Als Naki die Fahne in den Boden rammte…

Die ganze Scheiße begann mit dem Abschiedsspiel von Fabian Boll. „BOLLzen“ – mit Freunden, Bekannten, Verwandten, ehemaligen St. Paulianern, die ihre Karriere beendet haben oder mittlerweile bei anderen Vereinen in Lohn und Brot stehen. Was ein launiger Nachmittag, durchtränkt von Melancholie und Nostalgie war, führte im Nachhinein zu einem der größten Missverständnisse der jüngeren Vergangenheit beim FC St. Pauli und hat seinen eskalativen Höhepunkt definitiv in der Nacht von Montag auf Dienstag erreicht.

Damit wir uns nicht falsch verstehen, gleich eine Sache vorneweg: Entgegen der Heerschar von Social-Media-Expertentrainern habe ich keine Ahnung, ob Deniz Naki fit ist, geschweige denn dazu in der Lage, der aktuellen Mannschaft sportlich weiterzuhelfen. Ich kenne weder seine Laktat- noch seine sonstigen Leistungswerte. Und noch was: Häme a la „beschissener als unsere Spieler kann der auch nicht sein“ ist mir zu blöde.

Thomas Meggle deutete zuletzt in einer in den Fanräumen stattfindenden „Talkshow“ an, dass er beim Abschiedsspiel von Fabian Boll einen fatalen Fehler gemacht habe. Wer die Spielweise unseres jungen Rechtsverteidigers Andrej Startsev kennt, der weiß, wie schnell der seinen Gegenspielern die Knochen poliert. Wo Startsev steht, ist die Tür meistens zu. Die linke Angriffsseite von Eintracht Braunschweig kann ein Lied davon singen. Meggle nahm Startsev vor „BOLLzen“ kurz bei Seite und sagte, dass er den normalen Modus bei einem Freundschaftsspiel nicht abrufen müsse. Man sei unter Kollegen, alten Weggefährten – lasst die Jungs doch spielen. Und Startsev hielt sich daran. Und ließ Naki laufen. Der netzte freudestrahlend ein, ließ sich feiern und rammte eine Fahne in den Boden. Doch das Gegenteil von gut ist bekanntlich gut gemeint.

Denn nach Nakis Vertragsauflösung bei Genclerbirligi Ankara wurde dieser launige Spaß-Kick ernsthaft als Grundlage genommen, um über eine Rückkehr von ihm zum FC St. Pauli zu spekulieren. Menschen entblödeten sich gar im Stadion unter dem Motto „Refugees welcome – Naki zurück ans Millerntor“ Unterschriften zu sammeln. Naki-Sprechchöre, #23-Papptafeln – es wurde immer bunter. Buttje Rosenfeld wollte die Gunst der Stunde nutzen und schrieb einen Gefälligkeitsartikel, der die vermeintliche Hängepartie zu Gunsten seines Informanten beenden sollte – das ist nun geschehen, aber anders, als Deniz und „sein Umfeld“ sich das erhofft haben.

Deniz Naki wird nicht zurück zum FC St. Pauli wechseln, das gab er auf seiner Facebook-Seite in der Nacht von Montag auf Dienstag nun selbst bekannt [Aufgrund von Urheberrechtsverletzung ist Nakis Stellungnahme auf FB nicht mehr zu finden, Abhilfe schafft das Vollzitat im St.Pauli-Forum]. Auf den spezifischen Inhalt seines Posts und die darin erwähnten Personen wird an anderer Stelle auf diesem Blog noch einmal gesondert eingegangen werden.

Nakis Reaktion auf seine Nicht-Verpflichtung schlägt schon jetzt, wenige Stunden nach der Veröffentlichung, hohe Wellen, nur leider aus den völlig falschen Gründen. Viele Sankt Pauli Fans sehnen sich nach Spielern, mit denen sie sich identifizieren können, die für Leidenschaft, für Engagement, kurz: für die Werte dieses Vereins stehen. Doch es beschleicht einen das Gefühl, das Erinnerungen und Langzeitgedächtnisse trügerische Konstrukte sind, die man lieber mal einem Faktencheck unterziehen sollte.

Naki hat in der Bundesliga-Aufstiegssaison 2009/2010 famos gespielt, wichtige Tore geschossen und sich mit dem Treffer sowie seiner kleinen Choreographie beim Auswärtsspiel in Rostock für viele unsterblich gemacht. Und was kam dann?

naki

Bereits in der Bundesliga-Saison waren die von ihm gezeigten Leistungen häufig fern von Gut und Böse. Naki ließ sich hängen und fiel eher durch seine Aktivitäten neben dem Platz auf. Tages- und Nachtzeiten gerieten da schnell mal durcheinander, ganz zu schweigen von disziplinarischen Ruhepausen, die ihm häufiger verordnet wurden. Er kam gerade mal auf 20 Einsätze (fast die Hälfte davon späte Einwechslungen) und schoss ein Tor.

Sein Förderer Holger Stanislawski verließ nach der Saison den Verein, mit seinem Nachfolger Andre Schubert kamen die meisten Spieler schwer klar, Naki im Speziellen überhaupt nicht. Zwar traf er in 21 Spielen viermal und bereitete vier weitere Treffer, aber seine Lustlosigkeit auf dem Platz und im Training wurde immer schwerer zu ertragen, und zwar für alle Beteiligten. Die große Naki-Show fand fast ausschließlich neben dem Platz statt. Bereits bei seinem Abschied im Sommer 2012 begann eine seltsame Form der Historisierungen seiner Leistungen, die keine anderthalb Jahre her waren. Und wir sprechen hier über einen Spieler, dessen Karriere nicht beendet wurde sondern vermeintlich noch vor ihm lag.

Auf der Flucht vor Andre Schubert verschlug es Deniz Naki nach Paderborn, von dort aus ging es wenig später in die Türkei. In der vielbeachteten Dokumentation „Trainer!“ äußerte sich Naki zu seinem Abschied von St. Pauli und erläuterte seine Beweggründe. Sinngemäß sagte er, dass er sich für einige Trainer (gemeint war Stanislawski) zerrissen habe, für andere jedoch keinen Bock gehabt hätte zu spielen (gemeint war Schubert). Nach solchen Aussagen braucht du im Profifußball eigentlich keinen Berater mehr, da damit zementiert ist, dass kein Verein, der bei Verstand ist, einen solch illoyalen Spieler verpflichten würde.

Naki betonte in der Nacht von Montag auf Dienstag, wie wichtig ihm der FC St. Pauli und seine Fans immer gewesen seien und wie sehr er sich für sie zerrissen hätte. Anscheinend lebt er in einer Traumwelt und hat den Bezug zur Realität vollends verloren, denn nichts ist vermessener als eine solche Aussage.

Er ist/war definitiv ein talentierter Spieler, der aus seinem Potential so gut wie nichts gemacht hat, aber am Millerntor weiterhin hofiert wird. In seinen letzten zwei Jahren St. Pauli war ihm ALLES andere wichtiger als das braun-weiße Trikot, welches er trug, als die Fans, die ihm zujubelten und die Mitarbeiter, Spieler und Trainer, die ihn unterstützten.

Deniz Naki interessiert sich vor allem für sich selbst. Wenn ihm etwas am FC St. Pauli liegen würde, dann könnte er sich solch vereinsschädigende Posts sparen, in denen er Teilinhalte von vertraulichen Gesprächen Preis gibt. In der derzeitigen Situation braucht es nicht noch einen weiteren Nebenkriegsschauplatz, auf dem sich die Egoismen der unterschiedlichsten Akteure ein Stelldichein liefern.

Da auf Facebook Personen virtuell schon wieder Amok laufen, nur einen Wunsch, weil bald Weihnachten ist: Anstatt nach Naki zu schreien, sollte in den kommenden zwei schweren Spielen gegen Ingolstadt und vor allem gegen Aalen lieber 90 Minuten lautstark die aktuelle Mannschaft unterstützt werden. Dieser Verein braucht Punkte, und das dringender denn je. Und keinen, in seinen Leistungen sowie seinem Lebenswandel, inkonstanten Selbstdarsteller.

Richtigstellung

Anders als in diesem Beitrag zuerst behauptet hat Fabian Boll den Beitrag von Deniz Naki zur Absage des FC St. Pauli nicht mit „Gefällt mir“ markiert! Es gibt keinen Anlass Fabian Boll vereinsschädigendes Verhalten vorzuwerfen. Vielmehr müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, Fabian Boll in Misskredit gebracht zu haben. Das tut uns leid und entsprechend möchten wir uns in aller Form bei ihm, aber auch bei euch entschuldigen. Eine persönliche Entschuldigung bei Boller ist erfolgt. Die zu dieser Behauptung führenden Informationen haben wir leider nicht sorgfältig geprüft, wie es unsere Pflicht gewesen wäre.

(Beitragsbild: CC BY 2.0 von Thomas Rodenbücher auf Flickr)

Veröffentlicht von

Morten Tailor

“Tausend Meter im Quadrat, Minenfeld und Stacheldraht” ließ Morten vor geraumer Zeit hinter sich, der FC Sankt Pauli zog ihn nach Hamburg. Bisherige Bloggertätigkeiten beschränkten sich auf Polemiken und textliche Auseinandersetzungen mit deutschen Ultras, teilweise in stiller Kooperation mit dem bisherigen Lichterkarussell. Da es ihm im Elfenbeinturm von Reflektionien auf Dauer etwas langweilig wird, versucht er sich fortan an semi-seriösen Texten. Lieblingswort: strukturell. Motto: “Einmal ist es anders rum, da rotzen wir die Bullen um.”