Wer es nicht fühlt, kann es nicht verstehen

Ich stehe auf der Gegengeraden, vor mir findet ein Gestocher und Gestümpel statt. Noch weiter vor mir fragt sich der Kerl mit der kurzrasierten Halbglatze ob Tschauner in der Situation nun wirklich hätte rauskommen sollen oder nicht. Was soll’s denke ich mir, in dieser Situation ist doch eh kein Tor gefallen. Immerhin beschäftigt er sich mit dem Spiel und nicht damit, dass sein Kurzer seit einigen Wochen den anderen Kleinen im Kindergarten dauernd mit der Schippe auf den Kopf kloppt – wäre ja auch denkbar. Support liegt der Gruppe Gegengeraden-Daddies vor mir jedenfalls nicht. Geht wohl den meisten hier so.

Was für ein Ausblick von hier oben. Die neue Gegengerade. Ein hässliches Parkhaus mit 10.000 Stehplätzen. Selbst wenn diese gefüllt sein werden, es lässt sich erahnen, die Gegengerade wird eine Stehplatzwand mit der Atmosphäre eines leeren Parkhauses bei Nacht, Stimmungstechnisch. Bei näherem Hinsehen dann doch eher ein riesiges Kaffekränzchen, bzw. hunderte Kaffeekränzchen auf einem Haufen. Natürlich gibt es die Supportwilligen, die ihren englischen old-school Support machen und das ist fett und dem gebührt, gerade in dieser Umgebung aller Respekt. Und natürlich ist das Stimmungstief der Gegengerade keine neue Erkenntnis, doch angesichts des Potentials dieser neuen Tribüne ist es ein mal mehr ein Schlag in die Magengrube, dieses Potential verpuffen zu sehen. Es gibt Leute, mit denen ich sprach, die hoffen, durch die neuen Karten käme supportwilliges Potential und man könne was reißen, aber irgendwie erscheint mir das doch sehr unwahrscheinlich. Bei 1.000 neuen Dauerkarten und ca. 3.000 neuen Einzelkarten erscheint es wahrscheinlicher, dass die neuen Kapazitäten eher von Touristen, die ihr Kiezwochenende abrunden wollen, genutzt wird. Ich kann es ihnen nicht ein mal verdenken, nur supporttechnisch bringt uns das alles nicht weiter.

Zurück zum Rasen: gewonnen, ja. Und wir hatten auch Chancen, aber die Offenbarung, war das, was die Boys in Brown auf den Rasen zauberten, nun wahrlich nicht. Nach fünf Spielen, vier in der Liga und einem im Pokal, ist das Bild, welches die Mannschaft uns Fans darbietet, nicht gerade das beste. Um genauer zu sein, sie präsentieren sich nicht im Ansatz als funktionierende Mannschaft. Bei beiden Siegen, gegen Offenburg im Pokal und nun gegen Sandhausen am Millerntor, lieferte die Mannschaft jeweils kein sonderlich starkes Spiel ab. Die guten Ausgänge waren eher der mangelnden Qualität der Gegner, als der Raffinesse der Kiezkicker geschuldet. In der Hoffnung, dass sich die Mannschaft, zumindest ein bisschen, noch findet, gebe ich mal als erste grobe Saisonprognose einen Mittelfeldplatz auf der Tabelle aus.

Wieder in den Neubaustaub der Gegengeraden, auf der mehr oder weniger zu meiner Überraschung mal wieder aus jedem Quatsch Geld gemacht werden soll. Den Besucher_innen wird dort ein schmucker „Baustellenbesucher“-Schal feil geboten – ich weiß ja nicht…
Der Blick aber, wie gesagt wirklich toll – so hässlich die Tribüne mit ihrem Waschbeton von außen auch aussieht. Geradezu ausstaffiert mit Premiumblick gab es also die Zehnjahreschoreo bzw. besser -choreos von USP zu bestaunen. Zum Spielbeginn eine riesige Blockfahne mit zwei brauntönen und weiß, USP-Wappen säumten das ganze und in der Mitte prangte der bekannte Arbeiter im roten Stern. Das allein schon wunderschön nur reichte das den Ultras zum Feiern ihres zehnjährigen Bestehen am Millerntor noch lange nicht. Als die Blockfahne herunterkam folgten braun-weiß-rote Zettel, sowie braune und weiße Fahnen. Im Mittelblock ergaben Tapetenbahnen das Wappen unseres Vereins und nach einer Drehung selbiger das runde USP Logo. Das alles sind schon mehr als genug Gründe für ein Ausbleiben der Spucke, doch eine Choreo ohne Spruchband ist wie Erdnussbutter und Nutella ohne Brötchen. Auf den Sitzplätzen also in großen Lettern „Ultrà Sankt Pauli..“ und am Zaun „Wer es nicht fühlt kann es nicht verstehen“.

Es soll ja Gestalten geben, die Nordsupport vorgeworfen hätten, sich mit ihrer Choreo vom letzten Heimspiel bei USP angebiedert zu haben. Nur, liebe Menschen, die sich jetzt angesprochen fühlen dürfen, das war kein Anbiedern. Überhaupt ist das Gegenteil von USP hassen nicht anbiedern. Daher an dieser Stelle einen Gruß an Nord-Support, die „da drüben“ mit wenigen Leuten engagiert sind, etwas wirklich Cooles auf die Beine zu stellen (An die das hier lesenden Nordtribünen-Besucher_innen: Schnackt die Leute von Nord-Support an, die freuen sich über interessierte und helfende Hände). Die Choreo war also kein Anbiedern, sondern Ausdruck dessen, dass es dort im Norden Leute gibt, die es fühlen, es also verstehen. Ihr skurrilen Meckerpötte tut das nicht – es können eben nicht alle die süßen Früchte der Leidenschaft kosten. Zurück zum Heimspiel gegen Sandhausen und den Geburtstag von Ultrà Sankt Pauli, wie gesagt gab es eine zweite Choreo zum Beginn der zweiten Halbzeit. Eine große „ULTRAS“ Blockfahne mit Totenkopf in der Mitte. Das ganze in der wunderschönen Farbkombo braun-weiß-rot gehalten und – man merkt ich gerate ins Schwärmen – wiederum gesäumt von braun-weiß-roten Fahnen. Als die Blockfahne runterging folgten bunte Luftballons und ein Meer aus großen Schwenkern.

Für all die Arbeitsstunden, all die Liebe und Leidenschaft, die in das Projekt Zehnjahreschoreo gesteckt wurde, gebührt allen an der Herstellung beteiligten Personen größter Respekt. Was wäre Sankt Pauli ohne euren Einsatz? Ganz nett vielleicht – aber „nett“ ist ja bekanntlich das kleine Geschwisterchen von „scheiße“.

Und da ich jetzt eh auf kein anderes Thema mehr zurückkommen kann, und nur weiter schleimscheißen, beende ich diesen Blogpost mit

DANKE USP!
DIFFIDATI CON NOI!