es Freiheitsberaubung. Es ist genau diese Stereotypisierung, die Rassismus bedeutet und die darüber hinaus die Grundlagen für die radikale Auslebung dieser Ideologie schafft. Durch Begriffe, wie das N-Wort werden „die Anderen“ markiert. Dieses Wort transportiert eine Hierarchisierung vermeintlich verschiedener Menschengruppen. Schwarzen und PoC werden dadurch „naturbelassene“, „unzivilisierte“, „archaische“ und weitere „minderwertige“ Attribute zugeschrieben. Das ist die historische Komponente des Wortes und die steckt da einfach immer drin. Da helfen keine Bekundungen man meine es nicht so oder man könne das ja reflektieren. Das hat kein Weißer zu entscheiden! Kein Neonazismus, kein Rassismus, keine extrem Rechte Ideologie kann funktionieren ohne die Markierungen von „Wir“ und „Die“, von Norm und Abweichung. Wie kann jemand von sich behaupten, Nazis scheiße zu finden, eine notwendige Bedingung für deren Ideologie – den Rassismus – aber fortwährend reproduzieren?

Die deutsche Blutgemeinschaft

Das ius sanguinis  bedeutet Abstammungsprinzip und es gilt in Deutschland. Nach diesem Prinzip richtet sich die Nationalität eines Menschen nach der Nationalität der Eltern. Wenn du also am Nordpol geboren wirst und deine Eltern sind deutsch, dann bist du nach diesem Prinzip ebenso deutsch. Dieses Prinzip folgt also der Vorstellung einer „Blutlinie“. Dem Gegenüber steht das ius soli, das Geburtsortsprinzip, das 2000 ergänzend in Deutschland eingeführt wurde (mit der Umsetzung dessen ist auch wieder genug rassistische Scheiße verbunden, aber das soll hier jetzt nicht Thema sein). Trotz ius sanguinis und trotz immensem Weißbrotüberschuss gibt es natürlich Schwarze Deutsche und PoC mit deutscher Staatsbürgerschaft und das nicht erst seit neuestem. Dennoch hat sich dieses Abstammungsprinzip der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft offenkundig bis in die letzte Gehirnwindung gefressen. Mehrheitlich sehen sie sich als weiße Blutgemeinschaft, in der alle, die nicht weiß sind, nicht so richtig deutsch sind. Ich will jetzt nicht darauf eingehen, wie scheiße Nationalstaaten ohnehin sind, das führt an dieser Stelle zu weit. Wenn sich aber in dieser unsäglichen Debatte schon von Herrn Greiner auf das Grundgesetz bezogen und Rat in Form des Artikels 15 (Zensur) geradezu an den Haaren herbeigezogen wird, dann sei doch auch noch auf den Artikel 3 eben dieses Grundgesetzes verwiesen, der in dieser Debatte nämlich viel wichtiger ist und in dem steht:

Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden

Und wenngleich hier der seit einer gefühlten Ewigkeit als wissenschaftlicher Bullshit erwiesene Begriff der „Rasse“ Verwendung findet, und wenngleich es die Verfassung eines Nationalstaates ist, also niemals wirklicher Ausdruck von Antirassismus sein kann (hier könnte man jetzt einen riesigen Exkurs aufmachen, aber das lassen wir jetzt mal, geht doch einfach in ’ne Bibliothek und lest nach worauf ich hinaus will), ist es doch dieser Artikel 3, der deutsche Feuilletonisten aufhorchen lassen sollte und nicht der fünfzehnte. Es ist dieser Artikel, der in unserer Gesellschaft kaum Beachtung findet und der durch das zwanghafte Wehren der N-Wort-Verfechter mit Füßen getreten wird.

Kindern die Angst vor Fremden nehmen, übrigens, wird obsolet, wenn man Kindern nicht erst beipult es gäbe Fremde.

Literaturtipps:

Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.): „Mythen, Masken und Subjekte: Kritische Weißseinsforschung in Deutschland“
Noah Sow: „Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus“

Und grundsätzlich gilt: HÖR ZU verdammte Axt und hör auf damit dich Arier als armes Opfer von Diskriminierung hinzustellen. Bist du nicht!

Grundsätzlicher Dank an den braunen Mob e.V. deren Website in Fragen bezüglich Rassismus (besonders für Journalisten und Blogger) grundsätzlich erste Anlaufstelle sein sollte. Für diverse hilfreiche Tipps, Hinweise, Kritik und Anregungen während der Entstehungsphase dieses Blogposts danke ich @momorulez und @liebtdi_ch

Rainer Wendt im Sprachrohr der neuen Rechten

Der wohl beinahe allen Fußballfans bekannte Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) sorgt wieder mal für Aufsehen. Während seine Dienstskollegen dem Mitglied der Piratenpartei Meinhart Ramaswamy offenbar ohne ersichtlichen Grund den Zutritt zum Atommüllzwischenlager in Gorleben verwehren steht „Uns Rainer“ der Jungen Freiheit wieder mal Rede und Antwort, dieses Mal in einem Interview. Nicht das erste Mal, dass Wendt mit der Jungen Freiheit zusammengearbeitet.

Im Oktober 2011 hatte Wendt im „rechtskonservativen“ (wenn das das Sprachrohr der neuen Rechten mal nicht verharmlost…) Blatt bereits einen Kommentar verfasst. Er sprach damals von „kranken Geistern” und warnte vor einer neuen Terrorgefahr. Seine Konsequenz:

„Deshalb muß der Staat seine Verfassungsschutzbehörden besser ausstatten und die Überwachung des linksextremen Spektrums zum Schwerpunkt machen.“ (Rainer Wendt in Junge Freiheit 13.10.2011)

Gut einen halben Monat später flog die Terrorzelle „NSU” auf. Ihre Akteure waren aber keine „Linksextremisten” sondern stramme Nazis, eventuell gar Leserschaft der Jungen Freiheit. Im Zuge der nach wie vor laufenden Aufarbeitung der Mordserie offenbarte sich ein bundesweites Versagen der Verfassungsschutzbehörden, die Wendt im Kampf gegen den Terror stärken wollte. Schon früher hatte Wendt vor einer „Renaissance des linken Terrors der Siebziger“ gewarnt. Auch wenn er nicht falscher hätte liegen können, ist es wohl nicht unwahrscheinlich, dass er an seinen Aussagen weiter so festhalten würde.

Im Februar 2011 forderte Wendt Wolfgang Thierse zum Rücktritt auf, nachdem dieser es gewagt hatte den Polizeieinsatz beim damaligen Naziaufmarsch in Dresden (bzw. den entsprechenden Gegenaktivitäten, an denen er teilgenommen hatte) zu kritisieren.

„Thierse ist eine Schande für das deutsche Parlament. Ich habe großen Respekt vor dem Bundestag, aber ich schäme mich für seinen Vizepräsidenten. Er muß zurücktreten“ (Rainer Wendt ggü Junge Freiheit 23.02.2011)

Unklar ist, wieviele Polizisten sich für Rainer Wendt schämen.

Gut ein Jahr nach Auffliegen des NSU wählte Wendt wieder die Junge Freiheit, um seine Kritik am Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschuss, den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, loszuwerden.

„Diese Rassismuskeule gegen die Polizei ist unerträglich“ (Rainer Wendt ggü Junge Freiheit 02.11.2012)

und

„Von einem Vertreter einer solch alten und staatstragenden Partei hätte ich mehr Differenz und Niveau erwartet“ (ebd.)

Edathy hatte institutionellen bzw. strukturellen Rassismus bei der Polizei angesprochen. Für Wendt scheinbar unerträglich und Zeichen fehlenden Niveaus. Allein schon. Was er wohl erst zu diesem Interview sagen würde?

Dass Wendt nun der Jungen Freiheit ein Interview gegeben hat, in dem er sich über zu lasche Justiz und antiautoritäre Erziehungsmethoden auskotzt ist also wenig verwunderlich. Vielmehr pflegt er eine alte Freundschaft, wenngleich er einst behauptete dieser Zeitung „zurückhaltend gegenüber“ zu stehen.

In einem Beitrag bei „Mut gegen rechte Gewalt“ heißt es ganz richtig:

„Ihre [Junge Freiheit] Position zu legitimieren und sie in dem Versuch, sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben, zu bestärken, muss aber nicht sein. Wenn der Bundesvorsitzende einer Polizeigewerkschaft, Statements und Kommentare der „Jungen Freiheit“ zur Verfügung stellt, geschieht allerdings genau das.“

Dem Problem wird jedoch nicht damit beizukommen sein, dass Wendt Aufhört die JF als akzeptables Medium zu werten, sondern dadurch, dass die Gesellschaft begreift, dass der demagogisch agierende Gewerkschaftsvorsitzende durchaus fragwürdige Ansichten vertritt. Jemand der selbst nicht für voll genommen wird, kann auch kein rechtes Blatt legitimieren. Darüber hinaus wäre ein Rücktritt natürlich begrüßenswert, dies wurde aber schon im Februar 2012, als Reaktion auf Wendts Attacken gegen Thierse, vergeblich von Marlies Volkmer (SPD) gefordert.

*Die JF wird hier aus Prinzip nicht verlinkt.

Das „Sicherheitsproblem“ des deutschen Fußballs

Gewalt im Fußballkontext ist entgegen landläufiger Behauptungen rückgängig. Trotz allem entfaltete sich zuletzt eine Dynamik in der Debatte um sichere Stadien, die tatsächlich noch nie dagewesene Dimensionen erreichte. Es ist daher wahrscheinlich nur eine kurze Phase, nun zum Beginn der Saison, dass die Diskussion um das angebliche Gewalt- und Sicherheitsproblem im deutschen Fußball auf einer weniger populistischen Ebene, als zum Ende der letzten Saison, wo im Rahmen des verfrühten Platzsturms der Düsseldorfer Anhängerschaft Politiker_innen und Medienvertreter_innen eine (mal wieder) neue Dimensionen der Randale herbeiphantasierten und gegen „ein paar Bumsdumme“, „Kurventaliban“, etc. hetzten, neu aufgenommen wird. Bereits in der Sommerpause bemerkten einige Medienvertreter_innen im Rahmen ihrer Berichterstattung zur Sicherheitskonferenz, dass es ja tatsächlich merkwürdig anmutet, wie Entscheidungen zu Fanthemen in einer gar spontan wirkenden Zusammenkunft und ohne Fans getroffen werden. Eine leichte Abkehr vom Populismus zeichnet sich ab – er wirkt dennoch auch in der aktuellen Diskussion, er ist die treibende Kraft.

Die Sicherheitskonferenz

Durch das jüngst ausgelaufene Ultimatum der Fanvertreter_innen in der AG Fanbelange und die, zwar nicht sonderlich zufriedenstellende, aber immerhin vorhandene und im Ansatz deeskalierende Reaktion seitens des DFB, hat die Debatte neue Fahrt aufgenommen. DFB-Sicherheitschef Hendrik Große Lefert schiebt im Interview mit der taz die Schuld gar durchweg vom DFB in Richtung der Politik, die ihmzufolge großen Druck ausübe. Tatsächlich werden populistische Forderungen, gerade seitens der Innenminister (Bund wie Länder), immer lauter. Ob hier tatsächlich ein großes Problem gesehen wird, oder das Thema dazu dient Wahlkampf zu machen, kann hier nicht beurteilt werden, es sei aber festgestellt, dass der politische Druck mit der Berichterstattung in Folge der Ereignisse in Dortmund und Düsseldorf zum Ende der letzten Saison nicht gerade gesunken sein dürfte. Auch die Forderungen der Polizeigewerkschaften spielen sicherlich in das Agendasetting der Innenminister mit hinein. Nicht unwahrscheinlich also, dass es eine Mischung aus all dem ist, die uns diese Diskussion beschert.

Große Lefert merkt in Bezug auf diesen Druck der Politik auf den DFB nun an, so sehr sei man gar nicht für ein 10-Jähriges Stadionverbot, um dann aber sofort hinterherzuschieben, dass dies natürlich in „extremen Fällen“ angebracht sein könne. Die Frage drängt sich auf, nach welchen Maßstäben dies gemessen werden soll? Vielleicht, wenn sich mal wieder Fußballfans gegen Nazis zur Wehr setzen und damit Antirassismus und Antifaschismus mit Leben füllen. Für den DFB scheinen diese Begriffe lediglich medienwirksame Lippenbekenntnisse zu sein, anders ist nicht zu erklären, dass es zwar hier und da mal die rote Karte für Rassismus gibt, ansonsten aber im Zweifel nicht auf rassistische Vorfälle reagiert wird. Ist dies doch mal der Fall, steht die Strafe in keinem Verhältnis zu anderen Strafen; bei Homophobie und Sexismus scheint der DFB gänzlich blind zu sein.

Die dem Ganzen zugrundeliegende Sicherheitskonferenz versucht Große Lefert hingegen als medial falsch transportiert zu präsentieren, sie sollte „die Position und die Philosophie der Vereine dokumentieren“. Vor allem aber dokumentiert der DFB in diesen Worten und mit diesem Vorhaben sein verschobenes und antiquiertes Fan- und Gesellschaftsbild. Dass auf diese Weise völlig falsche Signale gesendet werden, begreift der DFB offenbar nicht. Das große Glück des DFB ist, dass trotz dieser, so erwartbar wie enttäuschend, schwachen Antwort, der Dialog in der AG Fanbelange kein Ende finden wird.

Darauf konnte der DFB jedoch trotz der unbefriedigenden Antwort spekulieren, schließlich hätte ein Abbruch der Gespräche der derzeit wirkenden Dynamik sicherlich weiteren Anschub geleistet. Mit dem Bekenntnis für den Erhalt der Stehplätze seitens Hendrik Große Lefert wurde auch der wohl wichtigste Kritikpunkt entkräftet, wirkte die Befürchtung eines Rückbaus der Stehplätze doch wie eine Drohung, die der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte Michael Gabriel nicht zu Unrecht als gefühltes Damoklesschwert charakterisiert.

Die Verbannten mit uns

Der weitere große Punkt, die Stadionverbote, ist jedoch, wie bereits angerissen, mitnichten vom Tisch. Die geplante Ausweitung des „Strafrahmens“ auf zehn Jahre ist, wie Jakob Falk von ProFans treffend formulierte, ein „Schlag ins Gesicht„. Die Signalwirkung dieses Politikums ist frappierend. Bereits die jetzige Regelung, die Stadionverbote mit einer Höchstdauer von 3 Jahren vorsieht, steht zurecht in der Kritik. Die intransparenten Verfahren fördern das Vertrauen in diese Disziplinarmaßnahme nicht. Eher noch wird das Misstrauen durch immer wieder publik werdende Fälle unschuldiger Empfänger eines solchen Verbotes gestärkt. Die Betroffenen haben nur bei wenigen Clubs die Möglichkeit zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und immer häufiger tritt die Polizei mit ihren Gesuchen nach einem bundesweiten Stadionverbot direkt an den DFB, wie bei den jüngsten Stadionverboten in der Fanszene des FC St. Pauli. An Schreibtischen in der Frankfurter Verbandszentrale des DFB kann keine Situation, die zu einem Stadionverbot führen soll, erörtert werden, dort darf nicht Recht gesprochen werden!

Das Mittel des Stadionverbots löst weniger Probleme, als es erst schafft, was inzwischen selbst einige Vertreter_innen der Polizei erkannt haben.

Zumeist bleiben sie weiterhin in ihren Gruppen und fahren nach wie vor organisiert zu jedem Heim- und Auswärtsspiel. Allerdings verbringen sie die 90 Minuten Spielzeit dann häufig an anderen Orten.

Dass dadurch, wie im verlinkten Spiegel Online Artikel, der Hooltra konstituiert wird, trifft sicherlich nicht immer, durchaus aber in einigen Fällen zu. Dies bestärkt nicht nur die These, delinquente Milieus würden im Fußballkontext systematisch erzeugt, sondern dient leider auch wieder als Grundlage für populistische Hetze. Obgleich dieser zusätzliche Arbeitsaufwand für die Polizei eigentlich eine deutliche Sprache sprechen sollte, eben gegen die Maßnahme des Stadionverbots, fordern Innenminister (sic!) und Polizeigewerkschaftler_innen weiter das Mittel bis zum Äußersten auszureizen. Darüber hinaus werden, beispielsweise in München, gerichtliche Kontaktverbote verhängt, womit jungen Menschen verboten ist, den Kontakt zu ihrer Gruppe zu pflegen. Die „resozialisierende Wirkung“ des Verbots, Umgang mit den eigenen Freunden zu haben, erkläre mir mal jemand. In den Augen einiger Sicherheitsfanatiker scheint das jedoch Sinn zu ergeben.

Ohne eine solche völlig überzogene und rechtlich fragwürdige, in den meisten Fällen keinesfalls tragbare Maßnahme, wird „Die Verbannten mit uns“ glücklicherweise stets mehr als eine Phrase oder Solidaritätsbekundung der Fußballfans mit ihren ausgesperrten Freunden sein: gelebter Alltag.

Fortschreitende Kriminalisierung

Während also das Gewaltproblem, so diese Formulierung nicht ohnehin schon eine Übertreibung darstellt, tatsächlich kleiner wird, scheuen sich diverse Protagonisten des Sicherheitswahns nicht, immer abstrusere Maßnahmen zu fordern oder umzusetzen. Generalbundesanwalt Harald Range forderte im Mai diesen Jahres elektronische Fußfesseln und Hausarrest für „notorische Hooligans“, was eine verfassungswidrige Verschärfung ohnehin schon praktizierter Meldeauflagen wäre. Die Polizei setzt derweil auf V-Leute in den Fanszenen, wie im Fall eines Nürnberger Fans. Vielleicht, so könnte man beinahe meinen, würden dann ja Gruppenverbote an den V-Leuten scheitern… wenn es nur nicht so traurig wäre.

Fußballfans werden immer stärker zu Terrorist_innen hochstilisiert, stets natürlich mit dem Verweis auf „die wenigen Radikalen“, derer man habhaft werden müsse und von denen sich die „große Summe der friedlichen Fans“ zu distanzieren habe. Mit dieser Rhetorik werden nicht nur Sachverhalte unzulässig vereinfacht und Fans in nicht zutreffende Kategorien einsortiert, es werden die wahren Probleme verschleiert.

Um nur ein Beispiel eines „wirklichen Problems“ zu nennen, sei auf die Einsätze der Polizei im Rahmen von Fußballspielen verwiesen. In geschlossenen Einheiten der Bundespolizei und der Bereitschaftspolizeien und BFE der Länder herrscht Korpsgeist und Machismo. Dort geht es um „Kriegermännlichkeiten“, um Abschottung, um Vergangenheitsverklärung und Mythenbildung, um Spaß am Erlebnis in der Gruppe und um Verteidigung der eigenen Autorität. Polizeibeamt_innen, die im Einsatz mit Fußballfans konfrontiert werden, sind von konservativen Wert- und Autoritätsvorstellungen geprägt, wodurch unausweichlich Reibungspunkte entstehen. Doch da sie überhaupt nicht geschult sind, mit verbalen Anfeindungen und dem Untergraben ihrer Autorität klarzukommen, eskaliert die Lage oft. Anstatt vernünftige (Aus- und Weiter-)Bildungsarbeit bei Polizist_innen zu leisten, versteifen sich die Lobbyisten der Polizeigewerkschaften in hanebüchene Theoreme über gestiegene Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamt_innen. Um die empirisch auch nur im Ansatz haltbar zu machen, wird der Gewaltbegriff zunehmend verwässert, so dass bereits polizeikritische Haltungen als Gewalt gewertet werden. Dass das angesichts oben beschriebener Wirkungen zwischen Fans und Polizei einer Lösung des Konfliktpotentials nicht zuträglich ist, liegt in der Natur der Sache.

Ewiger Irrglaube

In Deutschland gibt es kein Gewalt- oder Sicherheitsproblem im Fußball. Es gibt ein Populismusproblem in Politik und Gesellschaft. Es ist aber leider nicht damit getan, „die Vernünftigen“ dazu aufzufordern, „die Radikalen“ auszugrenzen. Dieser Irrglaube herrscht schon viel zu lange vor.

Nachtrag: Pünktlich zur Veröffentlichung dieses Blogposts, bläst Rainer Wendt zum unzähligsten Male in das Horn einer Beteiligung der Vereine und Verbände an den Kosten der Polizeieinsätze. Wenn Herr Wendt so sehr an den Haushalten von Bund und Ländern interessiert ist, sollte er sich vielleicht dafür einsetzen, mit nüchternem Blick auf die sicherheitsrelevanten Zahlen im Kontext des Fußballs zu gucken und entsprechend Polizeikräfte abzuziehen. Wie wissenschaftlich bewiesen ist, führt weniger Polizei in der Regel auch zu weniger Konflikt und das wäre ja dann eine gewaltreduzierende Spirale und kosteneffizient und… Entschuldigt, ich vergaß, es ist Rainer Wendt, Chefpopulist.

Zweiter Nachtrag: Die Belastung für Polizist_innen ist auch ganz hoch. Nochmal: Einfach nicht so ein Bohei machen…

White Charity – wer hilft da eigentlich wem?

Während vor dem Fenster vereinzelte Schneeflocken vorbeirieseln um auf dem noch zu warmen Boden umgehend zu schmelzen ist die Mönckebergstraße vermutlich gerade proppevoll mit weißer Mehrheitsgesellschaft auf der Jagd nach den letzten Weihnachtsgeschenken für ihre Liebsten. Während sie das tun, stapfen sie auf der Suche nach etwas Schmalzgebäck vorbei an Plakatwänden und Werbetafeln durch den eiskalten Wind.

Diese Wasserbauchkinder verderben mir den Appetit (KIZ – Rauher Wind)

Ein schöner Film zur Reproduktion rassistischer Stereotype durch Plakatkampagnen großer deutscher oder europäischer Hilfsorganisationen kann seit dieser Woche online betrachtet werden:


  (Der Film ist deutschsprachig – die englischsprachigen Passagen sind untertitelt. Mit einem Klick auf „CC“ im Videofenster zu aktivieren) White Charity – wer hilft da eigentlich wem? weiterlesen