The Rant
Was ist das erste Kennzeichen dafür, dass etwas unehrlich und falsch ist oder zumindest sehr verdächtig? Richtig, eine besonders lange und komplizierte Bezeichnung. Das fragliche und fragwürdige Dokument trägt den knackigen Titel
INFORMATION UND DISKUSSION ÜBER WEITERE SCHRITTE ZUR UMSETZUNG DER ERGEBNISSE DER SICHERHEITSKONFERENZ IN BERLIN UND DER INNENMINISTERKONFERENZ („Sicheres Stadionerlebnis“).
Wenn man je das Konzept des Potemkinschen Dorfes anhand eines Dokuments erläutern wollte — hier ist die perfekte Gelegenheit.
Probleme werden lediglich behauptet, Lösungen ohne Beleg als „wirksam“ oder „angemessen“ deklariert, alles graphisch professionell und in sich „logisch“ präsentiert und für den oberflächlichen oder unkritischen Leser sind immer wieder ein paar Brocken eingestreut, die den Eindruck erwecken sollen, es ginge um ein ausgewogenes Handlungspaket, das den Interessen der verschiedenen Parteien gerecht wird. Die reine Behauptung einer Problemlösung, nämlich der Beseitigung von Gefahr hin zu einer Sicherstellung der Sicherheit in und um die Stadien. Eine bunte Fassade, mehr nicht, sollen doch so ziemlich alle repressiven Elemente verbindlich für die Lizenzierung oder die Sportgerichtsbarkeit werden, während die kleinen „Zugeständnisse“ überwiegend Kann-Bestimmungen bleiben, den Clubs überlassen werden oder nur so allgemein ausgeführt sind, dass sie keine Schlüsse auf die praktische Relevanz ermöglichen. „Zugeständnis“ steht übrigens in Anführungsstrichen, da es sich natürlich auch nicht um wirkliche Zugeständnisse handelt, sondern lediglich um die teilweise Korrektur einiger Vorgehensweisen, die von den rechtsstaatlichen Grundsätzen her eher ins späte deutsche Kaiserreich denn ins 21. Jahrhundert gehören.
Rechtsstaatlichkeit?
In einer Gesellschaft gibt es Regeln, kodifiziert in Gesetzen: BGB, Strafgesetzbuch und so. Man mag das, was die Mehrheit in einer Gesellschaft mehr oder weniger abstrakt für wünschenswert hält, jetzt im Einzelfall für toll oder weniger toll halten, aber grundsätzlich funktioniert das hier ganz ordentlich. Wenn jemand gegen Regeln verstößt, dann ist es eine Ordnungswidrigkeit oder ein Straftatbestand und kann entsprechend verfolgt werden. Für den Sport gibt es Ausnahmen: dieser hat eine eigene Sportgerichtsbarkeit, was eine pragmatische Lösung ist, um nicht jede missglückte Grätsche als Körperverletzung verfolgen zu müssen und den Besonderheiten des sportlichen Wettkampf gerecht zu werden. Mit der Teilnahme am Spielbetrieb unterwerfen sich Vereine und Spieler diesem Reglement, da es letztlich zum Vorteil aller Beteiligten wirkt.
So hat das lange Zeit auch ganz gut funktioniert: Die Sportgerichtsbarkeit kümmert sich um die Verstöße im sportlichen Wettkampf, wozu ggf. auch Fehlverhalten eines Clubs außerhalb des Spielfelds zählen kann, wenn z. B. durch wirtschaftliches Fehlverhalten oder Bestechung unfaire Wettbewerbsvorteile erzielt wurden. Gleichzeitig kümmert sich die ordentliche Gerichtsbarkeit um die Verstöße anderer Personen oder Gruppen, die nichts mit dem Erfolg auf dem Spielfeld zu tun haben: wenn ein Fan randaliert, jemanden zusammenschlägt oder beraubt oder volksverhetzende oder beleidigende Äußerungen tätigt, dann wird das von der Polizei aufgeklärt, zur Anklage gebracht und vor einem ordentlichen Gericht nach strengen rechtsstaatlichen Maßstäben und Abläufen verhandelt, beurteilt und ggf. eine Strafe verhängt.
Schon seit einiger Zeit entfernen sich DFB und DFL von dieser Aufteilung. Sie streben danach, immer größere Anteile des Geschehens außerhalb der rein sportlichen Aspekte zu kontrollieren. Dabei werden normale Bürger nur aufgrund einer Teilnahme oder beabsichtigten Teilnahme als Zuschauer einer Veranstaltung plötzlich einer zweiten Gerichtsbarkeit unterworfen, die gar nicht dafür geschaffen wurde, Fälle außerhalb des rein sportlichen Ablaufs und des Verhältnisses von Vereinen untereinander zu regeln. Das wirft drei Probleme auf:
- Die Sportgerichtsbarkeit, die letztlich eher eine Art Schlichtungsstelle unter Sportskameraden darstellt, ist von ihren ganzen Abläufen und Maßstäben überhaupt nicht dafür geeignet, Vorgänge außerhalb des originär sportlichen Bereichs zu verhandeln und zu verurteilen.
- Es werden Bürger dieser Parallel-Gerichtsbarkeit unterworfen, die sich dazu nicht durch die Teilnahme als aktive Sportler bereit erklärt haben und daraus auch keinen Vorteil ziehen. Jegliche Form von Gerichtsbarkeit außerhalb der ordentlichen ist sowieso schon ein extremer Ausnahmefall und beruht immer auf Gegenseitigkeit, alle Parteien vereinbaren, bestimmte Fälle über eigene Schiedsgerichte zu klären. Der Fan aber wird hier einer solchen Sondergerichtsbarkeit unterworfen, ohne seine Zustimmung zu geben. Teilweise geschieht das direkt, v.a. in Form der Stadionverbote, die keinesfalls ein rein präventives Mittel darstellen. Noch schwerer, da potentiell existenzbedrohend, sind hingegen die indirekten Wirkungen, überwiegend in Form von Schadensersatzforderungen der Vereine, die durch Fehlverhalten von Fans im Sportgerichtsverfahren zu Strafen verurteilt wurden. Die Schadensersatzpflicht muss dabei höchst kritisch gesehen werden, folgt das Sportgerichtsverfahren doch nicht den hohen Anforderungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Täter hat auch keine Chance auf eine Beeinflussung des Verfahrens.
- Es kommt zu Doppelbestrafungen. Strafen werden üblicherweise ausgesprochen, um einen Täter dazu zu bringen, eine Tat nicht erneut zu begehen, sei es durch Angst vor erneuter Bestrafung oder echter Läuterung. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Strafe vor einem ordentlichen Gericht als ausreichend zur Erzielung dieses Zwecks gelten muss. Jegliche direkte oder indirekte Bestrafung aus Folge eines Sportgerichtsurteils ist also quasi „on top“ und somit automatisch exzessiv. Faktisch wird der Fan hier sogar schlechter gestellt als der aktive Sportler, für den die Sportgerichtsbarkeit eigentlich gemacht ist: der Sportler umgeht durch das Urteil normalerweise die ordentliche Gerichtsbarkeit, den Fan treffen in vielen Fällen beide.
Als Beispiel für die Problematik kann man den Becherwerfer vom Spiel gegen Schalke nehmen und das ist schon ein relativ anspruchsvoller Fall im Vergleich zu völlig abstrusen Strafen wie der für ein Banner mit der völlig legalen Aufschrift „Bullenschweine“. Jedenfalls hat selbst der Becherwerfer in einem Rechtsstaat das Anrecht auf eine entsprechende Behandlung, egal, für wie idiotisch man seine Tat nun hält. Was ist passiert: ein besoffener Fan bewirft einen Schiedsrichter mit einem Bierbecher, trifft ihn und der kann seinen Job nicht mehr ausführen, das Spiel wird abgebrochen. Der Wurf konnte vom Verein durch keinen Ordnungsdienst der Welt verhindert werden, als einzige – aus guten Gründen nicht vorgeschriebene – Maßnahme wären engmaschige Netze um das komplette Spielfeld herum denkbar.
Nach DFB/DFL-Wunsch lief es wie folgt: aufgrund des Spielabbruchs wird das Spiel gegen den FCSP gewertet. Zusätzlich wird eine Strafe ausgesprochen, die in einer Verlegung eines Heimspiels in eine andere Stadt mit einigen weiteren Auflagen besteht. Der Fan bekommt eine Anzeige wegen Körperverletzung, Haus- bzw. Stadionverbot und der Verein versucht, den wirtschaftlichen Schaden von rund 500.000 Euro als Schadensersatz geltend zu machen.
Logisch und fair wäre eine andere Vorgehensweise: da der Spielabbruch letztlich auf die Partei „FCSP“ zurückgeht, wird das Spiel gegen den FCSP gewertet, das ist gut und korrekt. Die Tat an sich war vom Verein nicht zu verhindern, der Werfer wurde identifiziert und festgesetzt, somit waren Überwachung und Ordnungsdienst ausreichend, daher keine weitere Strafe. Der Werfer bekommt eine Anzeige aufgrund von Körperverletzung und muss Schmerzensgeld an den Schiedsrichterassistenten zahlen. Zusätzlich könnte man ein befristetes Hausverbot für das Millerntor aussprechen, das wäre sicherlich nicht überzogen.
Das ist DFB und DFL aber zu wenig. Die Verbände maßen sich an, viel tiefer in diese außersportlichen Zusammenhänge einzugreifen. Sie wollen die volle Kontrolle über alles, was mit Fußball bzw. v.a. den kommerziell erfolgreichen Bundesligen zu tun hat, selbst Anfahrtswege und Meinungsäußerungen.
Warum das alles?
Da alle Statistiken und Vergleiche zeigen, dass Bundesligaspiele so ziemlich die sichersten Veranstaltungen in Deutschland überhaupt darstellen, deutet alles darauf hin, dass man mittelfristig hin zu einer ohne Brüche konsumierbaren Popcorn- und Disney-Land-Fußballkultur gelangen will, ähnlich den Sport-Franchise-Unternehmen in den USA oder näherliegend der EPL, auf deren Fernsehgelder die Verantwortlichen der DFL immer wieder voller Neid blicken. Dabei wird gerne vergessen, dass ein Vergleich der Bundesliga mit der EPL aus mehreren Gründen nicht ganz aufgehen kann, da letztere diverse Vorteile für die internationale Vermarktung aufweist — den Bonus, als erstes auf dem Markt gewesen zu sein, die weitaus geringere Sprachbarriere und die weitaus größere internationale kulturelle Ausstrahlung des Landes aufgrund wiederum der Sprache, aber natürlich auch der Zeit des Empires und heute des Commonwealth.
Die Idee, die in jeglicher Hinsicht bunt gemischte und lebendige Fußballkultur aus verschiedensten sozialen und kulturellen Gruppen vom Mecker-Opa bis zur pyrozündenden Jung-Ultresse für einen Traum von einer stromlinienförmigeren Vermarktung zu opfern, ist durchaus nachvollziehbar — aus dem Blickwinkel von Menschen, deren Job die profitmaximierende Vermarktung der Vereine ist. Es ist letztlich eine Nebenwirkung der Professionalisierung; die Clubs dürsten nach immer mehr Geld, insbesondere die, die sich in den internationalen Wettbewerben behaupten müssen und gleichzeitig zu den mächtigsten Clubs in Deutschland und damit auch innerhalb der DFL gehören. Die Angestellten in der dafür geschaffenen DFL versuchen zu liefern. Verantwortlich ist damit also nicht so sehr die DFL, sondern viel stärker die Vereine, denn sie sind die Auftraggeber und es ist ihre Aufgabe, der DFL Vorgaben zu machen.
Ohne Vorgaben werden sich Vermarktungsprofis kaum intensiv um den Erhalt einer ihnen mal sehr, mal weniger fernen Fußballkultur kümmern, sondern eher die wirtschaftlich und sportlich erfolgreichsten Ligen als Benchmark für die Entwicklung der Bundesliga nehmen. Das mag im Interesse der wenigen dauerhaft international konkurrierenden Teams sein, für alle anderen bedeuten etwaige Mehreinnahmen jedoch einzig und allein steigende Kosten für Spieler und zudem längerfristig ggf. eine negative Kompensation durch geringere Zuschauerzahlen.
Es ist zudem eine recht kurzfristige Sichtweise. In der EPL gehen die Besucherzahlen bereits zurück, während das Durchschnittsalter der Besucher stark steigt. Die Zeiten des Zuschauerbooms neigen sich dort dem Ende zu und von „englischer Stimmung“ kann überwiegend schon lange nicht mehr gesprochen werden. Man kann von Ultra-Gehopse halten was man will, aber ich weiß ziemlich genau, in welchem Teil des Stadions ich in diesem Spiel lieber gewesen wäre.
Alles privat oder was?
Die Bestrebungen zum Thema „Sicheres Stadionerlebnis“ und viele wenn nicht die meisten anderen Dokumente, Verlautbarungen und — besonders schlimm — Taten atmen den Geist von „wir Vereine sind eine rein private Veranstaltung.“ Keiner darf uns reinreden, außer ein bisschen Politik und die Sicherheitsbehörden, mit denen wir uns gut stellen wollen. Die Fans sind wie die Besucher einer Diskothek. Kunden, bei denen wir entscheiden, wer rein darf und wenn wir der Meinung sind, einer passt nicht mehr rein, dann werfen wir den halt ohne Begründung raus. Willkommen ist nur, wer schön lustig und begeistert ist, ganz viel konsumiert, gefällig aussieht und ansonsten keinen Ärger macht, wobei Ärger auch schon Kritik oder ein falsches Wort sein darf, die grundgesetzlich garantierte freie Meinungsäußerung also nach Gusto des Betreibers ausgesetzt werden kann.
Fans sind dann also nichts anderes als Kunden und die DFL und ihre Clubs ohne einen Unterschied zu z. B. einer bundesweiten Vereinigung von Diskothekenbetreibern, die ihre eigenen Gesetze schreiben und mit ihren Kunden tun können, was sie wollen? Meiner Einschätzung nach eine Interpretation, die so nicht zulässig ist. Zuvorderst natürlich aus ideellen und sachlichen Gründen, aber hinsichtlich Teilaspekten wie Haus- und Stadionverboten könnte man das Fußballspiel an sich selbst juristisch in einer Grauzone zwischen öffentlich und privat sehen.
Ich bin kein Jurist und zwei Juristen hätten dazu sicherlich bereits drei verschiedene Meinungen, aber manche Aspekte sprechen dafür, dass es sich um eine öffentliche Veranstaltung im Sinne einer Veranstaltung mit besonderem öffentlichen Interesse handelt: das normalerweise diskriminierungsfreie Angebot des Zugangs (jeder kann entsprechend Verfügbarkeit Karten kaufen), die überragende kulturelle und soziale Bedeutung, wobei sich gerade beim FC St. Pauli die besonders starke Einbindung in Stadtteil und Gesellschaft zeigt, und nicht zuletzt die Monopolstellung — wird man bei einer Disko nicht reingelassen, geht man halt zur nächsten, das ist bei Fußballvereinen normalerweise nicht der Fall. Wenn man sich auf die 36 Clubs der DFL beschränkt ist das in vielen Fällen bereits örtlich ein Problem (es gibt meistens schlicht keinen anderen), gleichzeitig verbietet die hohe Identifikation mit einem Verein ein „Hoppen“ zwischen diesen. Im Kontext der bundesweiten Stadionverbote würde selbst ein Vereinswechsel nichts mehr bringen.
Wie oben bereits geschrieben: wasserdicht belegen kann ich das nicht. Es ist aber immerhin argumentierbar, dass die Freizügigkeit der Clubs bei der Ausübung ihres Hausrechts und die der Verbände in Hinblick auf die Zuständigkeit ihrer Sportgerichte durch das überragende öffentliche Interesse eingeschränkt sind und sie da, wo es Berührungspunkte gibt, besondere Sorgfalt und rechtsstaatliche Grundsätze beachten müssen. Umgekehrt ist die Position der Verbände und Clubs, dass im Stadion die übliche freie Meinungsäußerung, Persönlichkeitsrechte usw. nur eingeschränkt und innerhalb der Willkür des Hausrechts gelten, sehr angreifbar.
Sachlich ist die Argumentation noch einfacher: Fans, Interessierte und Club bilden eine äußerst langfristige, oft generationsübergreifende Symbiose, nicht umsonst spricht man vom „Umfeld“ eines Vereins. Dieses Umfeld benötigt einerseits den Club, die Mannschaft, um sich überhaupt zu konstituieren und eine gemeinsame Identifikation zu finden, umgekehrt aber ist der Club auf die Nährung durch dieses Umfeld angewiesen und hat dieses auch immer angenommen, nicht verweigert. Ohne das Interesse und den Input des Umfelds wäre Fußball ein reiner Amateursport, vergleichbar vielleicht mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung von Feldhockey. Erst durch die Fans wird Fußball interessant für Besucher, Sponsoren und TV-Sender.
Das Umfeld sorgt also für einen ganz erheblichen und entscheidenden Mehrwert für den Verein — und bezahlt de facto auch noch für dieses „Privileg“. Das unterscheidet einen Fan von einem Kunden: Kunde ist ein Fan natürlich durch sein Ticket, für das er als Gegenleistung das Spiel angucken kann. Was aber ist die Gegenleistung für das gesamte sonstige Engagement, von der Teilnahme am Support im Stadion über die Vereinsmitgliedschaft bis hin zu aufwendigster freiwilliger und unbezahlter Arbeit zur Stärkung von Club und Umfeld? Sie kann und muss in Respekt, Partizipation und v.a. der Anerkennung des Fans als einen Teil des Konstrukts „Fußball-Club“ liegen. Innerhalb der Vereine ist das oft schon der Fall und wird u.a. an den steigenden Zahlen von in sporttreibender Hinsicht passiven Mitglieder deutlich, siehe AFM oder die HSV Supporters. Im Kontext des eigentlichen Fußballspiels und auf Verbandsebene wird das aber offensichtlich noch weitestgehend ignoriert. Dieser ganze Aspekt der Symbiose des Clubs mit dem Umfeld gilt für den FC St. Pauli wiederum besonders stark, liegen seine gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung doch schon seit geraumer Zeit weit über der sportlichen.
Auch aus ideellen Gründen sollte man die Vereine nicht ins rein Private entkommen lassen. Fußball ist ein kulturell wichtiger Teil unser Gesellschaft. Das zeigt sich einerseits bereits am überragenden öffentlichen Interesse an den Clubs und den Ligen, andererseits aber auch an den Wirkungen von Vereinen und insbesondere von deren Umfeld in die Gesellschaft hinein. Viele Jugendliche sozialisieren sich im Fanumfeld und werden dort zum Teil zum ersten Mal intensiv zu Eigeninitiative, demokratischer Willensbildung und Ehrenamtlichkeit motiviert. Fanorganisationen kümmern sich um die Integration auch von problematischen Personen oder Gruppen, die Fanprojekte leisten wichtige Arbeit im sozialen Bereich. Dabei entstehen die sozialen und kriminellen Probleme, die sich natürlich auch rund um den Fußball finden, nicht durch den Fußball oder seine Fankultur, sondern sind überwiegend gesellschaftlich „normal“. Ohne Fußball und sein Umfeld wären die gesellschaftlichen Probleme in diesem Land wahrscheinlich noch deutlich größer. Könnte man noch seitenweise weiter Ausführungen, soll so aber als weiterer Grund reichen, die Vereine als Teil der Öffentlichkeit zu betrachten und nicht als rein private Veranstaltung mit einer eigenen Lex Bundesliga.
Beipackzettel!
Inzwischen haben andere Blogs das Dokument analysiert, u.a. magischerfc und DingeDieDaSind. Daher wird hier darauf verzichtet. Aber es gibt zwei Punkte, bei denen meine Alarmglocken nochmal besonders ins Schwingen geraten:
Erstens: Am 17.07.2012 wurde von Vertretern aller in der DFL organisierten Vereine (bis auf Union Berlin) ein Kodex unterzeichnet und dieser anschließend per Pressemitteilung bekanntgegeben. Von unserem Präsidium wurde anschließend behauptet, dass die Pressemitteilung nicht dem entsprochen hätte, was dort besprochen worden sei und das ganze eigentlich auch sowieso völlig unverbindlich ist. Im jetzt veröffentlichten Dokument taucht diese Vereinbarung aber wieder auf und wird u. a. als Grundlage für schärfere Strafen bei Verfahren vor dem Sportgericht des DFB gesehen. Vielleicht war das also doch nicht so unverbindlich? Und was sagt unser in der Arbeitsgruppe vertretenes Präsidiumsmitglied dazu? Jedenfalls wird jegliche Zustimmung zur aktuellen Strategie von DFB, DFL und sicherlich auch einiger Vereine als Bestätigung aufgefasst und kann nicht als unwirksam beiseite gewischt werden.
Zweitens: Es wird von manchen Leuten darauf hingewiesen, dass manche Äußerung über das Dokument etwas nach Alarmismus klingt und nicht jede extremere Interpretation dem entspricht, was die DFL vor hat. Das mag für die aktuelle Situation korrekt sein, die Erfahrung lehrt aber, dass Autoritäten jedes Mittel, welches sie in ihr Arsenal bekommen, früher oder später auch nutzen. Bei der Polizei wird das üblicherweise besonders deutlich: die Einführung von chemischen Kampfstoffen diente ursprünglich als Mittel, Menschen in Ausnahmefällen noch dramatischere Gewaltmittel zu ersparen, inzwischen werden sie inflationär bei jeder noch so marginalen Gelegenheit versprüht. Oder ganz frisch die Hamburger Reiterstaffel, die sicherlich nie dazu gedacht war, in eine Sitzblockade reinzureiten und Menschen die Knochen zu brechen. Die Unterwerfung der Clubs unter die Sportgerichtsbarkeit auch in Fällen, die das Geschehen auf dem Platz nicht mal mittelbar betreffen, ist genau so ein Mittel, das jetzt immer stärker ausgeweitet werden soll. Falls also manche Vorschläge der DFL-Arbeitsgruppe nicht ganz so gemeint sind, wie sie von kritischen Fans interpretiert werden, so muss trotzdem das Motto sein:
Wehret den Anfängen und jeglicher weiterer Entwicklung in die aktuell von DFB und DFL vorgegebene Richtung!