„Das Dilemma der Clubs und des DFL ist, dass der Sprechakt im sogenannten ‚Schatten der Hierarchie‘ erfolgt ist und damit ein Lehrstück von Governance ist: Kommt es zu keiner (horizontalen) Selbstregulierung durch die DFL, die Clubs und Fanszene bis Jahresende (d.h. am 12 Dezember), wird der Staat selbst die Spielregeln definieren und (hierarchisch) außergewöhnliche Maßnahmen wie vermutlich die „Abschaffung der Stehplätze, personalisierte Tickets oder reduzierte Kartenkontingente“ sowie drastische Geldstrafen für die Vereine, Geisterspiele oder den Komplettausschluss der Gästefans durchsetzen, um die Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Raum Stadion wiederherzustellen[…]“ (Stefan Engert)
Auf gut Deutsch bedeutet das, weil die Politik gesagt hat, es gibt ein Sicherheitsproblem, wird die faktische Existenz eines solchen unbedeutend und Vereinen und Verbänden bleibt keine Wahl, als sich durch sicherheitspolitische Eigeninitiative dem Klammergriff des Staates zu entziehen – anderenfalls ist die eigene Autonomie dahin. Den populistischen Druck der Innenminister zu benennen ist wichtig. Es darf hierbei auch nicht unter den Tischen fallen gelassen werden, dass Wahlkampfgetöse und Ablenken vom Versagen beim NSU-Komplex zum Schwenk aufs vermeintliche Sicherheitsproblem im Fußball motivieren. Dennoch wird diese Betrachtungsweise dem Thema nicht vollumfänglich gerecht.
Mit der „Schatten der Hierarchie“-These kann gewiss einiges erklärt werden, doch der Komplexität des Sachverhalts wird dieser Ansatz nicht gerecht. Es scheint angebrachter, dieses Muster in das vielschichtige Akteursnetzwerk einzuweben, aber den Blick eben zu erweitern. Welche Akteure sind also in dieser Debatte aus welchen Gründen wichtig und was sind ihre Partikularinteressen? Bereits erwähnt haben wir die Politik, die DFL, die Vereine und die Fanbasis. Dazu kommen DFB und Polizei(-gewerkschaften).
Von Seiten der Politik, allen voran der Innenminister, werden die Rufe nach mehr Sicherheit in den Stadien immer lauter. Dass sie dabei viel Populismus und wenig Empirie in die Arena werfen ist hinlänglich bekannt und belegt, das tut effektiv aber nur bedingt zur Sache, denn der Druck ist vorhanden und durchaus wirkmächtig. Zwar machen sie sich dadurch medial angreifbar, aber das sind sie ja ohnehin. Das Versagen beim NSU-Komplex, über den zwar nachwievor kritisch berichtet wird, veranlasste das öffnen einer Baustelle, die so nicht gegeben ist. Das erklärt mitunter auch, warum das Problem so groß sein soll, obwohl selbst die unbrauchbaren Zahlen der ZIS keinerlei Anlass zur Panik bieten. Dummerweise ist das leider völlig egal, weil sich der Großteil der dummdeutschen Bevölkerung gar nicht so intensiv mit den Themen auseinandersetzt. Deswegen reichen ein paar Pyrobilder und die Forderung nach mehr Sicherheit um ein riesiges Fass aufzumachen. Deswegen reichen ein bis zwei Entlassungen von Verfassungsschutzamtschefs und eine Rechtsextremismus-Verbunddatei um die empörten Massen zu befriedigen. Ich würde mich freuen hier Unrecht zu haben, der Eindruck drängt sich allerdings auf.
In ein ähnliches Horn blasen die Polizeigewerkschafts-Chefdemagoge Rainer Wendt und seine Geschwister im Geiste. Forderungen nach finanzieller Beteiligung an Polizeieinsätzen, zusätzlichen Befugnissen und immer abstrusere Bedrohungsszenarien zeichnen die wahrgenommene Arbeit der Polizeilobbyisten aus. Interessant diesbezüglich ist, dass die Polizeipraktiker da durchaus andere Ansichten vertreten. Von einem geschlossenen Akteur Polizei mit klaren Interessen kann also nicht die Rede sein. Trotzdem waren es nicht die differenzierten Stimmen aus der Polizei, die maßgeblich in die Debatte eingeflossen sind, sondern immer wieder dieser Populismus.
Wenn Rauball nun ernsthaft glaubt, die Debatte werde mit dem Implementieren des Konzepts ein Ende finden, dies gar von Innenministern und Polizei fordert, lässt er einiges außer Acht. Es wird stets irgendwo gewählt, weitere Skandale um den NSU sind nicht unwahrscheinlich und andere Probleme von denen es abzulenken gilt sind ohnehin stets zu erwarten. Der Fußball ist in Deutschland populär, wie nie zuvor und damit ein stets bewegendes gesellschaftliches Feld. Derart positioniert wird der Fußball stets auch als Plattform profilierungssüchtiger Politiker missbraucht, um einmal den Jargon der Populistenfraktion bezüglich Fanthemen aufzugreifen.
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Jedoch sind nicht nur Ablenkung und Wahlkampf treibende Interessen für die Exekutive sich in die Sicherheitsdebatte beim Fußball einzumischen. Etwas vage ausgedrückt kann hier vom neoliberalen Geist unserer Zeit gesprochen werden, der sich im Sicherheitsdiskurs wiederfindet. Die kontextuale Einbettung diesbezüglich scheint zumindest nicht allzu weit hergeholt. Der Fußball eignet sich wie nichts anderes als sicherheitspolitisches Testfeld. Es kommt mit Sicherheit 😉 nicht von ungefähr, dass viele Methoden und Taktiken der Polizei zuerst im Rahmen von Fußballspielen getestet werden. Mit den Ultras steht der Polizei die größte in Jugendsubkultur in Deutschland zur Verfügung, die sich in ihrer nicht sonderlich autoritätshörigen Grundausrichtung nicht nur perfekt zur für Experimente eignet, sondern auch eine faktische Bedrohung darstellt. Wenngleich der Verweis auf den arabischen Frühling, besonders den Fall Ägypten, wo Ultras federführend an der Revolution beteiligt waren, nicht zum Vergleich taugt – der soziopolitische Kontext ist ja doch sehr verschieden. Gerade bei Vereinen, die nicht Sankt Pauli heißen, gibt es eben noch viel des sogenannten Prekariats in den Kurven. Bei Metalust und Subdiskurse wird dieser Gedankenstrang schön entfaltet. Wäre, nebenbei bemerkt, ein spannendes Thema für eine wissenschaftliche Annäherung.
Genau dieses Prekariat ist ja auch betroffen vom viel zitierten Stehplatzverbot. Die Erfolge für mehr Sicherheit sind, so es sie gibt, äußerst marginal. Der Einfluss auf die Stimmung und die Zuschauerstruktur ist da schon größer. Es kann daher nicht das Moment der Vertreibung außer Acht gelassen werden, spricht man über Vollversitzplatzung (die Jan Korte zufolge nicht von der Politik oktroyiert werden kann) und Preisspirale. Ein Bekenntnis genau dazu mag vielleicht noch kaum jemand aussprechen, aber in einem Land wo „sozial ist, was Arbeit schafft“ (egal wie bezahlt) und sich „Leistung wieder lohnen muss“ kann es ja eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis man sich den Besuch eines Fußballstadions eben verdienen muss.
Ebenso im Neoliberalismus verhaftet ist das Interesse der DFL am Sicherheitskonzept, denn es ist ja nun nicht so, dass einzig der Druck aus der Politik Triebfeder des Konzeptpapiers war. Im Papier bzw. den entsprechenden Anträgen geht es nicht selten um Kompetenzübertragung vom DFB an die DFL. Die DFL beansprucht für sich größere Autonomie, möchte sich selbst strukturell stärker aus dem DFB lösen. Das Sicherheitspapier hat nicht nur negative Auswirkungen auf die Fans, es ist ein Schritt zur institutionellen Trennung von Profifußball und Fußball. Es mag aus Sicht der DFL ihr größter Fehler gewesen sein, bei ihrer Gründung die Sportgerichtsbarkeit für ihre Ligen beim DFB belassen zu haben. Dieser Fehler ist mit dem nun verabschiedeten Papier ausgebügelt. Natürlich bedeutet das eventuell mehr Sicherheit für die Vereine was Strafen betrifft und eventuell findet die beinahe schon berühmte Willkür damit ein Ende. Willkür, wie beim DFB üblich, lässt sich schwerlich verkaufen, die DFL ist auf klare Regeln und Kompetenzen angewiesen um ihr Produkt bestmöglich vermarkten zu können. Mit dem Entzug von Fernsehgeldern steht der DFL eine Strafart zur Verfügung, die wohl noch härter ist, als alles vom DFB Bekannte. Ob sie diese Karte allerdings ziehen werden, oder das alles lediglich Argumentationsgeplänkel war, bleibt abzuwarten. Vor allem aber ist die DFL auf die volle Kontrolle über ihr Produkt angewiesen. Das anzustrebende Ideal der DFL dürften dabei US-amerikanische Sportligen sein.
Die Fernsehgelder sind ein für die Debatte um die Sicherheit in den Stadien nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt. Die Kompetenzübertragung vom DFB an die DFL ist dabei nur als Versatzstück im Vermarktungskonzept der DFL zu begreifen. Wenn Engert über die Fans, ihre Funktion und letztlich auch ihre Interessen schreibt,
„Das sind einerseits die Kunden, d. h. die zahlende Anhängerschaft, die neben dem Spiel der eigenen Mannschaft dazu beiträgt, den Stadionbesuch mit ihren Gesängen und Anfeuerungen zu einem kleinen Erlebnis des Alltags zu machen.“
hat er damit nicht Unrecht. Nur offenbart sich ein hier analytischer Trugschluss, den wir Fußballfans vielleicht auch mit zu verschulden haben. Natürlich sind die Fans in den Stadien ein wichtiger Faktor, ein wichtiges Element im Fußball. Ihnen kommt ja, und das klingt hier auch an, eine Art Doppel- bis Dreifachfunktion zu. Einerseits sind sie zahlende Kundschaft der Vereine. Sie tragen das Geld in die Stadien. Außerdem sind sie oft auch Kunden der (Pay-)TV-Sender. Finanziell sind sie in dieser Funktion noch weit wichtiger für die Vereine, denn der Großteil ihrer Einnahmen kommt aus Fernsehgeldern, welche es wiederum nur gibt, wenn die Sender die entsprechende Kundschaft hat. Zu guter Letzt sind die Fans gewissermaßen auch Teil des Kapitalstocks der Vereine und Verbände, denn die von ihnen erzeugte Atmosphäre in den Stadien macht das Produkt Profifußball besser vermarktbar. Ein Gutteil der „Fernseh-Fans“ (Es gibt wohl eine nicht kleine Schnittmenge zwischen „Stadion-Fans“ und „Fernseh-Fans“) guckt den Fußball nicht zuletzt wegen der Atmosphäre. Damit sind die Fans Konsumenten eines Konsumguts, dessen Teil sie sind. Der reine Fokus auf den Stadionbetrieb greift daher zu kurz.
Die Bundesligen sind zum medialen Kassenschlager avanciert. Pay-TV-Sender sind bereit hohe Lizenzgebühren für die Übertragungsrechte zu entrichten und durch den hohen Kapitalfluss im Profifußball wird nicht nur der Sport qualitativ gefördert, der Sport verändert sich. Die Mechanismen der Vermarktung machen das Verschieben des Anstoßes teurer und den Spielabbruch schwerer zu verkraften. Der Spieltag in der zweiten Liga ist über 4 von 7, in der ersten über 3 von 7 Wochentagen verteilt. Hinzu kommen englische Wochen und weitere internationale und nationale Wettbewerbe. Es vergeht fast kein Tag, an dem es kein Fußball zu konsumieren gibt und entsprechend steigen die Anforderungen an ein standardisiertes Event, ein Spektakel. Die DFL versteht sich dabei als Dienstleister an ihrem größten Kunden, und das sind eben nicht die Fans im Stadion, sondern die Sender, die Übertragungsrechte kaufen. Dass das eine das andere bedingt wird dabei beinahe vergessen, aber nicht ganz. Daher kommen doch die Beteuerungen, die Fankultur in Deutschland sei sicher. Schönes Bekenntnis, danke für’s Geräusch, verstanden haben es die grauen Verbandsherren nicht, was es überhaupt mit Kultur auf sich hat. Wer aber nie in der Kurve stand, weder in der Sommerhitze noch bei Minusgraden, wer nie an Bahnhöfen von behelmten Hundertschaften mit Knüppel und Pfefferspray empfangen wurde und so weiter, der wird auch nicht verstehen, wie so eine Kultur funktioniert. Anders gesagt: wer es nicht fühlt, kann es nicht verstehen.
Es ist also durchaus im Interesse der DFL weiterhin Fans dabei zu haben nur sollen die gefälligst nicht ins Spektakel eingreifen können, zumindest nicht unkontrolliert. Der Ligaverband als Vermarkter des Sports sieht sich also in einer Zwickmühle. Sie wollen die Gewinnbringenden Fernsehsender, also letztlich deren Kunden einerseits, brauchen dafür aber die Fans andererseits, die sie unter Kontrolle haben müssen, damit die Vermarktung einwandfrei funktioniert. Die Fans in den Stadien sind der Dünger der Vermarktbarkeit und können gleichsam zu ihrer Blattlaus werden.
Was aber wollen die Fans? Man kann sich natürlich jeden Punkt des Sicherheitspapiers vornehmen und gucken, was Fans dazu gesagt haben. Dabei wird man zu dem Schluss kommen, Fans wollen Pyrotechnik, Stehplätze und eine menschenwürdige Behandlung. Das ist, von streitbaren Fragen bezüglich Pyro abgesehen, sicher richtig, nur ist damit nicht das genuine Interesse von Fußballfans zu erfassen. Durch die Komplexität des Themas und subjektiven Beweggründen der einzelnen Fans sind generalisierbare Aussagen über die heterogene Gruppe der Fans in den Stadien grundsätzlich nur schwerlich möglich. Ich halte es jedoch für den falschen Ansatz über die expliziten Punkte des Sicherheitspapiers zu kommen. Zu leicht drängt sich dann der Trugschluss auf, wird nichts davon umgesetzt, haben die Fans ihre Maximalforderung erreicht. Diese Perspektive blendet jedoch die Themen und Kämpfe der Vergangenheit vollständig aus. Der Fußball ist nicht mehr der selbe, wie er es noch in den 80ern und 90ern war. Viele Veränderungen waren positiv, andere negativ – so ist das nunmal, nur sollte im Diskurs eben bedacht werden, dass Fußballfans schon seit langem in regelmäßigen Abständen dicke Kröten zu schlucken hatten.
Trotz der Farce, die der Verweis auf die geschützte Fußball- und Fankultur seitens Ligaverbandschef Rauball ist, ist noch lange nichts verloren. Kultur wird nicht von Führungsetagen definiert, sondern ergibt sich im Zusammenspiel von Menschen. Die Macht eine Kultur zu formen kommt von unten. Jede Form der Repression führt am anderen Ende zur Produktion. Sie mögen Jugendkultur, Gewalt, Pyro, Randale, Wut, Freude und Extase durch Verbote zu kontrollieren versuchen, doch dieser Versuch ist zum scheitern verdammt.Mehr „Sicherheit“ in Deutschland, die wird es durch die Beschlüsse nicht geben. Weder in den Stadien, noch außerhalb. Das Ergebnis dieser Phantomdebatte ist nichts wert. Die Fußballkultur hat sich stets zwischen diversen Parametern entwickelt. Stadionverbote schließen nicht nur einzelne Personen vom Stadionbesuch aus, sie führen zu Zaunfahnen, Aufklebern, Gesängen, Märschen und einem verstärkten Zusammengehörigkeitsgefühl. Kultur zu unterdrücken, ist wie der Versuch einen Baum am Wachsen zu hindern. Die Richtung der Entwicklung mag sich verändern, doch das Wachstum wird nicht gestoppt.
„Die organisierten Fußballfans haben gezeigt, wie mächtig sie sind. Es war ihr Druck, der die ursprüngliche, schärfere Version des Sicherheitskonzepts scheitern ließ und zu einer Blamage für die DFL machte. Durch ihre durchaus öffentlichkeitswirksame Betriebsamkeit wurde auch in den Medien zunehmend differenzierter berichtet.“ (Christian Spiller)
Es ist falsch die Debatte um mehr Sicherheit in den Stadien nur von einer Seite zu betrachten. Die Konfliktlinien verlaufen kreuz und quer zwischen den verschiedenen Akteuren. Es ist mitnichten anzunehmen, ohne den Druck seitens der Politik, gäbe es keinen Grund mehr für das Papier. Es ist nicht nur der Populismus, Wahlkampfgeplänkel und eine ablenkende Phantomdebatte, was die Innenminister antreibt Forderungen nach mehr Sicherheit zu stellen, es ist auch der neoliberale Geist. Es ist nicht nur der gut gemeinte Versuch die Sportgerichtssprechung auf verbindliche, rechtsstaatliche Grundsätze zu stellen, sondern auch ein klares Vermarktungsinteresse der Deutschen Fußballliga. Das Sicherheitspapier und die anhängende Debatte gilt es von allen Seiten zu analysieren und die Kritik entsprechend in den Schnittstellen zu platzieren.
Die DFL gewinnt Autonomie gegenüber dem DFB mit der Annahme aller 16 Anträge zum Sicherheitspaket. Die Vereine unterliegen mit ihren Voten damit nicht nur dem Druck der Politik, sondern auch vermeintlichen Sachzwängen einer bis zum äußersten gedehnten Verwertungslogik. Dennoch dürfen sich die Fans auf die Schulter klopfen, sie waren es, die die Debatte versachlicht haben. Fankultur ist durch die gestrigen Beschlüsse nicht dem Untergang geweiht. Sollte es dennoch irgendwann zur forcierten Vertreibung kommen und Fankultur verschwindet aus den Stadien, es wird etwas anderes geben. Doch erstmal darf man sich hoffentlich auf viel Pyro freuen. Verbote sind Antrieb. Gerade für die Jugend.