Sklavenhandel? Dies ist MARKTWIRTSCHAFT!

Oh Jemine, Gott steh uns bei. Das halbe Land empört sich, wegen der bösen Leute von Amazon, die sich die Taschen vollstopfen und die armen Menschen versklaven. Oh wait.

Was bei Amazon passiert ist scheiße, keine Frage. Die Recherchen der ARD schockieren. Menschen werden in Feriendörfern untergebracht und von der Außenwelt weitgehend abgeschottet. Neonazis stellen den Sicherheitsdienst und überwachen die Leiharbeiter*innen. Die Arbeitsbedingungen sind mies, sicherlich. Das war es dann aber auch schon fast. Zur Erinnerung, die Leute verdienen 8,53€ pro Stunde. Das sind 3 Cent mehr, als die Gewerkschaften als Mindestlohn fordern. Nicht viel, klar. Es gibt aber auch genug Leute, die weniger verdienen. Doch auch wenn das alles andere als “fair” und “nett” abläuft ist das KEIN “moderner Sklavenhandel”. Der Kapitalismus ist bloß einfach nicht mehr so “nett”, wie noch vor 20 Jahren. Die Menschen gehen aber nicht in Ketten. Die schlechten Arbeitsbedingungen der Leiharbeiter*innen soll man nicht verharmlosen, die Sklaverei aber genauso wenig.

Dabei ist das alles zu erwarten gewesen, nicht erst seit der Agenda 2010. Sie verstärkt nur das, worauf der Kapitalismus angelegt ist, also dass genau das passiert. Ein Versatzstück war Clements Einsatz für bessere Bedingungen für Zeitarbeitsfirmen, bei denen er schlussendlich auf der Gehaltsliste stand. Schlimm? Kapitalismus! Die Demokratie muss sich also gegen die bösen Kapitalisten wehren? BULLSHIT! Die Demokratie wurde letztlich wegen des Kapitalismus‘ eingeführt, meine Lieben. Die französische Revolution war die Revolution des Bürgertums, also – stark vereinfacht und auf heute übertragen – der Amazon Geschäftsführung.

Amazon Versandzentrum in Leipzig (CC BY-SA 3.0) Medien-gbr
Amazon Versandzentrum in Leipzig (CC BY-SA 3.0) Medien-gbr

Nicht erst in den letzten Jahren setzte sich der Glaube durch, sozial sei das, was Arbeit schaffe. Dabei ist es nicht Arbeit, die wir zum Leben brauchen, sondern Bleibe, Wärme, Leute, Mampf, Dinge. Die Arbeit ist Mittel zum Zweck. Dabei haben die meisten Menschen nicht einmal die Wahl, welche Arbeit sie ernährt, wenn sie denn eine haben. Die Kritik an den Arbeitsbedingungen, die sich gerade wie eine Flutwelle über Deutschland und Amazon ergießt schlägt völlig ins Leere. Nicht die Arbeitsbedingungen, die könnten weit schlechter sein, müssen kritisiert werden, sondern das System in dem Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Amazon hat sich das nicht ausgedacht. Amazon nutzt nur, was das System ihnen ermöglicht. Profitmaximierung ist das grundlegende Prinzip in der Marktwirtschaft. Daran ändert auch das formale Vorwort „sozial“ nichts. In abgemilderter Form war das auch vor 20-30 Jahren schon so.

Es zeichnet sich ab, dass die, die sich nun aufregen und gegen das Versandhaus “shitstormen”, die sind, die im Herbst an die Wahlurnen rennen. Dann verteilen sie ihre Stimmen an SPD, CDU, Grüne, FDP, NPD, LINKE, Piraten und so weiter. Jede diese Parteien ist für sich genommen aus diversen Gründen scheiße. Sie alle stehen aber für das System der Lohnarbeit. Keine von ihnen hatte je vor das Prinzip grundlegend in Frage zu stellen. Das Problem war, ist und bleibt der Kapitalismus.

Der einzige Grund Amazon wirklich zu haten ist die Zusammenarbeit mit Nazis. Aber wen wundert das, die nehmen doch auch nur äußerst widerwillig Nazistuff aus dem Sortiment.

Der Fall Wiesenhof

Die barbarische Ausnahme in einem sonst ethisch-moralisch einwandfreiem System.

An der Weser war beinahe alles perfekt. Ein schlichtes Trikot in den Vereinsfarben ohne Sponsor. Das Fanherz hüpft, wir kennen das noch von den Trikots des FCSP vor 3 Jahren. Doch nun wendet sich das Blatt aus Fansicht zum Schlechteren. Ein Logo mit norddeutschem Bauernhaus soll laut „Bild“ die Brust der Fischköppe zieren, es gehört dem Geflügelkonzern Wiesenhof. Dieser war zuletzt in die Kritik geraten, weil er Tiere schlecht behandelt und Arbeiter_innen ausbeutet. Die ARD hatte einen entsprechenden Bericht verfasst.

Paul Heinz Wesjohan
Wiesenhofboss Paul Heinz Wesjohan, bei der Geburt von DFL-Boss Rauball getrennt (Screenshot aus "Das System Wiesenhof", ARD)

Und genau deswegen entlud sich gestern ein Shitstorm auf der Facebookseite des SV Werder Bremen. Natürlich ist es verständlich, sich über derartige Bedingungen aufzuregen nur ist es leider das typische Richtig/Falsch-Schema, das hier Antrieb ist und in bekannter Betroffenheitsrhetorik seinen Ausdruck findet. Es ist ja mitnichten so, dass diese Vorgänge ein Unikum sind und Wiesenhof der einzige Produzent, der derart mit den Tieren verfährt. Es ist vielmehr das klassische Schema in der industriellen Landwirtschaft unserer kapitalistischen Welt. Es geht hier um Profit, um Gewinnmaximierung. Die Nachfrage nach günstiger Wurst erzeugt ein entsprechendes Angebot und anders herum. Entsprechend ist der Fleischkonsum auf Rekordniveau und die Entstehungsbedingungen des Fleisches sind dem Wesen des Systems gewissermaßen äquivalent.

Die verkürzte Gutgläubigkeit, es sei damit getan, den „Ausnahmefall Wiesenhof“ zu kritisieren, ist symptomatisch für die Zeit der „99 Prozent“, die immer noch glauben, es könne eine gute (soziale?) Marktwirtschaft geben. Die Problemanalyse der „shitstormenden“ Fußballfans erinnert erschreckend an den durchaus bekannten Fokus ihrer Kritik auf den „modernen Fußball“, bei der stets vergessen wird, dass jener lediglich Auswirkung des kapitalistischen Systems ist. Doch das nur als Nebenvermerk. Grundsätzlich ist die nun aufkommende Kritik an Wiesenhof Ausdruck derer, die tatsächlich so naiv sind, zu glauben, es gebe ein richtiges Leben im Falschen (Phrasenschwein wird beschert) und das ist der Fehler.

Tatsächlich, wäre es ein anderer Konzern, der unter vergleichbaren Bedingungen produzierte, wenn es Wiesenhof nicht (mehr) gebe. Vielmehr gibt es diverse Betriebe und Konzerne weltweit die unter unwürdigen Bedingungen – für Mensch und Tier – produzieren. Dabei ist aber nicht so, dass es die guten Betriebe einerseits und die bösen Betriebe, wie den Wiesenhof-Konzern, andererseits gibt. Alles, der Bio-Hof, genau wie der unethische Massenbetrieb, der Discounter und die Edelfleischtheke, der Dumpinglohn des Wiesenhof-Arbeiters und das Konto von Herrn Wesjohan finden im selben systemischen Kontext statt. Es ist das System und nicht die schwarze Seele des Konzernchefs, das Tierquälerei, Dumpinglöhne, mangelhafte Hygienebedingungen, etc. produziert, so dass auch die Arbeit der Holocaust-Relativierer von PETA nur bedingt dazu beitragen kann, diesen Zustand zu ändern. PETA fordert mit seinen Kampagnen regelmäßig zu kritischem Konsum hinsichtlich der Tierrechte auf, also dazu vegetarisch oder besser noch vegan zu leben. Nun sei es jedem Menschen unbenommen über seine Lebensführung selbst zu entscheiden, nur ist es tatsächlich so, dass gerade jene kritische Konsument_innen den neoliberalen Geist, der das System derzeit am nachhaltigsten prägt, vortrefflich reproduzieren:

In letzter Konsequenz bedeutet dieses Verhalten eine Verschiebung der Verantwortung für gesellschaftliche Verhältnisse: weg von den Institutionen gesellschaftlicher Macht, hin zum Individuum. Und das bedeutet zugleich, dass der Markt als Regulationsinstanz Akzeptanz findet, weil er ja von bewussten KonsumentInnen genutzt wird. Politischer Konsum erscheint somit als paradigmatische Aktionsweise der Kinder des Neoliberalismus. So wird jedoch zugleich die Verantwortung von dem Bereich der Produktion in den des Konsums verlagert (Publikative.Org/Tobias Neef)

Das ist nicht als Vorwurf gegenüber irgendwem zu lesen und soll nicht die moralische Waage zugunsten der Fleischkonsument_innen ausgleichen. Das schlechte Gewissen, das Fleischkonsument_innen durch Kampagnen, wie der gegen Wiesenhof, gemacht werden soll, ist jedoch wenig hilfreich. Dadurch werden die Ursachen der Produktionsverhältnisse in Betrieben, wie denen des Wiesenhof-Konzerns, verschleiert, gleichzeitig wird versucht einen ungerechtfertigten moralischen Druck aufzubauen. Ein Verzicht auf Fleisch oder tierische Produkte mag im Stande sein das eigene Gewissen beruhigen und kann als moralische Stärkung fungieren; es gibt gute Gründe dafür fleischfrei zu leben. Es wäre jedoch falsch zu glauben, es brachte eine Änderung hervor. Ferner ist mit Schuldzuweisungen à la „Jeder, der Fleisch isst, finanziert die Produktionsbedingungen mit seinem Konsumverhalten mit“ (siehe PETA Video zu Wiesenhof ab Minute 3:20) weder den Tieren oder sonst wem geholfen sei. Beinahe ist sogar das Gegenteil der Fall: die auf diese Weise geschwungene Moralkeule nimmt Druck von den Produzenten (was aber auch keine nachhaltigen Änderungen herbeiführen kann) und verteilt sie auf die Schultern der Einzelen. Weder ein Shitstorm gegen Werder, gegen Wiesenhof oder gegen Fleischfresser wird Kapitalismus, Massentierhaltung, Dumpinglöhne, schlechte Hygienebedingungen oder irgend etwas anderes ändern – und gleiches Gilt für Kampagnen.

Natürlich kann Öffentlichkeit und ein kritisches Bewusstsein punktuelle Erfolge erzielen. Es reicht nicht, gegen Wiesenhof als einzigen Fall zu agitieren, im Allgemeinen aber das System zu tragen, damit macht man sich schließlich unglaubwürdig. Das kritische Bewusstsein muss sich aber auf das Ganze beziehen und darf nicht auf einzelne Komponenten limitiert sein. Letztlich findet der kritische Konsum, da seine Grenzen, wo ihn sich die Menschen schlichtweg nicht mehr leisten können. Mit Sicherheit kann er also eine Komponente im Kampf ums schöne Leben darstellen, aber es darf sich nicht auf ihn beschränken und sich ihm bedienen zu können, ist ein Privileg, kein moralischer Freibrief.

Kranke Subjekte in der Leistungsgesellschaft?

Ein etwas älteres Essay aus meiner Schublade zur Frage, was es heutzutage bedeutet gesund zu leben.

Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Gesundheit „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“[1]

Ich bin immer gerne zur Schule gegangen. In der Schule, das wusste ich, treffe ich meine Freund_innen und werde Spaß haben. Dass die Schule eine Bildungsinstitution darstellt, war für mich stets schmückendes Beiwerk einer Einrichtung, die – subjektiv empfunden – in erster Linie Aufbau und Pflege sozialer Kontakte diente. Schon in der Grundschule war ich kein Freund von Hausaufgaben, wollte ich doch viel lieber altersgerechten Beschäftigungen nachgehen, wie z.B. Baumhäuser bauen. Diese Laissez-faire-Einstellung zog sich durch mein komplettes Schulleben. Am Ende stand ich ohne viel Zutun mit einem passablen Abitur da. Wahrscheinlich bin ich einer der letzten Heranwachsenden in Deutschland, der sich so durch seine Schulzeit bewegt hat. Der Fokus war stets auf das persönliche Glück gerichtet, dabei galt es so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich zu machen. Schule machte dann Spaß, wenn sie frei von Zwängen stattfand.

Eine solche Einstellung ist jungen Menschen heute nahezu unmöglich. Der demographische Wandel und die sich stetig verbessernden medizinischen Möglichkeiten lassen unsere Gesellschaft immer älter werden. Diese Begebenheit hat direkten Einfluss auf die quantitativ schrumpfende junge Generation. Damit ein angemessener Lebensstandard auch im Alter gewährleistet ist, hofft man auf konkurrenzfähigen Nachwuchs. Mit dem Ziel junge Menschen dem Arbeitsmarkt schneller zur Verfügung zu stellen wurde mit der G8-Reform – im Volksmund das „Turbo-Abi“ – die Gymnasialzeit um ein Jahr gekürzt. Was sind die Gründe für diese Reform? Wie kam es dazu? Was bedeutet die Reform im Speziellen und die Schule im Allgemeinen für die Kinder? Was ist das für eine Gesellschaft, auf die die Schüler_innen vorbereitet werden sollen?

Erste Vorstöße zu dieser Verkürzung kamen bereits in den 1990er Jahren aus den Reihen des Bundesfinanzministeriums. Ein_e Gymnasiast_in kostet pro Schuljahr 5.000 Euro, das Einsparpotential ist also enorm. Es geht aber nicht nur um Einsparungen, sondern auch um Mehrwert. Dieser Mehrwert entsteht durch die schnellere Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt. In diesem Sinne ist mitunter auch die Aussetzung der Wehrzeit zu betrachten.

Die Lehrinhalte bleiben trotz der Schulzeitverkürzung erhalten. Die daraus resultierende Mehrbelastung bedeutet in erster Instanz den Verlust von Freizeit und damit einhergehend den Verlust von Freiheit. Infolgedessen kommt es zwangsläufig zu einem Anstieg der psychischen Belastung für die Schüler_innen. Immer mehr Kinder leiden unter Stress und daraus resultierenden Kopfschmerzen. Eltern wird erklärt, woran sie erkennen können, ob ihr Kind ein „Burn-out“ erleidet. Belastungen, die selbst bei Erwachsenen als unnötig erscheinen sollten, werden nun bereits Kindern systematisch antrainiert. Kinder, die die Belastung nicht aushalten, werden vom System aussortiert. Für sie bleibt eine zu geringerer Qualifikation führende, niedrigere Schulform und – daraus in der Regel folgend – schlechter bezahlte Arbeitsplätze. Wer das Abitur anstrebt, ist die komplette Schullaufbahn angehalten in einem ähnlich hohen Pensum zu arbeiten, wie erwachsene Angestellte. Auf natürliche Entwicklungsphasen, wie die Pubertät, in denen Heranwachsende dazu neigen mit den Gedanken bei anderen Dingen zu sein, als bei den schulischen Aufgabenbereichen, kann keine Rücksicht genommen werden. Reißerisch formuliert, könnte man sagen, die hässliche Fratze unserer Leistungsgesellschaft manifestiert sich in leeren Fußballplätzen und verstaubten Puppenhäuschen.

Die Schule dient in diesem Zusammenhang jedoch nicht nur der Vermittlung von Lehrinhalten, sie dient viel mehr noch der Vorbereitung auf das Leben in der Gesellschaft, auf die Teilhabe am Arbeitsmarkt. Die Schule ist institutionelle Disziplinierung zur Vorbereitung auf ein Leben in einer kapitalistischen Verwertungslogik, in der das Leben selbst und damit einhergehend die Gesundheit in den Hintergrund rücken, gar zu Mitteln zum Zweck verkommen.

Auf dem Altar des Gemeinnutzens wird die individuelle Freiheit der Kinder geopfert. Die Erwachsenen nehmen den heranwachsenden Menschen das Kostbarste in ihrem Leben: die Kindheit, in der das Kind einfach Kind sein kann. Wie gerne erinnern wir uns an unsere Kindheit, an das Herumtollen und die Leichtigkeit? Eine unbeschwerte Kindheit gilt als erstrebens- und beneidenswert. Elementarste Erfahrungen zur Persönlichkeitsbildung werden demnach auf ein Minimum reduziert.

Die Schulreform hat nicht nur für die jüngeren Schüler_innen verheerende Folgen, auch auf die älteren Semester wird nicht geringer Einfluss genommen. Durch Schwerpunktmodule in der gymnasialen Oberstufe werden die Schüler_innen gezwungen sich frühzeitig auf eine Richtung festzulegen. Hier werden nicht nur individuelle Fähigkeiten und Interessen durch die ‚Verschubladung’ vernachlässigt, sondern junge Menschen werden sprichwörtlich zu Rädchen im Getriebe ausgebildet. Die Verknappung der Freizeit hat natürlich weiterhin bestand, denn alles fokussiert sich auf die spätere Verwertbarkeit der Subjekte am Arbeitsmarkt, wo Freizeit auch Mangelware ist, gibt es doch in vielen Berufen dank E-Mail und Mobiltelefon nicht einmal einen tatsächlichen Feierabend. Die Arbeit ruht nie – genau daran werden die Heranwachsenden gewöhnt. Fähigkeiten wie eigenständiges Denken und Ereignisse wie das Sammeln von Erfahrungen oder das Machen von Fehlern verkommen zu störenden Elementen in einem – gemäß eines utilitaristischen Weltbilds – normativen Ausbildungsprozess. Die tragische Ironie dieser Marschroute ist, dass die oft als Schlüsselqualifikationen angeführten ‚Soft-Skills’ in der Schule nicht vermittelt werden. Am Arbeitsmarkt angekommen, bringen junge Arbeitnehmer_innen zwar breit gefächertes Allgemeinwissen mit, doch Eigenständigkeit und Ideenreichtum sind oftmals Mangelware. In der Angst ein globales Wettrennen zu verlieren bilden wir unseren Nachwuchs zu unfertigen Menschen und geistig-sozial verkümmerten Ausführungsorganen aus. Sie wissen zwar viel, doch der Geist sollte eben aus mehr bestehen, als bloßem Wissen. Allein daher könnte großen Teilen der Gesellschaft gemäß oben genannter Definition der WHO bereits mangelnde Gesundheit attestiert werden.

Die Schule und der schulische Ausbildungsprozess stellen sich dementsprechend als Versatzstücke in einem gesellschaftlichen System dar, das den Menschen in den Hintergrund rückt. Menschliche Gesundheit, menschliches Wohlergehen werden dafür als elementare Grundvoraussetzungen zur Leistungserbringung angesehen. Die Fähigkeit krank zu werden ist im Zuge dessen ein Störfaktor. Mittels medikamentöser oder psychotherapeutischer Behandlung soll die Leistungsfähigkeit möglichst wiederhergestellt werden, nicht um des Menschen, sondern um der Produktivität willen. Gesund zu sein, scheint heute in der Regel nicht mehr oder weniger zu bedeuten, als leistungsfähig zu sein und dem Arbeitsmarkt zur Verwertung zu Verfügung zu stehen.

Viele Krankheiten werden, durch die Belastungen von Schule, Universität und Arbeitsmarkt, unter dem vermeintlichen Sachzwang der internationalen Konkurrenzfähigkeit erzeugt. Die Behandlung dieser Krankheiten greift dementsprechend nur auf die Symptome, nie aber auf die im System begründeten Ursachen zurück. Die Schule stellt in dieser Logik die erste Stufe systematisch-institutioneller Krankheitsbildung dar.

Die Fragen, die wir uns stellen müssen, lauten: „Mit welchem Recht nehmen wir unseren Kindern das, was für uns selbstverständlich war?“, „Mit welchem Recht zwingen wir unseren Kindern unsere völlig perfide Lebensweise auf?“, „Wollen wir uns und unseren Kindern diese Lebensweise wirklich noch länger antun?“ und „Wann hören wir auf mit der Raserei und entschleunigen unseren Alltag?“

Inspiration zu diesem Essay war die Lektüre eines Artikels bei Zeit Online unter dem Titel „Liebe Marie,“. Der Autor Henning Sußebach schreibt diesen Artikel als Brief an seine 10-Jährige Tochter, die von der G8-Reform betroffen ist.


[1] Weltgesundheitsorganisation (WHO): Verfassung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 1946, unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_810_1/index.html (zuletzt abgerufen am 12.01.2012)

Literatur

Sußebach, Henning: „Liebe Marie,“, Zeit Online, 30.05.2011 unter: http://www.zeit.de/2011/22/DOS-­G8/komplettansicht (zuletzt abgerufen am: 13.01.2012)

Weltgesundheitsorganisation (WHO): Verfassung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 1946, unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_810_1/index.html (zuletzt abgerufen am 12.01.2012)

Occupy Yourself

Die wunderschöne Poesie des Epilogs

So mancher ganz große Denker suchte die Einsamkeit zum Verfassen der ganz großen Schriften. Ich bin kein ganz großer Denker, würde mich nicht einmal einen Denker nennen, vielleicht jemand, der sich Gedanken macht, aber wer tut das nicht? Überdies wird jenes hier auch keine der ganz großen Schriften. Es wird bloß ein Blogpost, eines unter vielen beim Lichterkarussell, unter abertausenden in den Weiten des Internet. Es wird von einer Handvoll Leute gelesen, mehr Strahlkraft wird das Thema auch in Zeiten einer sich ausbreitenden „Occupy-Bewegung“ nicht schaffen. Der Text zum Neubau der Gegengerade wird einer der meistgelesenen bleiben – wahrscheinlich – aber das ist auch völlig in Ordnung so. Occupy Yourself weiterlesen