„Scheiß Millionäre!“ auf antirassistisch

 In seinem Blog Metalust & Subdiskurse hat Momorulez am 23. November einen offenen Brief an die 1. Mannschaft des FC Sankt Pauli verfasst, in dem er den Spielern unter anderem mangelnde Identifikation vorwirft. Wir veröffentlichen hier mit freundlicher Genehmigung die Gedanken von Sankt Pauli Fan, Journalist und Blogger Patrick Gensing, die er bei Facebook zum viel gefeierten offenen Brief formulierte. Der Vollständigkeit halber sei noch auf die von Momorulez nachgereichten Erläuterungen zu seinem Brief hingewiesen.

von Patrick Gensing

Gedanken zur Kritikkultur in der Fanszene des FC St. Pauli

In vielen braun-weißen Online-Foren und Facebook-Fäden wird derzeit ein Beitrag des Blogs Momorulez Metalust abgefeiert. Man sollte den Text an die Kabinentür der Mannschaft nageln, heißt es beispielsweise. Ich kann mich der Begeisterung leider gar nicht anschließen. Denn dort heißt es zur Leistung und zum Auftreten der Spieler in den vergangenen Wochen:

Ich finde das so würdelos. So fernab jeglichen Stolzes.

Frage mich dann, ob es denn Marginalisierungserfahrung braucht, um nicht so durch das Leben zu labbern und zu wabern, wie ihr das tut, ihr satten, weißen Jungs – die einzigen, die da was reißen, sind regelmäßig Ratsche, der wohl erlebt hat, was es heißt, “der Kleine” zu sein, und Okan Kurt. Entsprechend wurde Ratsche jetzt ja auch zusammen getreten, weil sein Engagement eben auffällt. Angst ist aber auch ein schlechter Berater und macht unglücklich. Das kann man auch von ihm lernen.

Habt ihr gar keine Ressourcen entwickelt, euch mal wirklich wehren zu müssen??? Seid ihr immer mit geschwommen im Mainstream, weil es sich da so angenehm lebt? Kennt ihr so was wie Selbstbehauptung angesichts widriger Umstände gar nicht?

Das klingt für mich wie der branchenübliche Populismus a la „Scheiß Millionäre“ – nur auf anti-rassistisch. Passt übrigens auch alles vorne und hinten nicht zusammen, wenn man sich die Geschichte der vergangenen Jahre anschaut: Was war denn mit der Mannschaft um Boll, Ebbers, Bruns & Co.? Alles Leute mit Marginalisierungserfahrung? Von den Zeiten von Golke, Wenzel, Schlindwein, Duve, Olck, Gerber, Hollerbach usw. wollen wir mal gar nicht anfangen.

Und sind Marginalisierungserfahrungen heutzutage eine Art hilfreicher softer Skill, weil man sich besser durchboxen kann? Rassismus als modernes Stahlbad? Und warum brauchen die „satten weißen Jungs“ überhaupt plötzlich solche Skills, wo sie doch sonst angeblich immer und überall privilegiert sind und sicherlich nur aus strukturellen Gründen den Sprung in den Profi-Fußball geschafft haben, und nicht etwa, weil sie ihre gesamte Jugend diesem Traum geopfert haben, diese verdammten Weicheier? Und sind Leute mit Marginalisierungserfahrung etwa auch aggressiver als die satten weißen Jungs? Da käme man schnell in ganz trübe Fahrwasser, was aber zwangsläufig passiert, wenn man die gesamte Menschheit immer nur in die Kategorien weiß oder schwarz, hetero oder homo einteilt – und nicht individuell schaut, was das für Leute sind. Vielleicht haben wir einen schwulen Spieler im Team, der sich nicht outen will – warum kämpft der eigentlich denn nicht? Spekulation? Sicher, wie der gesamte Artikel von Momorulez.

Vielleicht sind die Spieler aber auch allesamt Langweiler, ich weiß es nicht, es ist auch gar nicht mein Bier – und so ein Pauschalurteil ist eben – wie erwähnt – nichts anderes als Populismus mit Geschmäckle; Wie wäre es, wenn ein Nachkomme eines Holocaust-Opfers an die Spieler schreibt: „Hey, Leute, wisst Ihr wie das war, hier in der post-faschistischen Gesellschaft aufzuwachsen? Strengt Euch doch mal an!“ Absurd? Klar, aber auf der Ebene wird hier argumentiert.

Womit wir bei den Positivbeispielen wären: Rzatkowski ist bissiger, weil er klein ist? Sollen wir nun hauptsächlich kurze Leute holen? Oder ist es doch eher der Nachname, der aus Rzatkowski plötzlich den Vorzeige-Kiez-Kämpfer gemacht hat? Und Kurt ist okay, weil er Okan heißt? Er dürfte sich bedanken, wenn seine gesamte Persönlichkeit so reduziert wird. Und Azzouzi müsste dieser Logik folgend ja irgendwie der krasse Rebell sein, kommt gar nicht so rüber; er ist eher derjenige, der die „weißen satten Jungs“ geholt hat. Was ist überhaupt mit Alushi, Budimir und Verhoek? Und hätten wir nicht lieber Vrabec behalten sollen? Passt doch deutlich besser, so mit seinen kroatischen „Wurzeln“. Ach ne, Meggle hat ja „schon Heldenhaftes am Millerntor gerissen“, schreibt Momo, das passt also schon…

Momorulez erwähnt übrigens, er liebe seit 14 Jahren den FC St. Pauli – ich feiere im Frühjahr mein 30-jähriges Millerntor-Jubiläum – scheint bei solchen Themen ja immer irgendwie wichtig zu sein, Tradition und so, Sie erinnern sich sicherlich an die Kritik von Momo an der Mottofahrt nach Leipzig.

Ich habe beim FC St. Pauli auch bessere Zeiten erlebt, aber auch schon schlechtere. Was ich vollkommen unabhängig davon am Millerntor stets geschätzt habe, weshalb ich immer gerne wie ein Koberer Freunde und Bekannte mit ins Stadion geschleppt habe – die danach immer begeistert waren, egal wie grottenschlecht das Spiel war – das war die Offenheit allen Menschen gegenüber. Dazu gehört auch, Menschen und sogar Spieler so zu akzeptieren, wie sie sind. Man muss sie nicht mögen, man kann über ihre Leistungen fluchen und sich aus Frust besaufen, man kann meinetwegen auch mal pfeifen statt zu singen – oder mit den Spielern reden, um sich ein Bild von ihnen zu machen. Aber fast alle Spieler auf persönlicher Ebene so abzuurteilen, wie es in diesem Text geschieht, ist nicht mein Verständnis eines fairen Umgangs miteinander – egal wo. Und wenn sich die Spieler angesichts so einer Pauschalkritik abends über die eigene Fanszene lustig machen (wie in dem Text ohne irgendwelche Indizien frei spekuliert wird), würde ich ihnen das kaum übel nehmen können.

Walk on, FCSP!

(Beitragsbild: CC BY-NC-SA 2.0 von Mait Jüriado auf Flickr)