Die wunderschöne Poesie des Epilogs
So mancher ganz große Denker suchte die Einsamkeit zum Verfassen der ganz großen Schriften. Ich bin kein ganz großer Denker, würde mich nicht einmal einen Denker nennen, vielleicht jemand, der sich Gedanken macht, aber wer tut das nicht? Überdies wird jenes hier auch keine der ganz großen Schriften. Es wird bloß ein Blogpost, eines unter vielen beim Lichterkarussell, unter abertausenden in den Weiten des Internet. Es wird von einer Handvoll Leute gelesen, mehr Strahlkraft wird das Thema auch in Zeiten einer sich ausbreitenden „Occupy-Bewegung“ nicht schaffen. Der Text zum Neubau der Gegengerade wird einer der meistgelesenen bleiben – wahrscheinlich – aber das ist auch völlig in Ordnung so.
Die große Einsamkeit habe ich nicht gefunden, doch zumindest begebe ich mich neuerdings täglich in die Provinz. In eben jener habe ich nun einen Hauch dieser Einsamkeit gefunden, die beim Schreiben so inspirierend wirken soll und in der Tat ich habe hier auf dem zugigen Bahnsteig einer norddeutschen Kleinstadt schon einen Vergleich gefunden, den ich eventuell im späteren Verlauf im Text verwebe. (Was ich hier übrigens nur anmerke, damit ich beim späteren Durchlesen meiner lyrischen Verbrechen darauf stoße und es, nach dem es in Vergessenheit geraten sein wird, doch noch Beachtung findet.)
Das Politische kommt in diesem Blog oftmals zu kurz – für mein Empfinden zumindest. Drum möchte ich nun den Esprit der letzten Tage aufgreifen und loslegen. Ich hatte diverse aufregende Gespräche und interessante Denkanstöße, die hier verarbeitet werden wollen. Ich bin kein Fachmensch, aber, wie eingangs erwähnt, ein Mensch der gerne nachdenkt. Kleine Fehlerchen, die sich einschleichen mögen, darfst du gerne anmerken und der Tatsache, dass ich hier nichts revolutionär Neues beitragen werde, halte ich für relativ gesichert. Wie gesagt: Datenmüll im „World Wide Web“. Im Prinzip geschieht das Geschreibsel ja der Aufarbeitung meines Erlebten.
Einem Freund, mit dem eines der Gespräche stattfand, das hier be- und verarbeitet werden soll, sagte ich am Wochenende, ich sei ein Freund des Epilogs. Wie du siehst, ich habe nicht gelogen. Aber das kennst du ja.
Von Wasser- und Schwabbelbäuchen
Im September diesen Jahres wurden sowohl der Welthunger Index 2011 (WHI) als auch der Weltkatastrophenbericht 2011 veröffentlicht. Beide Berichte betrachten die Hungersituation in den armen Regionen der Erde. Während der WHI seit 1990 eine relative Verbesserung in diversen betroffenen Ländern feststellt, benennt der Weltkatastrophenbericht die Zahl der weltweit hungernden Menschen mit ca. 1 Milliarde. 850 Millionen waren es ungefähr im Jahr 1990. Damals lebten auf der Erde etwas mehr als 5 Milliarden Menschen – mittlerweile sind es wohl annähernd 7 Milliarden. Relativ gesehen, da hat der WHI also nicht Unrecht, hat sich die Situation verbessert. In absoluten Zahlen, ist das Problem aber gewachsen, nicht geschrumpft. Bei der globalen Bevölkerungsentwicklung wird sich das auch nicht ändern, im Gegenteil.
Der Zahl einer Milliarde weltweit hungernder Menschen wird im Weltkatastrophenbericht die Größe von ca. einer Milliarde übergewichtiger oder adipöser Menschen in den Schwellen- und Industrienationen gegenübergestellt. Diese Zahl eignet sich durchaus um anschaulich zu machen, dass auf der Welt kein Nahrungsmittelmangel besteht, sondern ein Verteilungsproblem. Während sich in der sogenannten ersten Welt die Menschen – wir – den Wanst mit fettigem, ungesundem Essen vollstopfen und die zu viel eingenommenen Kalorien dann gegen einen monatlichen Betrag, der vermutlich zur Ernährung einer ganzen hungernden Familie ausreichen dürfte, im örtlichen Fitnessstudio wieder von den Rippen schwitzen können, durchökonomisierte landwirtschaftliche Industriebetriebe eine Situation der Überproduktion schaffen, teilweise subventioniert durch nationale oder multilaterale Fördergelder und die Tierproduktion lange nicht mehr das Kriterium der Nachhaltigkeit erfüllt, können sich die Menschen, die das Pech hatten in jenen Regionen einer globalisierten Welt geboren zu werden, die nie einen Anschluss an den Kapitalismus der Nationen, die den Takt des globalen Wirtschaftspulses angeben, finden konnten, auf eine Hand voll Reis hoffen. Sie können sich auf den Müllhalden vor ihrer Haustür, wo wir unseren Elektroschrott abladen, gegen Zahlung von Geld die Finger blutig suchen nach Brauchbarem, wenn sie nicht in der privilegierten Situation sind, unsere iPhones unter eventuell nicht gänzlich hervorragenden Bedingungen in China zusammen schrauben zu dürfen. Sie sind die leidtragenden unter den Marktpreisen der ersten Welt, sie sind es, die sich die, in zu großer Anzahl produzierten Lebensmittel nicht leisten können. Sie sind es die hungern, zu unserem Wohl hungern.
Wir sind Kapitalismus
Harald Welzer betrachtet in seinem Text „Vor allem wachsen die Probleme“ (erschienen in „ArcheNova“ KongressZeitung #3 vom 13. Juli 2011) das altbekannte Problem des Kapitalismus, nämlich, dass das System einerseits unendliches Wachstum benötigt, während die Erde andererseits lediglich endliche Ressourcen zur Verfügung stellt. Die Antwort der (politischen / ökonomischen) Eliten auf Ressourcenknappheit ist: Wachstum. Jawoll, das läuft doch. Kein Öl mehr da? Tiefer bohren, wo anders bohren! Die Patentlösung bis zum Nullwert. Und dann? Naja… dann sind wir hoffentlich tot. Nach uns die Sintflut. Fresse halten! Alternativloser Sachzwang! (Übrigens eine der größten Schwachsinnsaussagen unserer Zeit. Nichts ist alternativlos.)
Die Katastrophe von Fukushima, habe uns dieses Dilemma einmal mehr verdeutlicht, beginnt Welzer seine Ausführungen, hätte man doch die Tatsache, dass ein Land, das nahezu keine Ressourcen besitzt und gleichzeitig die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Erde war, als gänzlich normal betrachtet und sei nun mit dem sich dort vollziehenden Super-GAU endlich der glorreichen Erkenntnis nahe gekommen, dass es sich dabei um einen Trugschluss handelt.
Das Problem ist relativ klar und selbst für Laien schnell nachzuvollziehen. Da laufen zwei Dinge konträr und wozu führt das? Schlussendlich wohl zum Zusammenbruch. Wann der geschieht, das steht noch in den Sternen, ebenso wie die Antworten auf die Fragen nach „Was passiert dann? Was folgt? Wie sieht das aus?“
Das trifft es ziemlich gut. Schöne Scheiße! Wir sind alle Kapitalisten, bzw. tragen wir den Kapitalismus in uns. Wir sind Teil des Systems, wenn wir Abends um 20:00 im Supermarkt ein volles Gemüsesortiment erwarten. Natürlich zwingt uns der Kapitalismus dazu, müssen wir doch den ganzen Tag arbeiten. Klar das eine bedingt das andere. Aber ob wir es nun wollen oder nicht, solange wir den Kapitalismus haben hat der Kapitalismus uns. Gewissermaßen ist das ein Teufelskreis, dabei zeigen wir doch so gerne mit dem Finger auf die anderen, ja selbst ich erwische mich oftmals dabei. Ein Verhaltensmuster, das weit verbreitet ist. „Der Eurocity nach Hamburg-Altona verspätet sich um 15 bis 20 Minuten, aufgrund einer Verzögerung bei der Übergabe durch unseren internationalen Partner. Wir bitten die Fahrgäste um Entschuldigung.“ Wie gesagt. Weit verbreitet. Und ganz toll inspirierend so ein Bahnsteig.
Dass wir alle nicht nur Papst, sondern auch Kapitalismus sind, ist keine tolle neue Entdeckung, die der werte Herr Welzer da getätigt hat, ist uns doch allen bekannt, dass es eben kein richtiges Leben im Falschen gibt. Erschreckend vielleicht für den Einen oder Anderen, der derzeit laut „Krise! Krise!“ schreit und damit in den monotonen Chor der Massen einstimmt und Banken und die Politik nur allzu gern an den Pranger stellt. Das was 2008 passierte, genau wie das was 2011 passiert, war und ist für die wenigsten gänzlich verständlich. Die trivial-schnöde Essenz des Nicht-Wissens, die Pete Holmes inseiner komödiantischen Stand-Up Einlage dem iPhone zum Dank so schmerzlich vermisst, können die Medien dem Groß der Bevölkerung in diesem Bezug zwar nehmen, die ernüchternde Erkenntnis des Nicht-Verstehens bleibt aber in viel zu vielen Fällen bestehen. Zu kompliziert ist das alles mit den Derivaten, den Schulden, den Hebeln und diesem gottverdammten Euro. Der Autor maßt sich übrigens auch nicht an, die Vorgänge und Handlungskonsequenzen in Gänze zu verstehen, doch sollte mich der (Gedanken-)Blitz beim Scheißen treffen, werde ich es umgehend verbloggen – versprochen.
Occupy the system, maybe start with yourself
Was möchte Welzer? Den kritischen Verbraucher? Ich hoffe nicht, bzw. besser nicht nur. Der kritische Verbraucher ist wie der Verbraucher ein Teil des Systems, nur eben etwas kritischer. Es tut mir Leid, liebe Reformhauskunden, liebe Fahrradfahrer, liebe Stromwechsler, liebe Veganer. Ihr tut alle etwas für eine bessere Welt, das sei euch unbenommen. Euer Ansatz ist ethisch und moralisch wertvoll und mehr von euch tun wahrscheinlich gar nicht mal weh, im Gegenteil. Und trotzdem kocht auch ihr nur mit Wasser, bezahlt auch ihr nur mit Geld. Trotzdem sind wir alle irgendwo einverstanden mit dem System. Auch dann, wenn wir es nicht sind. Oder besser: vorgeben es nicht zu sein bzw. es nicht sein wollen. Wir haben diese Scheiße so in uns aufgesogen, wurden derart indoktriniert, dass wir gar nicht mehr merken, wie scheiße systemkonform selbst wir selbsternannten Nonkonformisten mitunter sind. Sind wir nicht gerade ein selbsternährender Waldschrat, der es irgendwie geschafft hat, nicht von den Behörden erfasst zu sein, sind wir im fucking Systemkäfig gefangen. Wobei die Unabhängigkeit vom staatlichen Faktor des Systems in meinen Augen noch einfacher zu erreichen ist, als den Kapitalismus in einem Selbst zu überwinden.
Meine Generation ist aufgewachsen mit dem Kanon der Erziehenden, ob Eltern, ob Lehrer_innen: „Du musst lernen! Ohne Bildung wirst du nichts! Mach dir frühzeitig einen Kopf über deine Zukunft, aber bleiben wirst du in dem Beruf nicht. Es ist ganz normal, dass du den Beruf wechselst. Der Arbeitsmarkt ist jetzt flexibel. (Anm.: Eigentlich sind es die Arbeitnehmer, die schön flexibel sein sollen und sind.) Bald machst du Abitur, hast du schon eine Idee bezüglich deiner Altersvorsorge? Dein Bankberater hat angerufen, er schlägt dir vor zu riestern – guck dir das mal an. Die Renten sind nämlich gar nicht sicher. Heute schauen wir uns den demographischen Wandel anhand sich verändernder Bevölkerungspyramiden an. Die Rente ist gar nicht mehr sicher. Wenn du Schule schwänzt denk an die 10 Euro Praxisgebühr.“ Alles klar. Habe verstanden. No Future, außer für die Eliten. Ich soll meine Schäfchen ins Trockene bringen falls mir der Arsch noch nicht auf Grundeis gegangen ist.
Doch die Menschen, so „unpolitisch“ sie teilweise auch sein mögen, auch die Vertreter_innen meiner Generation, beschleicht nach und nach ein diffuses Gefühl. Ein Gefühl, so wenig fassbar, wie ein Furz und doch so real wie Scheiße. Es stinkt zum Himmel und mit der Zeit kann nicht einmal der dickste Popel in der Nase noch verhindern, dass der Geruch, der Gestank von der Nase aufgenommen wird. Zu allumfassend in zu kurzer Folge, geschieht die globale Scheiße. Mehr und mehr merken die Menschen, dass vielleicht einige Menschen auf Marmortoiletten und andere auf Donnerbalken ihr Geschäft verrichten, doch am Ende sich alle eine Kanalisation teilen und wenn zu viel geschissen wird, dann sprudelt die Scheiße aus all unseren Toiletten hoch. Selten war die Zukunft ungewisser, als in dieser Zeit. Warum also soll ich in Putzmittel für mein Bad investieren, wenn hier jeden Moment alles den Bach runter gehen könnte, bzw. der Bach ausgerechnet durch mein Badezimmer fließt? Welchen Wert hat das alles?
So wird die Wallstreet besetzt, der Hamburger Rathausmarkt und 500 Facebook User besetzen virtuell die Tundra. Die Proteste sind in sowohl in ihrer Art und Weise als auch in ihrer Zusammensetzung Ausdruck dieses diffusen Gefühls, dass der Karren gegen die Wand gefahren wird. Was aber, so ist mein Eindruck, von den Protestierenden bisher völlig außer Acht gelassen wird, ist, dass das Problem ein systemisches ist. Wie eben Welzer sagt, geht es nicht endlos zu wachsen aber endlich abzubauen. Irgendwo ist Schluss. Genau das merken die Menschen zwar irgendwie, sie merken, dass derzeit alles bröckelt, dass es unfair läuft. Aber sie stellen den systemischen Zusammenhang nicht her. Das sind keine Systemfeinde, die sich dort auf den kalten Herbstboden in New York setzen, das ist ein bunter Querschnitt einer Gesellschaft, die sich verarscht vorkommt, die sich um die Zukunft seiner selbst und seiner Kinder sorgt.
„Wir wollen nicht bloß ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei.“, ist einer dieser viel bemühten Sprüche um seiner Wut, seinem Gefühl der Ungerechtigkeit Ausdruck zu verleihen und er passt im Prinzip hervorragend zur „Occupy Bewegung“, die „echte Demokratie“ möchte, die mitbestimmen möchte, was gebacken wird und wer davon wie viel abbekommt. Wenn die, die jetzt besetzen tatsächlich mal backen, vor allem, wenn sie es mit der selben Rezeptur tun, mit der jetzt gebacken wird, dann wird sich im Endeffekt nichts ändern. Dann werden wir weiterhin auf einen Abgrund zusteuern und in irgendwelchen Weltkatastrophenberichten wird „schamlos“ die Ungerechtigkeit der Welt dargestellt und bewertet.
Mir ist offen gestanden schon lange der Appetit auf Backwaren vergangen. Wann und wie schaffen wir es endlich das Paradigma des unendlichen Wachstums aufzubrechen? Was ist das überhaupt für ein scheiß Kuchen, den sich „die 1%“ da so genüsslich aufteilen, während „die 99%“ von den Krümeln leben müssen und von dem sie so gerne mehr hätten? Kein normaler Hefeteig geht unendlich auf. Irgendwo ist immer Schluss und der Kuchen, von dem jetzt mehr Stücke verlangt werden, dürfte eigentlich schon lange gar kein Kuchen mehr sein. So wie zu große Gen-Tomaten wahrscheinlich scheiße schmecken und auch sonst nicht gut für einen sind, ist dieser Kuchen eben auch längst kein leckerer mehr und deshalb will ich weder Krümel, noch Kuchen, noch Bäckerei ich will was anderes zu essen. Ich will ein anderes System.
Wenn sich dieser Wunsch in der Occupy Bewegung durchsetzte, wenn dieser Wunsch von vielen getragen würde, wäre vielleicht ein vorzeitiges Ende dieses Gräuels möglich. Ansonsten wird es eben seinen Lauf nehmen bis die Wand da ist, auf die wir zusteuern. Dann? Vielleicht dann ein neues System? Vielleicht Massenproteste? Vielleicht Militär in den Städten? Vielleicht beides zuletzt genannte, also Bürgerkrieg?
Gestern erzählte mir eine Mitreisende in der Bahn, sie bereite sich auf den Zusammenbruch des Systems vor, in dem sie das Schießen übe.
Bright Future.
PS: Aber schön, dass sich was bewegt, das muss ja auch noch gesagt sein.
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