Etwas Besseres als diesen Journalismus

Wenn beim Fußball der Ballsport in den Hintergrund rückt und sich im Nachhinein alle Welt über die Gewaltexzesse in einer nie dagewesenen Dimension auslässt, ist dies in der Regel auf völlig undifferenzierte Darstellung sogenannter Journalist_innen und Polizeivertreter_innen zurückzuführen. Nun ist es nicht so, dass in diesem Diskurs die „bösen Medien“ und die „guten Fans“ auseinanderzudividieren sind, es ist aber doch erstaunlich, mit wie wenig Aufwand so ein Zeitungsartikel zu entstehen scheint. Manch ein Mensch mag sich da fragen, ob die eigene Berufswahl richtig ausgefallen ist, oder ob Journalist_in nicht die bessere und vor allem entspanntere Alternative gewesen wäre.

Nun soll hier undifferenziertem Verhalten ja nicht mit eben solchem begegnet werden und im Rahmen des Kontextes, der derzeit die Gemüter erhitzt, dem „Schweinske-Cup“, sei auf den Text bei Publikative.org verwiesen, die ja schon in der Debatte um die „Dortmund-Dresden-Randale“ durch Sachlichkeit glänzten, während der Rest der Medienwelt in sensationsgeilen Klischees versank.

Frei nach dem Motto „Ich war zwar nicht dabei, aber…“ empören sich selbsternannte Journalist_innen aber auch ehemalige Spieler über eine angeblich nie dagewesene Form der Gewalt, gerade in den Reihen des braun-weißen Anhangs. „Bild“ und Co. fühlen sich bemüßigt, wieder einmal mit blankem Populismus, auf die Boshaftigkeit der Ultras hinzuweisen – natürlich verbunden mit dem Hinweis, dass man diese Kriminellen ja schon viel zu lange gewähren ließe und sie mit Privilegien ausstatte, anstatt sie endlich heraus zu bekommen. Über die, dieser Aussage innewohnenden, Demagogie muss eigentlich nichts mehr erwähnt werden. Die Gruppe USP formulierte es auf ihrer Fotocollage im Sankt Pauli Museum damals so: „Für die einen sind es Privilegien, für die anderen mehrere 1000 Stunden ehrenamtlicher Arbeit.“

Veranstalter Peter Sander spricht heute im Abendblatt davon, dass es keinerlei Erkenntnisse seitens VfB Lübeck und Polizei gegeben habe, dass die Besucher aus der Marzipanstadt einem gewaltbereiten Klientel zugeordnet werden müssten. Das ist nicht weniger als eine Farce. Allein die Tatsache, dass nur Karten für den Freitag nachgefragt wurden, hätte aufmerken lassen müssen. Dass aber HVV Busse zur Verfügung gestellt wurden um die Gäste zur Halle zu bringen, kann als Indiz gelten, dass man sich der Art des Klientels durchaus bewusst gewesen zu sein scheint.

Doch mehr noch, als der HSV seine Teilnahme noch nicht abgesagt hatte, wusste der Flurfunk bereits für jeden unüberhörbar zu berichten, dass sich nicht nur Unorganisierte und Ultras des HSV Tickets gesichert hatten, sondern auch einschlägig bekannte Hoolkombos des Hamburgischen Vorortvereins. Dass ausgerechnet diese ihre Tickets nicht zurückgegeben haben, muss bekannt gewesen sein. Insofern kann hier durchaus von dilettantischem Verhalten seitens Turnierorganisation und Polizei gesprochen werden.

Es scheint fast, als versuchten die „Szenekundigen Beamten“, deren Position polizeiintern nicht ganz unkritisiert ist, sich durch regelmäßig bewusst zugelassene Eskalation eine Daseinsberechtigung zu verschaffen. Doch das ist Spekulation und soll daher nicht weiter ausgeführt werden.

Keine Spekulation hingegen, ist die offen rassistische und homophobe Agitation des „Anti-Sankt-Pauli-Mobs“ aus Lübeck und Stellingen. Deutsche Grüße und Sprechchöre à la „Deutsche wehrt euch, geht nicht zu Sankt Pauli“ lassen keinen Raum für Interpretationen. Genau an diesem Punkt irren Markus Lotter und seine Geschwister im Geiste. Die Verteidigung der Sankt Paulianer_innen gegenüber den rassistischen oder Rassismus tolerierenden Aggressoren steht der Tradition dessen, was die braun-weiße Fanwelt seit den 1980er Jahren prägte nicht entgegen, sondern reiht sich in erstaunlich präziser Weise in sie ein. Die Faschist_innen am Millerntor ist mensch nicht durch Diskussionsrunden und falsch verstandene Toleranz und Friedfertigkeit losgeworden, sondern durch praktischen Antifaschismus. Alle Fans, die sich in dieser Tradition Rassist_innen entgegenstellen, können nicht nur stolz auf sich sein, sondern glücklicherweise auch auf die Solidarität der allergrößten Teile der „aktiven Fanszene“ unseres Vereins bauen.

Die Darstellung in den Medien lässt genau diese Komponente unter den Tisch fallen. Hier ist die Rede von „rivalisierenden Fan-Gruppen“ und „Auseinandersetzungen zwischen Fußballfans“. Kombiniert mit der Vermutung von Veranstalter und Polizei, es handle sich hier um etwas „Organisiertes“ oder „Verabredetes“ impliziert – selbst, wenn nur die Fans von HSV und Lübeck gemeint sind – ein Einverständnis der Sankt Pauli Fans, von dem schlichtweg nicht die Rede sein kann. Diese Darstellung unterscheidet weder zwischen Angriff und Verteidigung noch bezieht sie die politische Komponente mit ein.

Alles Weitere stellt der FC St. Pauli in seiner Stellungnahme unmissverständlich klar und auch der Übersteiger nimmt darauf noch einmal Bezug. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”

  • http://www.stefangroenveld.com Stefan

    schön! stimme dir zu!

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