Motive des Handelns

“Digga, wieso gehst du eigentlich zu Pauli?!”

Diese süffisant, dämliche Frage hat mich schon das ein oder andere mal kalt erwischt, denn egal welche Antwort man, im Bürostress, am Imbiss oder in der 5-Minuten Pause in der Schule heraus schmettert, sie trifft es nicht im Ansatz. Außerdem ist die Person, die eine solche Frage so stellen kann, wohl kaum in der Lage, diese Entscheidung auch nur im Ansatz nachzuvollziehen, sonst wäre sie ja selbst “bei Pauli”.

Dass nun die aktive Fan-Szene des FC Sankt Pauli diese Frage, über die Lippen, bzw. die DSL-Leitungen des Web 2.0 gleiten lässt, stellt jedoch ein anderes Szenario dar und erinnert mich an die Frage, die ich mir zuletzt so oft stellte: “Was will dieser Mensch eigentlich bei Sankt Pauli?”
In jedem Fall hat gibt es jetzt eine schöne Aktion zum nächsten Heimspiel. Mehr Infos dazu findet ihr, wenn ihr dem Link am Ende dieses Absatzes folgt. Ich werde Morgen meine Tapete malen, nachdem ich heute schon diesen Text hier verfasst habe.

“Warum bist du bei Sankt Pauli?”

Wer es nicht fühlt,

kann es nicht verstehen!

Dieser Satz trifft es, so dachte ich immer, ziemlich genau, doch was fühlen die, die sich als Sankt Pauli Fans wähnen eigentlich? Was fühle ich? Verändert sich das Gefühl? Ist das Gefühl noch “mein Pauli”?

Als ich zu Sankt Pauli kam war ich ein Jung-Linker, Modelinker vielleicht, Schüler und dauerpleite. Kippen und Alkohol forderten ihren finanziellen Tribut. Sich ein Ticket für eines der Spiele zu organisieren war mit zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden. Ich nahm schon als Jugendlicher der Lohnarbeit gegenüber eine eher ablehnende Haltung ein und so gab es nur einige rare Gelegenheiten sich nach Hamburg zu bewegen, um am Millerntor zu sein. Hätte ich damals geahnt, welche Welt mir vorerst verschlossen bleiben sollte, ich wäre wieder bei Wind und Wetter vor die Tür gegangen und hätten allen Rottweilern zum Trotz die Haushalte meiner Nachbarschaft mit unnützen Zeitungen beliefert – habe ich aber nicht.

Warum war ich überhaupt zu Sankt Pauli gekommen? Warum war ich die wenigen Male, die ich in der Zeit da war, überhaupt da? Was hatte mich gezogen, gehalten und nach und nach immer mehr gefesselt bis ich süchtig war? Ich war schon als kleines Kind sehr fußballbegeistert, hing damals jedoch einem anderen Verein an. Mit der Zeit verschob sich irgendwie meine Interessenlage, ich wuchs heran und Fußball blieb ein Bestandteil. Nur Fan von diesem Verein war ich nicht mehr, die Begeisterung war verschwunden. Der Wunsch ins Stadion zu gehen war schon seit geraumer Zeit von der absoluten Ablehnung der assigen Zuschauerstrukturen dort verdrängt. Mit dem Älter-Werden, begann sich die unbeschwerte Kindheit zu verabschieden, man verfolgte plötzlich die Nachrichten und das politische Tagesgeschehen, fragte sich, warum ist dies und jenes so und nicht so, kurzum ein politisches Interesse und Bewusstsein prägte sich langsam heraus.

Das Bild, das ich zu dieser Zeit vom  FC St. Pauli und seinen Fans hatte, passte zu der Person, die ich damals war. Rebellisch, antifaschistisch, friedfertig, usw. – eben das Bild, das seit Jahren von den Medien gezeichnet wird. Was sollte ich auch anderes kennen und erwarten? Darum bin ich zum FC St. Pauli gekommen. Warum bin ich geblieben? Das Bild stimmte zwar teilweise, aber nicht gänzlich. Ich muss heute schmunzeln, wenn ich mich daran erinnere, dem Irrglauben aufgesessen zu sein, bei Sankt Pauli lehne man jegliche Form von Gewalt gänzlich ab. Ein Stadion voller Nachwuchs-Ghandis (nichts gegen Ghandi). Ich bin zwar nach wie vor prizipiell gegen jede Form unnötiger und schwachsinniger Gewalt aber hat sich meine Sicht darauf doch ein wenig verändert und zwar nicht trotz, sondern wegen der Fan-Szene unseres Vereines. Und so war und ist da vieles im kleinen aber feinen Biotop aus Verein und Fanszene und ihren Strukturen, was mir damals absolut schleierhaft war und womit ich nichts anzufangen wusste – Dinge und Aspekte die mir verborgen blieben und erst nach und nach aufkamen.

Meine ersten Spiele am Millerntor erlebte ich in der Nordkurve, der Eintritt war dort am billigsten. In der Nordkurve stehend, zusammen mit meinem rülpsenden Freund in APPD-Shirt deutete Ich auf einen hüpfenden Mob am Ende der Gegengerade. “Was’n das da hinten?” wollte ich wissen. “Das sind die Spinner von USP, die machen alles kaputt!”, die prompte Antwort eines unbekannten Gesichtes. “Ich find’s geil!”, dachte ich bei mir, “besser als dieser Totentanz hier.” Dachte ich das? Habe ich Totentanz gedacht? Ich glaube nicht. Nirgends war die Stimmung besser als am Millerntor, da war ich mir sicher. Ich schätzte damals, den freundschaftlichen Umgang mit all den Leuten, dass hier sogar die netten Leute, die eigentlich einem ganz anderen Verein verbunden sind, mit Sankt Pauli Mütze stehen und einfach mal das Erlebnis Millerntor genießen können. Aus heutiger Sicht, muss dieser Satz heißen: “Selbst irgendwelche dummen Kieztouris aus Bayern, wurden trotz unfassbar asozialem Verhalten geduldet und zum Weitersaufen animiert.” Aber die heutige Sicht zählt hier jetzt noch nicht – noch bewegen wir uns in der Vergangenheit. Andere Zeiten, andere Wahrnehmung. Dennoch bekam mein Kumpel noch an diesem Tag den Auftrag das nächste mal gefälligst Karten für die Gegengerade zu besorgen. Ich wollte in den hüpfenden Mob, ich wollte abgehen. Nichts gegen die Nordkurve , auch sie kann eine geeignete Kulisse darstellen, den Kosmos Sankt Pauli zu begreifen, dass das geht beweisen genügend Nordsteher (kleiner Gruß an Nordsupport). Für mich war der Gang in die Gegengerade aber wichtig und genau richtig.

Irgendwann fand ich neuen Anschluss und so wurde mir erstmal bezüglich meiner Ticketprobleme geholfen und ich wurde zum nächsten Heimspiel mitgenommen, man zeigte mir den Fanladen, rief mich morgens an und sagte: “Alter, Antira! Komm mit!” So kam ich nach und nach in die aktive Fanszene, lernte Leute und Strukturen kennen. Heute kann ich wohl sagen, dass ich Teil der aktiven Fan-Szene bin. Als ein solcher ist vieles anders und manchmal, wenn man sich mal wieder aufregt über die sexistischen Ausfälle oder unfassbare Äußerungen oder Vorstöße der Vereinsführung, denkt man zurück an Zeiten, als die eigene Wahrnehmung dahingehend gar nicht ausgerichtet war und so etwas einen dementsprechend überhaupt nicht tangierte. Ein Stück weit unbedarfter war diese Zeit, aber eben auch flacher, platter. Das Sankt Pauli zu dem ich einst gestoßen bin war eine Illusion einer Oberfläche.

Ich bin heute noch bei Sankt Pauli, weil ich den Kosmos dieses Vereines in all seinen Facetten und Tiefen so sehr schätze. Ich bin hier weil es eben nicht das Bild ist, das ich einst hatte, sondern viel mehr bzw. in einigen Punkten auch ganz anders. Ich liebe es auf einen kurzen Schnack und ein Getränk in den Fanladen zu kommen, ich liebe es, dass Leute im Jolly Roger rausfliegen, wenn sie das tun, was in anderen Kreisen völlig normal ist, sei es Sexismus, Homophobie oder eine andere Form der Diskriminierung. Ich mag die soziale Verantwortung, die hier allgegenwärtig ist. Ich mag es, dass Leute, die ich kenne im Jolly Roger, im Raval und den vielen anderen Lokalitäten arbeiten. Ich bin bei Sankt Pauli, weil das Fußballspiel und der Verein zwar ein, nein eher der elementare Bestandteil meines Fan-Seins sind, aber drum herum, das Salz in der Suppe, wenn man so will, noch so viel mehr vorhanden ist. All die Lokalitäten, Fan-Zines, Parties, Soziale Zusammenhänge, Aktionen, Zusammenschlüsse, usw. führen dazu, dass, wenn man will, neben Sankt Pauli nichts in einem Leben existieren muss um glücklich zu sein. Ich kann jeden Tag in der Woche mit Sankt Pauli füllen, wenn ich das möchte.

Für mich ist Sankt Pauli ein stets umkämpfter Freiraum und als diesen möchte ich ihn mir erhalten. Darum prangt derzeit der Jolly Rouge hier auf der Seite, darum mache ich eine Ansage, wenn wieder jemand den Schiri als “dumme Schwuchtel” tituliert. Sankt Pauli ist eine Oase in der Bundesliga. Eine Oase für Menschen wie mich, die gar nicht recht wissen ob sie lachen, weinen oder wild um sich ballern sollen, wenn wieder mal jemand mit seinem Bildzeitungs-Wissen aufzutrumpfen versucht und dabei hohlen, hirnlosen Dünnschiss sabbelt. Ich bin, wenn man so möchte, in ein gemachtes Nest gekommen, ja. Aber andererseits gilt es auch oder um so mehr für mich dieses gemachte Nest auch so fein sauber zu halten, um einmal in dem Bild zu bleiben, wie es mir, wie es uns überlassen wurde.

Warum ich bei Sankt Pauli bin? Weil es bei Sankt Pauli möglich ist, diese Frage zu stellen, aber definitiv nicht weil es bei Sankt Pauli derzeit  vielleicht nötig ist, diese Frage zu stellen! Und du?

Update: Dieses Thema haben auch der Übersteiger und der KleineTod in netten Worten umrissen. Danke. Auch der Hinweis vom ÜS mal die Mopo Kommentare zu checken, ist ein Ratsamer.