Eine eigentlich unnötige Debatte
Derzeit wird eine Debatte darüber geführt, ob in Kinderbüchern diskriminierende Begriffe, wie das N-Wort, weiter Verwendung finden sollten. Eigentlich sollte diese Diskussion überflüssig sein. Die Debatte nervt und sie wird in einer Intensität geführt, gerade von Seiten der Verfechter, dass man beinahe überrascht sein könnte. Das einzig Erfreuliche in dieser Debatte sind die mitunter enorm guten Äußerungen einiger Menschen dazu. Eine kleine Auswahl möchte ich euch daher zum Einstieg nicht vorenthalten. Lest die Texte und lest sie aufmerksam. Nicht wenige der Autor_innen mussten und müssen selber Diskriminierungserfahrungen machen und wissen daher, wovon sie reden. Gerade ihnen gilt es zuzuhören. Sie haben zu diesem Thema weit Gewichtigeres zu sagen, als Weiße.
Gute Texte finden sich bei Der braune Mob e.V., Bühnenwatch, Mädchenmannschaft eins und zwei, Accalmie (ohnehin sehr zu empfehlendes Blog), Shehadistan eins, zwei und drei, Metalust und Subdiskurse eins, zwei und drei, Gleisbauarbeiten, zoon politikon, Tagesspiegel.
Besonderes Augenmerk verdient die kleine Ishema, die, wie wohl schon alle gesehen haben, in einem Leserbrief der ZEIT-Redaktion deren weiße Selbstgefälligkeit um die Ohren schmettert:
Was ist eigentlich Rassismus?
Was Rassismus eigentlich bedeutet wird dankenswerter weise vom braunen Mob anschaulich und auszugsweise beleuchtet:
„Rassismus heißt nicht, eine bestimmte „Rasse“ zu „hassen“, sondern zu glauben, dass Menschen wegen ihrer biologischgeografischen Herkunft „angeboren“ oder „naturgemäß“ über spezifische Vorlieben, Talente, Neigungen oder Charakter-Eigenschaften verfügen.
Rassismus ist unter anderem:
- der Reflex, die Strassenseite zu wechseln wenn einem zwei Schwarze entgegenkommen.
- eine Frau als „Cappuchinoschönheit“ zu bezeichnen.
- zu finden, dass „Schwarze super singen können“ und nochmal nachzufragen, ob der Schwarze Rechtsanwalt „wirklich Rechtsanwalt ist“, nur um ganz sicher zu gehen.
- Schwarze Deutsche zu fragen, wo sie „wirklich herkommen“ und ob der „Papa oder die Mama Schwarz“ sei.
- zu sagen „wir haben doch schon einen Schwarzen in der Band, noch einer muss nicht sein“.
- zu sagen „ich kenne viele Schwarze also kann ich kaum Rassist sein“ oder „in Deutschland gibt es doch gar nicht soo Rassismus“.
- zu ignorieren, dass unsere Gesellschaft weiße Menschen strukturell und institutionell stark bevorzugt, und dadurch sein weißes Privileg zu leugnen.
Am Wochenende auch mal mit Schwarzen auszugehen bedeutet nicht automatisch, dass man kein Rassist ist. Ebenso wenig wie mit vielen Frauen zu sprechen nun mal nicht bedeutet, dass man „kein Sexist sein kann“.
Rassismus hat so an sich, dass ihn vor allem diejenigen bemerken, die davon betroffen sind. Falls einzelne weiße Deutsche Rassismus nicht ständig erfahren, dann ist das sehr erfreulich, heißt aber leider nicht, dass es ihn nicht oder nur selten gibt, sondern nur dass sie ihn nicht mitbekommen weil sie nicht die Zielscheibe sind. Zu behaupten, es gäbe „kaum Rassismus“ ist eine der beleidigendsten Aussagen, die man als nicht-Betroffener tätigen kann, weil sie die täglichen Erfahrungen hunderttausender Leute, die das nunmal besonders gut beurteilen können, ignoriert und sich auf anmassende und verletzende Art „über“ sie stellt: bei allem was sie mitmachen müssen, wird das nun auch noch bestritten. So etwas ist bestenfalls ignorant.“ (Der braune Mob e.V.)
Wir haben alle rassistische Stereotype verinnerlicht, denn wir wachsen nicht im luftleeren Raum auf, sondern werden in dieser Gesellschaft sozialisiert. Wir wachsen mit N*Küssen, N*königen und so weiter auf. Eventuell reflektieren wir später, dass das ja eigentlich falsch ist, nur sind die Stereotypen tief verankert und werden sogar aggressiv verteidigt, wie die aktuelle Debatte zeigt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der PoC strukturell benachteiligt sind. Wir genießen Privilegien, die für uns selbstverständlich sind. Da können wir im einzelnen oftmals nichts für, trotz allem ist diese Struktur rassistisch und auch wenn wir uns unsere weiße Haut nicht ausgesucht haben, schadet ein kritisches Hinterfragen der eigenen Privilegien nicht. Nein, wenn wir irgendwann mal zu einer Symmetrie kommen wollen, die überhöhte Vormachtstellung von Weißsein durchbrechen wollen, ist es sogar unsere Aufgabe genau das zu tun. Wer das nicht als die Gesellschaft ansieht, zu der wir werden müssen, ist Rassist und nicht weniger, als ein Rassist! Wer meint, er müsse seine Privilegien eben nicht hinterfragen, weil er sich gerne in die Rolle des ja-auch-hin-und-wieder-Betroffenen verdrückt (Stichwort „Deutschenfeindlichkeit“, du arme „Kartoffel“, jajaja…) hat Rassismen so sehr verinnerlicht, dass er eigentlich an der eigenen Kotze ersticken müsste.
Was wiegt wohl schwerer, die „Last“ die nicht ausgesuchten Privilegien kritisch zu reflektieren, oder die Last mit nicht selbst gewählter (das tut niemand!) Diskriminierung tagtäglich umgehen zu müssen. Wer soll sich also nicht so anstellen, wegen diskriminierender Begriffe? Die, die davon profitieren, oder die, die darunter leiden? Wir haben nicht darüber zu entscheiden, ob ein Wort oder eine Handlung diskriminiert, wir sind die verschissen privilegierte Mehrheit. Was diskriminiert, wird von den Betroffenen definiert, da haben wir nicht mitzureden, sondern nichts anderes zu tun als zuzuhören und das ernst zu nehmen!
Als weißer, heterosexueller Mann gehöre ich zur privilegiertesten Gruppe in dieser Gesellschaft. Diskriminierung erlebt man so im Prinzip keine. Am ehesten noch gibt mir das Wissen aus der Schulzeit eine Ahnung davon. Ich habe gelernt, dass auf dumme Sprüche mein Gewicht betreffend meist Gewalt folgte. Das ist bei weitem kein Vergleich zu dem, was Schwarze und PoC in unserer Gesellschaft gewaltsam erdulden müssen. Das versetzt mich lange nicht in die Position wissen zu können, wie sich Menschen fühlen, wenn sie durch Begriffe wie das N-Wort getriggert werden; was das in ihnen hervorruft.
Und eines muss eingangs eben noch festgehalten werden, ganz gleich wie Antifa und Antira und was-weiß-ich man sich fühlt. Man ist eben nicht einfach kein Rassist und man wird auch nicht einfach Rassist, wie der braune Mob ganz richtig schreibt. Man lebt in einer rassistischen Gesellschaft und dem kann man sich nicht erwehren. Man kann nur fortwährend versuchen weniger rassistisch zu sein. Nein das muss man.
Weiße „Zivilisation“ und deutsche Geschichte
„Why have a civilisation if we are no longer interested in being civilized?“, fragt sich der Protagonist Frank im Film „God bless America“. Die Zivilisation sieht der weiße Mann zugrunde gehen, da im Fernsehen weiße Menschen von anderen weißen Menschen gedemütigt werden (es sind nur weiße). Doch weiße Zivilisation war nie sonderlich human. Seit mehreren hunderten Jahren bedeutet westliche, weiße Zivilisation vor allem die Unterdrückung und Ausbeutung des „Anderen“.
Das deutsche Geschichtsbewusstsein scheint auf die Zeit von 1933 bis 1945 limitiert zu sein. Alles davor wird dadurch irrelevant, alles danach wird dadurch gut, human, demokratisch. Rassismus in Deutschland wird zu einem historischen Ausrutscher verklärt. Durch dieses Geschichtsverständnis kann nicht nur die Zeit des NS nicht adäquat gefasst werden, der Maßstab für das, was Rassismus sein darf, verschiebt sich. Der Blick auf die eigene Geschichte wird verschleiert. Es scheint als gelte den Deutschen der Holocaust stets als Maßstab für Diskriminierung, doch der war keine Diskriminierung, sondern Völkermord einmaligen Ausmaßes. Er war kein kollektiver Mordrausch, nicht „nur“ eine Serie von Pogromen. Dieser Genozid war und ist in seiner Planung bis zur „Endlösung der Judenfrage“ einzigartig. Die Auseinandersetzung damit ist Pflicht, nur heißt das aber nicht, dass all das was nicht an die Qualität dessen herankommt nicht so schlimm ist. Genau das passiert aber nur zu häufig. All das, was die einmalige Qualität der Shoah nicht erreicht, gilt den Deutschen als „nicht so schlimm“, „kein Antisemitismus“ oder eben „kein Rassismus“. Die Aufarbeitung des Singulären legt sich, absurder weise, wie ein Schleier über die Debatte um Diskriminierung. Auf diese Weise werden Rassismus und rassistische Strukturen in Deutschland relativiert.
EDEKA leitet sich von E.d.K., also „Einkaufsgenossenschaft deutscher Kolonialwarenhändler“ ab. An der Kasse dieses nur zu gern vergessenen Relikts des deutschen Kolonialismus steht Bloggerin Anneke Gerloff mit der aktuellen Ausgabe der ZEIT und kauft sich die Zeitung mit den Illustrationen schwarzer Menschen aus diversen Kinderbüchern auf dem Cover. Zusammengestellt zu einer Collage, die dem Gefühl weißer Mehrheitsgesellschaftler Ausdruck verleiht, von politisch korrekter Sprache zensiert zu werden. Mit dem Leitartikel der Ausgabe findet sich für diese Angst mit Ulrich Greiner der vermeintlich Mutige, der sie ausspricht.
Ohne „die Anderen“ funktioniert Rassismus nicht
Der Begriff der Zensur allein, das Klammern weißer, deutscher Feuilletonisten an diskriminierende Begriffe bedeutet in diesem Kontext nicht weniger, als Widerstand gegen eine Gesellschaft frei von bzw. mit weniger Rassismus und angeborenen Privilegien. Und es bedeutet das Ausklammern und Unterdrücken der Erfahrungen der Betroffenen, als hätten die keinen Wert. Es ist ein zwanghaftes Festhalten am Status Quo einer Gesellschaft, in der vor allem weiße Mittelstandskids eine Chance haben. Denn das N-Wort ist kein Relikt des deutschen Kolonialismus, wie EDEKA, es ist gelebte rassistische Kontinuität. Es steht für den Kolonialismus und die Welt- und Menschenbilder, die ihm seine angebliche Legitimität gaben. Es sind diese Bilder, die in den Köpfen der Menschen fortwirken. Es ist die Entmenschlichung, die in diesen Bildern steckt und bis heute wirkt.
Wie kleine Jungs in der Schule, die durch das Sagen eines „bösen Wortes“ ein Tabu brechen, freut sich der weiße, deutsche Feuilletonist, das N-Wort am Leben zu halten. Doch es handelt sich bei dem Begriff nicht um ein gewöhnliches, gesellschaftlich geächtetes Wort, welches einfach nur ein gesellschaftlich anerzogenes Tabu bricht. Mit diesem Begriff werden „die Anderen“ markiert. Dieser Begriff ist konstitutiv für eine Denkweise, in der sich Attribute an zugeschriebenen sozialen Kategorien, hier also Schwarz bzw. nicht-weiß, festmachen lassen. Gesellschaften in denen das N-Wort gelebte Realität ist, sozialisieren Kinder mit dem Gefühl der Andersartigkeit. Es sind die weißen Kinder, die lernen, dass es noch andere gäbe, es sind die schwarzen Kinder, die lernen, dass sie angeblich anders und nicht von hier, sondern etwa aus der Südsee seien.
Diese Sozialisation setzt sich durch. Ein Fleischhauer oder ein Greiner mögen denken, das sei nicht so schlimm und die Menschen könnten das durchaus kontextualisieren. Doch sie unterschätzen die Subtilität mit der Rassismus wirkt. Sie merken ja offenkundig selber nicht einmal, wie sie selbst rassistische Stereotype reproduzieren. Es ist kein Ausdruck von Freiheit mit dem Beibehalten diskriminierender Begriffe Stereotypisierungen zu reproduzieren. Im Gegenteil: Es schränkt die Freiheit der Betroffenen ein, also ist es Freiheitsberaubung. Es ist genau diese Stereotypisierung, die Rassismus bedeutet und die darüber hinaus die Grundlagen für die radikale Auslebung dieser Ideologie schafft. Durch Begriffe, wie das N-Wort werden „die Anderen“ markiert. Dieses Wort transportiert eine Hierarchisierung vermeintlich verschiedener Menschengruppen. Schwarzen und PoC werden dadurch „naturbelassene“, „unzivilisierte“, „archaische“ und weitere „minderwertige“ Attribute zugeschrieben. Das ist die historische Komponente des Wortes und die steckt da einfach immer drin. Da helfen keine Bekundungen man meine es nicht so oder man könne das ja reflektieren. Das hat kein Weißer zu entscheiden! Kein Neonazismus, kein Rassismus, keine extrem Rechte Ideologie kann funktionieren ohne die Markierungen von „Wir“ und „Die“, von Norm und Abweichung. Wie kann jemand von sich behaupten, Nazis scheiße zu finden, eine notwendige Bedingung für deren Ideologie – den Rassismus – aber fortwährend reproduzieren?
Die deutsche Blutgemeinschaft
Das ius sanguinis bedeutet Abstammungsprinzip und es gilt in Deutschland. Nach diesem Prinzip richtet sich die Nationalität eines Menschen nach der Nationalität der Eltern. Wenn du also am Nordpol geboren wirst und deine Eltern sind deutsch, dann bist du nach diesem Prinzip ebenso deutsch. Dieses Prinzip folgt also der Vorstellung einer „Blutlinie“. Dem Gegenüber steht das ius soli, das Geburtsortsprinzip, das 2000 ergänzend in Deutschland eingeführt wurde (mit der Umsetzung dessen ist auch wieder genug rassistische Scheiße verbunden, aber das soll hier jetzt nicht Thema sein). Trotz ius sanguinis und trotz immensem Weißbrotüberschuss gibt es natürlich Schwarze Deutsche und PoC mit deutscher Staatsbürgerschaft und das nicht erst seit neuestem. Dennoch hat sich dieses Abstammungsprinzip der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft offenkundig bis in die letzte Gehirnwindung gefressen. Mehrheitlich sehen sie sich als weiße Blutgemeinschaft, in der alle, die nicht weiß sind, nicht so richtig deutsch sind. Ich will jetzt nicht darauf eingehen, wie scheiße Nationalstaaten ohnehin sind, das führt an dieser Stelle zu weit. Wenn sich aber in dieser unsäglichen Debatte schon von Herrn Greiner auf das Grundgesetz bezogen und Rat in Form des Artikels 15 (Zensur) geradezu an den Haaren herbeigezogen wird, dann sei doch auch noch auf den Artikel 3 eben dieses Grundgesetzes verwiesen, der in dieser Debatte nämlich viel wichtiger ist und in dem steht:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden
Und wenngleich hier der seit einer gefühlten Ewigkeit als wissenschaftlicher Bullshit erwiesene Begriff der „Rasse“ Verwendung findet, und wenngleich es die Verfassung eines Nationalstaates ist, also niemals wirklicher Ausdruck von Antirassismus sein kann (hier könnte man jetzt einen riesigen Exkurs aufmachen, aber das lassen wir jetzt mal, geht doch einfach in ’ne Bibliothek und lest nach worauf ich hinaus will), ist es doch dieser Artikel 3, der deutsche Feuilletonisten aufhorchen lassen sollte und nicht der fünfzehnte. Es ist dieser Artikel, der in unserer Gesellschaft kaum Beachtung findet und der durch das zwanghafte Wehren der N-Wort-Verfechter mit Füßen getreten wird.
Kindern die Angst vor Fremden nehmen, übrigens, wird obsolet, wenn man Kindern nicht erst beipult es gäbe Fremde.
Literaturtipps:
Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.): „Mythen, Masken und Subjekte: Kritische Weißseinsforschung in Deutschland“
Noah Sow: „Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus“
Und grundsätzlich gilt: HÖR ZU verdammte Axt und hör auf damit dich Arier als armes Opfer von Diskriminierung hinzustellen. Bist du nicht!
Grundsätzlicher Dank an den braunen Mob e.V. deren Website in Fragen bezüglich Rassismus (besonders für Journalisten und Blogger) grundsätzlich erste Anlaufstelle sein sollte. Für diverse hilfreiche Tipps, Hinweise, Kritik und Anregungen während der Entstehungsphase dieses Blogposts danke ich @momorulez und @liebtdi_ch