St. Pauli, Deutschland und die Demokratie

Bernd Georg Spies, Vizepräsident des SC Paderborn hat bei der heutigen Sicherheitskonferenz von DFB und Ligaverband den neuen Verhaltenskodex unterschrieben. Natürlich ist Herr Spies nicht beim SC Paderborn sondern bei unserem FC St. Pauli angestellt tätig, aber offensichtlich nicht in der Lage seine Unterschrift an der richtigen Stelle zu platzieren. Doch sei es drum, wichtig ist nicht wer wo unterschrieben hat, sondern was dort jemand für den FC St. Pauli unterschrieben hat.

Der Verhaltenskodex ist hier abzurufen. Hier findet sich eine erläuternde Pressemitteilung.

Was wurde dort also unterzeichnet. Kommen wir zunächst zu den positiven Punkten:
Die Stehplätze bleiben im deutschen Fußball erhalten. Was eigentlich keiner besonderen Hervorhebung bedürfen sollte, muss leider angesichts populistischer Forderungen in der jüngeren Vergangenheit und der Vollversitzplatzung der Stadien in anderen Ländern (Bsp. England) als absolut positiver Aspekt hervorgehoben werden.

Zudem werden die Mittel für Fanprojekte erhöht. Praktisch wird das so aussehen, dass der Beitrag der Vereine verdoppelt wird. Die bisherige Dreiteilung der Finanzierung von Fanprojekten zu je 1/3 durch Bund, Länder und Vereine gestaltet sich in Zukunft so, dass je 1/4 durch Bund und Länder finanziert wird. Die Vereine tragen zukünftig 50% der Kosten. Effektiv bedeutet das mehr Geld für die Fanprojekte, was positiv zu bewerten ist. Es ist aber kritisch anzumerken, dass sich der öffentliche Sektor wieder einmal aus der Verantwortung stiehlt und seine eigentlichen Aufgaben den Vereinen als privaten (gemeinnützigen) Akteuren überlässt.

Das jedoch ist hinsichtlich der weiteren Beschlüsse, eine Pille, die so schwer zu schlucken nicht ist. So wurde mit der heutigen Konferenz die 2007 beschlossene Limitierung der maximalen Stadionverbotsdauer auf 3 Jahre wieder gekippt. Zukünftig liegt die Höchststrafe im Regelfall bei 5, in Ausnahmefällen bei 10 Jahren. Eine aus rechtsstaatlicher Perspektive fragwürdige Praxis bekommt damit wieder stärkere Auswirkungen. Bekanntlich reicht die Aufnahme eines polizeilichen Ermittlungsverfahren, was beim heute gängigen Sicherheitswahn schnell und vor allem jeder/m passieren kann, zum Kassieren eines Stadionverbotes. Selbst bei gerichtlichem Freispruch kann es also schlimmstenfalls sein, dass die betreffende Person 10 Jahre ausgesperrt bleibt, denn Stadionverbote, gerade die vom DFB verhängten, werden bekanntlich selten zurückgenommen.

Hinsichtlich des alten Leidthemas Pyrotechnik wurden ganz im Sinne der Sicherheitsfanatiker auch endlich Nägel mit Köpfen gemacht. Die unterzeichnenden Vereine erklären, Pyrotechnik in keiner Weise bei Fußballspielen und in deren Umfeld zu dulden und Zuwiderhandlungen konsequent zu sanktionieren. Natürlich stehen in diesem Zusammenhang wieder die guten alten „Fanprivilegien“ auf dem Prüfstand. Eine spekulative Antwort zur Frage, was für Privilegien das sein sollen, erspare ich uns besser. Das alles geschieht, versteht sich, nur „zum Schutz der einzigartigen Fankultur“.

Ferner wurde über weitere Sicherheitstechnik und andere infrastrukturelle und organisatorische Maßnahmen zur Steigerung der Stadionsicherheit diskutiert. Abschließend wir die Pressemitteilung mit zwei wundervollen O-Tönen, der beiden Oberen von Fußballbund und Ligaverband garniert:

„Wer für den Fußball ist, ist gegen Gewalt. Der Schulterschluss der Vereine ist ein wichtiger Schritt und die beschlossenen Maßnahmen sind für mich ein dringend notwendiges Zeichen, dass sich alle der Verantwortung stellen und für mehr Sicherheit eintreten wollen. Zusammen mit Politik, Polizei, Justiz und der großen Masse der friedlichen Fans muss es uns im Sinne des gesamten deutschen Fußballs gelingen, die kleine Gruppe der Störer und Gewalttäter noch besser in den Griff zu bekommen. Ein klares Bekenntnis zu präventiven Aufgaben und gleichzeitig keine Toleranz bei jeder Form von Gewalt – das wird auch weiterhin unser Weg sein.“
(DFB-Präsident Wolfgang Niersbach)

„Der Fußball in Deutschland ist ein Erfolgsmodell und soll es auch künftig bleiben. Wir können stolz sein auf eine traditionsreiche Fankultur mit Stehplätzen und moderaten Eintrittspreisen. Diesen Zustand wollen wir schützen. Und deshalb stellen sich die Klubs ihrer Verantwortung im Sinne von Millionen friedlicher Fans. Vor diesem Hintergrund sind die beschlossenen Maßnahmen unverzichtbar. Dialog und Kommunikation bleiben immer die Grundlage unseres Handelns, ebenso unerlässlich ist aber eine konsequente Bestrafung von Fehlverhalten.“
(Liga-Präsident Dr. Reinhard Rauball)

Vom großartig verschlagworteten Gleichnis Für Fußball = Gegen Gewalt einmal abgesehen, bleiben die grauen Herren natürlich die Erklärung schuldig welcher Zusammenhang noch einmal zwischen Pyrotechnik und Gewalt besteht, doch die Hoffnung dahingehend eine Antwort zu erhalten, die über „Das ist sowieso verboten.“ oder „Das ist gefährlich.“ hinausgeht, habe ich bereits vor einiger Zeit aufgegeben.

Bezeichnend ist die wiederholte Forderung nach Denunziantentum und Distanzierung. Es wird hier eine Konfliktlinie zwischen einer vermeintlichen Norm (friedliche Fans) und ihrer Abweichung (Gewalttäter) gezeichnet, die so nicht existiert bzw. existieren muss. Das ist auch der Punkt, wo Fußballfans unter anderem ansetzen können. Einen derartigen Konflikt zwischen Fans muss es ebenso wenig geben, wie es eine Norm unter Fans gibt.

So bleibt abschließend zu sagen, dass dieses ‚Manifest der Sicherheit‘ sich anschickt einen weiteren Sargnagel für die Fankultur darzustellen. Vereine, Verbände und Politik schnüren das Korsett für kulturelle Entwicklung in den Stehplatzkurven erneut enger. Doch letztlich ist das nur ein erwartbarer Versuch das zu kontrollieren, auf das derartige Institutionen noch nie einen Einfluss hatten. So schrieb einst schon Rudolf Rocker:

„Staaten schaffen keine Kultur, wohl aber gehen sie häufig an höheren Formen der Kultur zugrunde. Macht und Kultur im tiefsten Sinne sind unüberbrückbare Gegensätze.“
(Rocker, Rudolf: Nationalismus und Kultur) 

Lasst uns also hoffen und unser bestes tun, dass auch die hohe Eminenz der Stadionsicherheit an unserer Kultur zugrunde geht. Wer für die Fankultur ist, ist gegen Regeln und Sanktionen.

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”

  • Niclas

    Kurze Anmerkung zum sonst schönen Text: Bernd-Georg Spies ist nicht beim FCSP angestellt sondern Ehrenamtlich tätig und zudem von der Mitgliederversammlung gewählt.
    Achso: Somit sollten alle die mit solchen Aktionen unzufrieden sind in den Verein eintreten um mit ihrer Stimme diesem Wahnsinn einhalt zu gebieten.

    • http://lichterkarussell.net Lichterkarussell

      Das ist natürlich richtig. Danke für die Anmerkung. Ist korrigiert. Der Aufforderung bzgl. Vereinsmitgliedschaft ist nichts hinzuzufügen.

  • Daniel

    Danke für den Artikel. Ich stimme in den meisten Punkten überein, kann aber immer noch nicht verstehen, warum darauf bestanden wird, Bengalos in den Zuschauerrängen zu „erlauben“. Was ich verstehe, ist dass die Kampange gegen Pyrotechnik alles andere als fair geführt wird und sich viele Fans in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Allerdings bin ich mehr als vorsichtig, wenn neben mir jmd. nach diversen Bier anfängt zu zündeln. „Das ist gefährlich“ zählt für mich sehr wohl als Argument (vergiss bitte mal die Kampange). Auf der anderen Seite habe ich leider noch kein einziges vernünftiges Argument für Pyrotechnik gehört. Deine Chance …

    • http://lichterkarussell.net Lichterkarussell

      Die Kampagne „Pyrotechnik legalisieren – Emotionen respektieren“ finde ich persönlich ja nur semi-cool. Nicht wegen des Anliegens, das kann ich nachvollziehen, teile ich sogar, sondern wegen dieses ekelhaft bemühten querfront-artigen Schulterschluss der Fanszenen. Ich persönlich bin sehr froh, dass sich Sankt Pauli da raus hält, weil man eben nicht gemeinsame Sache mit irgendwelchen rechtslastigen oder -offenen Gruppierungen machen möchte.

      „Das ist gefährlich“ ist deshalb ein schwaches Argument, weil es zu kurz greift. Klar kann Pyrotechnik gefährlich sein. Genauso wie Wasser gefährlich sein kann (Gefahr des Ertrinkens oder des Übertrinkens), Alkohol gefährlich sein kann (x-tausend Tote pro Jahr sprechen für sich), Straßenverkehr gefährlich sein kann, usw.
      Sicherlich entstehen gewisse Gefahren, wenn Bengalos in einer Fankurve „unkontrolliert“ und rücksichtslos abgebrannt werden. Das ist aber ja nicht die einzig denkbare Form des Einsatzes dieses Stilmittels. Es bedürfte ja nicht einmal gesonderter Bereiche. Wie beispielsweise beim Abschiedsspiel von Marcel Eger und Florian Lechner in Altona erlebt, können die umstehenden /-sitzenden Fans auch vorab informiert werden. Auf diese Weise hat das damals nichtmal den Alten Stamm gestört.

      Es gibt diverse Möglichkeiten die Risiken zu minimieren. Absolute Sicherheit gibt es natürlich nie, aber die gibt es in keinem Lebensbereich.

      Angesichts des Trends möglichst jeden Bereich menschlichen Lebens zu reglementieren und mit Verboten zu versehen, stellt ein dezidiertes Verbot von Pyrotechnik eigentlich auch nur eine Kontinuität in einer immer restriktiver strukturierten Welt dar. Was bringt es mir denn, so sicher und gesund und lange wie möglich in einem völlig langweiligen und unkreativen Schilderwald aus Ver- und Geboten zu leben. Die Menschheit hat nach nichts stärker gestrebt als nach Freiheit. Sie war das Fundament nahezu jeden Luftschlosses, sie war der Grund für Revolutionen, für sie sind unzählige Menschen gestorben. Auf ihr gründen demokratische Rechtsstaaten (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit; Einigkeit und Recht und Freiheit; usw.). Warum nur feiern wir dann bitte jeden Verlust der Freiheit als Sieg von Vernunft, Sicherheit, Gesundheit kurz dem Leben. Freiheit ist Leben. Alles, was der Freiheit im Wege steht, kann nicht Leben sein.

      Entschuldige, das wurde jetzt etwas pathetisch zum Schluss… 😉

  • Daniel

    Das Spiel in Altona war ein sehr gutes Beispiel für eine Art von verantwortungsvollem Umgang mit Pyrotechnik. Danke für die prompte Antwort. Was bei diesem Thema fehlt, ist eindeutig Kommunikation. Leider wird in gefühlt immer mehr Fällen einfach entschieden (verboten), ohne mit den Fans über eine angemessene Lösung zu diskutieren. Der Kodex ist da wieder mal ein gutes Beispiel.

    • http://lichterkarussell.net Lichterkarussell

      Exakt. Der Kodex und diese Konferenz (ohne Fans!) sind nicht nur der falsche Weg, sondern zumindest hinsichtlich Pyrotechnik auch das offizielle Ende des Dialogs. Diese mangelnde Dialogbereitschaft an den Punkten, wo es ans „Eingemachte“ geht, ist das große Problem. Da fragt man sich doch, wovor die Herrschaften Angst haben und wie es um deren Demokratieverständnis bestellt ist.

  • Pogue Mahone

    ähm ich bin mir nicht so ganz sicher ob Spies wirklich falsch unterschrieben hat, ist nicht nach dem Logo von Paderborn und nach dem Logo von unserem Verein so ein dünner Strich? Aber ist ja letztlich auch nebensächlich…

    zum Thema Pyro: gerade durch die Kriminalisierung wird es erst gefährlich, ansonsten währe nämlich ein offener Umgang damit möglich und die handelnden Personen müssten sich nicht in die Menge „flüchten“…

    es ist sicherlich eine Geschmackssache, aber richtig gut vorbereitete Pyroaktionen untermalen eine Choreo richtig geil… Beispiele aus anderen Ligen gibt es zu Hauf im Weltgermanen-Netz(achne Thiazi ist ja leider down und die Pappnasen äh -kameraden sozusagen offline oder wie sagt da der treue Eichenholzkopp zu?) zu finden… kurzer Exkurs bezüglich Querfront konnte ich nicht weglassen, dem stimme ich übrigens völlig zu, Querfront braucht kein mensch… Nazis aus den Kurven kegeln… äh falsche Sportart aber egal… 😉

    lg

    • http://lichterkarussell.net Lichterkarussell

      Unserem Kulturkreis entsprechend von Links nach Rechts gelesen ergibt die Analyse der Unterschriftentafel die Reihenfolge erst Logo, dann Unterschriftenfeld. Aber das ist ja nur eine Nebensächlichkeit 😉

  • Christian

    Unabhängig vom Rest, aber das hier: „Wer für die Fankultur ist, ist gegen Regeln und Sanktionen.“, ist ein wenig unglücklich formuliert. Fankultur als Subkultur hat ebenfalls Normen und Saktionsmöglichkeiten. Ich weiß, was Du sagen willst, aber das ist mir zu kurz gedacht.

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