Staat auf dem Rückzug

Während in Heidenau der Mob wütet, winken in München Bürger*innen den ankommenden Geflüchteten und empfangen sie mit Wasser, Decken, Obst und Stofftieren. Und während allenthalben das ehrenamtliche Engagement für Geflüchtete gelobt und herausgestellt wird, bekommt der Mob mit neuerlichen „Asylkompromissen“ den Lohn für seine Brandanschläge. Im Angesicht dieser Gleichzeitigkeit findet unser Gastautor eine handlungsunfähige radikale Linke, die sich auf die Antworten von vor 25 Jahren stützt und der aktuellen Entwicklung nichts entgegenzusetzen weiß und obendrein die Tragweite der aktuellen Geschehnisse zu verkennen scheint.

Von Lunge (Gastautor)

„Die Maßnahmen, die wir vorschlagen und gemeinsam umsetzen wollen, haben sicherlich auch Einfluss auf diese neuen Zugangszahlen. Wir hoffen, dass sie dann deutlich geringer werden.“
– Bundesinnenminister Thomas de Maiziere am 05.08.2015

„Deutschland zeigt sich gerade als starkes und mitfühlendes Land. Stark und mitfühlend: Das ist, glaube ich, das, was das Engagement vieler Menschen ausdrückt. Wir haben heute alle miteinander in den Gesprächen erst einmal denen gedankt, die das vor Ort machen – mit großem Engagement und meistens im Ehrenamt. […] Deswegen kann ich sagen, dass ich das von Thomas de Maizière vorgelegte Konzept ausgezeichnet finde und dass es aller Ehren wert ist, das jetzt sozusagen in die Praxis umzusetzen. “
– Sigmar Gabriel am 05.08.2015

Die Debatte in der deutschen Flüchtlingspolitik wirkt derzeit polarisiert, polarisiert im Angesicht von 335 rechten Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte im ersten dreiviertel Jahr 2015. Das offizielle Deutschland inszeniert eine „Willkommenskultur“ für Geflüchtete, die letztlich in komplette Selbstgerechtigkeit gipfelt, etwa im Rahmen einer Aktion von „BILD“ und Deutscher Fußballliga unter dem großen Motto „Wir helfen!“. Das Objekt der Hilfe wird kaum sichtbar an den Rand gedrängt, Geflüchtete sind hier beliebig austauschbar, durch Kinder, Obdachlose oder Straßenhunde in der Ukraine.

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Eine Abschiebung kommt selten allein

Abschiebungen sind gängige Praxis in Deutschland und Hamburg. Auch in den Kosovo werden immer wieder Menschen abgeschoben, unter ihnen viele Roma. Am Mittwochmorgen sollte Familie S. vom Hamburger Flughafen abgeschoben werden. Ein Augenzeugenbericht.

Gastbeitrag von Kalle Blomquist

Mittwoch morgen 07:30 Hamburg Hauptbahnhof. Eine Familie steht auf Gleis 3. Drumherum hunderte Menschen wie jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit. Zwei große Taschen, ein Kinderwagen, es wird auf die S1 zum Flughafen gewartet. Alles sieht nach Urlaub aus. Doch für Familie S.  soll es heute nicht in den Urlaub gehen. Es soll in den Kosovo gehen, die Region, aus der sie einst flüchteten. In Deutschland ist angeblich kein Platz für Familie S.

Einige Unterstützer*innen haben sich ebenfalls eingefunden und stehen lose auf dem Bahnsteig herum, auch eine Dolmetscherin ist organisiert worden. Die Stimmung ist bedrückend, jede*r Anwesende weiß, das hier und heute Träume, vielleicht Leben zerstört werden. Am Flughafen große Ratlosigkeit. Keiner weiß wo es hingehen soll. Man solle sich bei der Polizei melden, hieß es. Nur wo? Die Beamten in der Abflugshalle weisen zwischen Urlaubsvorfreudigen und Geschäftsleuten darauf hin, dass „Rückführungen“ von der Bundespolizei im Nebengebäude durchgeführt werden. Vereinzelt werden kleine Plakate und Transparente herausgeholt. Vor dem Nebengebäude angekommen wird allen Unterstützer*innen im Vorraum der weitere Kontakt untersagt nur die „Deportees“ dürfen in die Wache. Auf Nachfragen nach dem weiteren Vorgehen/Verfahren wird lapidar mit „Darüber rede ich mit ihnen nicht“ geantwortet. Das wars. Bumm. Tür zu. Große Resignation. Ratlosigkeit. Eine Abschiebung kommt selten allein weiterlesen

„Scheiß Millionäre!“ auf antirassistisch

 In seinem Blog Metalust & Subdiskurse hat Momorulez am 23. November einen offenen Brief an die 1. Mannschaft des FC Sankt Pauli verfasst, in dem er den Spielern unter anderem mangelnde Identifikation vorwirft. Wir veröffentlichen hier mit freundlicher Genehmigung die Gedanken von Sankt Pauli Fan, Journalist und Blogger Patrick Gensing, die er bei Facebook zum viel gefeierten offenen Brief formulierte. Der Vollständigkeit halber sei noch auf die von Momorulez nachgereichten Erläuterungen zu seinem Brief hingewiesen.
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Filmkritik – „Istanbul United“

Unser Gastautor Karlsson vom Fach hat sich den Dokumentarfilm „Istanbul United“ zu Gemüte geführt und verrät euch, was euch erwartet, wenn ihr in den nächsten Tagen das 3001 besucht.

„…ich glaube die hassen sich wirklich“

Es ist soweit. Etwas mehr als ein Jahr nach Beginn der Gezi-Park Proteste läuft „Istanbul United“ in den Kinos. Am 18. September 2014 war der deutschlandweite Kinostart des knapp 90 Minuten langen Dokumentarfilms von Olli Waldhauer und Farid Eslam. Seitdem läuft er im ganzen Land in vielen Kinos und in unabhängigen Screenings in Kooperation mit Fans und Fanprojekten (wie z.B. in Dortmund), oft auch mit anschließender Podiumsdiskussion mit den Filmemachern.

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Nächster Halt: Baustelle Wilhelmsburg

Gastbeitrag von spanier

Wilhelmsburg ist das aktuellste Opfer des hamburgischen Stadtmarketing. Da wurden eine Bauausstellung (IBA) und eine Gartenschau (IGS) trotz Einwohnerprotesten bestellt und durchgeboxt.

Die IGS wurde mit Hilfe von 3 Polizeibombenhunden, 16 Motorrädern, 12 Fahrzeugen, einem Bundespräsidenten auf der Buhne mit einen Bürgermeister und einem Lotto King Karl in Camouflage-Jacke eröffnet.

Die IBA wurde eine Woche vorher ein bisschen leiser eröffnet weil ein Teil der schicken Häuser nicht mal fertig sind. Pssssssst…

„Die Zusammensetzung der Bevölkerung wird höherwertiger sein, als die Segmente, die sich in der bisherigen Bevölkerungsstruktur abgebildet haben“ (Reinhard Wolf, Handelskammer)

Das lustigste an den Wilhelmsburger Ausstellungen ist die Tatsache, dass bei Ankunft mit der S-Bahn der ganze Laden ein bisschen wie nach dem Krieg aussieht. Man erinnert sich wie despektierlich die Berichte Letzten Sommer waren als die “faulen” Ukrainer und “verpeilten” Polen nicht in der Lage gewesen seien ihre Stadien und Strassen für die Europameisterschaft fertig zu stellen. Wirklich anders läuft es hier in Hamburg aber auch nicht. Man kann es aber ja einfach auf den fiesen Winter schieben, der ist anderswo ja nicht so kalt wie hier.

Ob das den “höherwertigen Segmenten”, die sich Herr Wolf von der Handelskammer für Wilhelmsburg so sehr wünscht gefällt?

 

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Diskussion über Gewalt im Fussball beim ZDF-SportStudio

Gastbeitrag von Schuninio. Der Autor ist 36 Jahre und hat keine Angst in ein Fussballstadion zu gehen.

Ihr habt sicher alle am vergangenen Samstag die Diskussionsrunde im ZDF-SportStudio mit dem neuen DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig und Johannes „JoJo“ Liebnau von der Gruppe ChosenFew gesehen. Falls nicht könnt ihr den gesamten Beitrag hier bei Youtube oder in der ZDF-Mediathek anschauen. Aber Achtung(!) in der Mediathek vom ZDF konnte ich nur die Diskussionsrunde abrufen, aber nicht den eingespielten Beitrag und die Einleitung durch Moderator Sven Voss, auf die ich mich im Folgenden beziehe.

Auf den diversen SocialMedia-Plattformen hat diese Diskussionsrunde bereits einige lobende Worte hinsichtlich der differenzierten Betrachtung des Themenkomplexes „Gewalt im Stadion“ bekommen. Zu Recht, wie ich finde, denn sie hob sich wohltuend ab von den Runden im vergangenen Sommer, als jeder Sender seinen Beitrag zum Thema „Fussball und Gewalt“ abliefern wollte und viele Menschen, die nie ein Fussballstadion von innen gesehen haben, sich bemüssigt fühlten, ihre Meinung zum Thema in den Orbit zu blasen. Allerdings bleiben für mich auch bei dieser Diskussionsrunde – bei allem Lob für die sachliche Aufarbeitung – einige Fragen unbeantwortet bzw. werden mir da einige Themen nicht ausreichend behandelt.

Dass in einer halbstündigen Diskussion nicht alle Bereiche in dieser vielschichtigen Thematik abgearbeitet und bis ins Detail diskutiert werden können ist mir auch klar. Allerdings hätte ich nach der Ankündigung durch Sven Voss erwartet, dass wenn man die Themen „DFB-Strafen“ und „Nazis in den Fanblöcken“ schon plakativ durch Schlagzeilen benennt, diese auch in der Diskussion mit entsprechendem Aufwand behandelt werden. Ist das Thema „Strafen“ durch die Hinterfragung von „Stadionverbote als Mittel der Wahl“ noch ansatzweise gestreift worden, bleibt der Themenkomplex „Nazis in Fanblöcken“, den man mit der „ACU“-Schlagzeile anreisst, komplett aussen vor.

Gut man kann jetzt auf dem Standpunkt stehen, dass das Thema „Pyrotechnik“ und „Randale bei Fussballspielen“ die eigentlichen Kernthemen waren und damit eben kein Platz z.b. für die Aufarbeitung und Diskussion des Falles „Aachen Ultras“ war. Doch dann muss sich das ZDF und insbesondere die SportStudio-Redaktion inkl. ihrem Moderator Sven Voss die Frage gefallen lassen, warum baut man die Schlagzeile „Ende der Aachen Ultras – Kapitulation im Kampf gegen Rechts“ aus Spiegel Online in die Ankündigung der Diskussion mit ein, wenn man dieses Thema, welches durchaus eine Aufarbeitung durch eine Diskussion mit (einem) Verbandsoffiziellen nötig hätte dann komplett verschweigt? Dabei wäre gerade dieses Thema im Bezug auf die „Antirassismus“-Kampagnen von DFB und DFL im Kontext mit Stadionverboten für Fans, die sich gegen Nazis in den Fanblöcken engagieren interessant gewesen.

Also warum wird dieser Themenkomplex angeschnitten und dann nicht diskutiert? Wollte man nur knackige prägnante Schlagzeilen präsentieren, um die Zuschauer nach der drögen WettenDass-Sendung bei Stimmung zu halten oder hat man beim ZDF ein wirkliches Interesse an einer differenzierten Aufarbeitung des gesamten Themenkomplexes? Letzteres wird zweifelhaft, schaut man sich mal die restlichen präsentierten Schlagzeilen an. U.a. wird eine Schlagzeile vom Spiel Schalke 04 gegen Hannover 96 herangezogen, zu der sich ausser eine diffusen Meldung des sid kaum Informationen zum wirklichen Ablauf des Geschehens finden lassen. Trotzdem wird solchen „Argumentationshülsen“ der Polizei und der Politik Raum geboten, ohne dass man mal hinterfragt, was denn da wirklich los war. Okay, das kann man aufgrund der mangelnden Informationen vielleicht nicht, aber dann ist eine solche Schlagzeile echt nur ein Anheizer und keine wirkliche Diskussionsgrundlage.

Auch die Schlagzeile zur Strafe des DFB gegen den BvB taugt in meinen Augen nur als Appetitmacher, um die Zuschauer vor dem Gerät und beim ZDF zu halten. Anders ist es wohl kaum zu erklären, dass man nicht mal ansatzweise den Versuch der Aufarbeitung wagt und einmal kritisch hinterfragt, warum der BVB eine Strafe zahlen muss. Weil seine Fans Luftschlagen auf das Spielfeld geworfen haben? Bei dieser Aktion ist niemand verletzt oder geschädigt worden. Lediglich das Spiel muss für ein oder zwei Minuten unterbrochen werden. Ja, auch ich weiss, dass die Strafe zweigeteilt ist und auch wegen Feuerzeugwürfen beim Derby gegen Schalke ausgesprochen wurde. Man sieht: Differenzierung und sachliche Auseinandersetzung wäre doch schön gewesen, damit diese Schlagzeilen nicht nur für sich stehen und maximal für Diskussionen an Stammtischen über die „neuen Dimensionen der Gewalt“ taugen.

Nochmal: Natürlich war das Thema beim SportStudio „Gewalt im Fussball“ (und nicht „Sinnhaftigkeit der Strafen des DFB“) und das wird in der Sendung imho sehr sachlich und auch differenziert diskutiert. Auch die Stimmen vom DFL-Geschäftsführer Andreas Rettig und dem Kriminologen Prof. Dr. Thomas Feltes, die keinen Anstieg der Gewalt in deutschen Stadien feststellen können, sind natürlich Wasser auf die Mühlen der Fanvertreter. Insofern ist die Diskussion natürlich ein Gewinn für die Argumentation der Fanvertreter. Insbesondere die sehr kritische Auseinandersetzung von Prof. Dr. Feltes mit den ZIS-Zahlen und die Darstellung der Verletztenzahlen aus der Saison 2011/2012, absolut und im Verhältnis auf ein Bundesligaspiel bezogen, zeigen endlich einmal, dass die Argumente der Fanvertreter in der Vergangenheit so weit von der Wahrheit nicht entfernt sind, wie es beispielsweise die Polizeivertreter gerne Glauben machen wollen. Auch der Hinweis von Prof. Dr. Feltes darauf, dass ein Großteil der Verletzten Opfer von Pfeffersprayeinsätzen gewesen sind, ist in meinen Augen ein Schlag ins Gesicht für die Scharfmacher unter den Polizeivertretern. Hoffentlich helfen solche Aussagen von anerkannten Gewaltforschern die Diskussion zu versachlichen und vielleicht endlich weg zu kommen von der populistischen Behauptung, dass in Fussballstadien eine Art Bürgerkriegsszenario, ausgelöst durch Fans, existiert. Und letztlich ist auch der Einspieler, der als Plädoyer gegen das Vermengen der verschiedenen Themen in dieser Diskussion gesehen werden kann, in meinen Augen ein Schritt in die richtige Richtung. Hier werden von den Medien endlich einmal (wenn auch zunächst nur sehr zart) die Themenkomplexe „Pyrotechnik“ und „Gewalt“ getrennt.

Aber und soviel Kritik muss erlaubt sein: Warum bringt man derartige „Stimmungs- und Scharfmacher“-Schlagzeilen in die Sendung mit ein, wenn man nicht auch diesen einmal sachlich auf den Zahn fühlt? Hier bleibt ein leicht fader Beigeschmack und hier hat das ZDF, hier haben alle Medien in meinen Augen noch viel zu tun, um das Thema „Fussball und seine Fans“ nicht wieder auf die populistische Schiene zu bringen, sondern diese zarten Versuche der differenzierten Berichterstattung beizubehalten.

Tales of the City – Part 1

I do believe in monsters – I call them offices

In der tiefe meines Hirns macht sich ein Impuls breit, ein Gedanke meldet sich zu Wort und meint er wär spruchreif, er will endlich hinaus sich in dein Bewusstsein graben um dort aufzublühn’ und später selber Früchte zu tragen.“ Main Concept verbalisierte den Prozess zur Entstehung dieser Idee dermaßen perfekt, dass ich nicht umhin kam das Intro dahingehend auszurichten. Methodik vor Inhalt. Besagter Impuls war jedenfalls eine Erinnung an unmodern gewordene Erzählungen von Helden und Monstern. Diverse dieser Geschichten griffen dafür plakativ auf den Drachen in der Höhle zurück und dabei waren schon immer beide Bestandteile dieses Bildes gleichermaßen monströs. Eventuell ein ungewohnter Einstieg für das Lichterkarussell, doch wenn die Kerzen brennen und das Karussel sich dreht schweifen Autoren ab in andere Sphären! Tales of the City – Part 1 weiterlesen