Wer hat mir eigentlich gerade in die Fresse geschlagen?

Von was für einer schwachsinnigen Scheiße man sich heutzutage so die Wochenenden versauen lassen muss, ist schon kaum zu glauben. Nicht nur, dass man sich wegen des Hafengeburtstages durch Massen von Menschen, mit denen man rein gar nichts gemein hat und auch gar nicht gemein haben will, abseits der Tatsache, dass man der selben Spezies angehört (offensichtlich), kämpfen muss, wenn man sich an diesem Wochenende durch St. Pauli bzw. besonders den Bereich um den Hafen bewegt hat, nein obendrein muss der FCSP noch die Größe besitzen dem FC Bayern München den höchsten Auswärtssieg aller Zeiten zu schenken. Frei nach dem Motto: “Wer nichts hat, kann nichts verlieren.”

Sämtliche dämlich daherkommenden Vergleiche des 1:8 mit dem 18. Platz oder den 18 Jahren Stani auf Sankt Pauli, sind genauso am Ziel vorbei geschossen, wie die meisten unserer Torversuche diese Saison oder die meisten Vermutungen warum in der 18. Spielminute zumindest auf der Südtribüne geklatscht wurde. Es lag nicht am Protagonisten dieses Spieltages, dem scheidenden Holger Stanislawski, sondern an Neil Lennon, dem Manager und Ex-Spieler vom Celtic F.C. aus Glasgow, der nur knapp vor einem Anschlag durch eine Briefbombe, vermutlich aus dem Lager der Rangers-Fans, bewahrt werden konnte. Aufgerufen dazu hatte der Fanclub “Ramba Zamba”. Leider war die Aktion wohl nicht breit genug gestreut, so dass es sich hauptsächlich auf die Südtribüne konzentrierte, wo es noch einmal von den Vorsängern erklärt wurde.

Neben dem Tor von Marcel Eger, das ich ihm wirklich von Herzen gönne, war das leider auch schon einer der rar gesäten Höhepunkte dieses Stadionaufenthalts. Klar war die Verabschiedung von Truller und Stani sehr emotional und nicht wenige mussten um Fassung ringen. Norbert fragt sich in seinem sehr gelungenen Blogpost auch, warum Stani von Christian Bönig verabschiedet werden musste und eine Tapete im Stadion forderte Stani auf, den Bönig gefälligst mitzunehmen.

Den freundlichen Abgesang auf den werten Herrn Stanislawski habe ich schon getätigt und Truller darf sich da gerne mit einbezogen fühlen. Ich möchte jetzt aber lieber versuchen zu ergründen, warum wir eine so unfassbar bescheidene Rückrunde zu sehen bekommen haben.

Seit unserem Derbysieg, konnten wir noch sage und schreibe EINEN VERSCHISSENEN PUNKT einfahren und zwar beim Unentschieden in Wolfsburg. Alle anderen Spiele haben wir verloren. Viel zu oft haben wir in diesen Spielen Punkte weggeschenkt, weil späte Gegentore zugelassen wurden. Gerade bei der auffallenden Häufigkeit dieses Phänomens müssen einige Fragen erlaubt sein, auf die ich eigentlich auch ganz gerne eine Antwort hätte:

  • Reicht die Konzentration nicht für 90 Minuten? Wenn das so ist, warum? Konnte Stani die Mannschaft nicht mehr richtig einstellen? Hat es nicht mehr geklappt die Mannschaft zu motivieren? Haben die Spieler schon immer an irgend etwas anderes gedacht? Was soll das gewesen sein? Wenn es die Konzentration war, warum fing es plötzlich an, dass diese scheinbar kollektiv aussetzte? Hat das etwas mit der Stimmung innerhalb des Teams oder zwischen Team und sportlicher Leitung zu tun?
  • Reicht die Fitness nicht für 90 Minuten? Wenn das so ist, hat man sich bei der Wintervorbereitung verkalkuliert? Hat man mit dem vielen Schnee nicht rechnen wollen? Ist die Rechnung aufgegangen sich bei den hiesigen Temperaturen vorzubereiten? In den ersten Spielen hatte es den Anschein, aber danach wurde es zunehmend katastrophal. Wenn es an der Fitness lag, dann lag es an der Vorbereitung für die Rückrunde, die nicht vernünftig durchführbar gewesen sein kann bei den Witterungsverhältnissen im letzten Winter.
  • Rührt aus dieser vermutlich schlechten Vorbereitung auf die Rückrunde, auch die hohe Verletzungsanfälligkeit unserer Spieler her? Besonders die häufigen und mitunter auch langen Ausfälle der Leistungsträger im Team haben uns wertvolle Punkte gekostet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Zufall ist, dass wir zumindest gefühlt (keine Lust auf Statistiken jetzt) die wohl größten Verletzungssorgen aller 36 Bundesligateams hatten.

Das alles sind Punkte, die in erster Instanz den Kompetenzbereich des Trainerteams berühren und unmittelbar mit dem Abstieg zu tun haben. Insofern müssen sich auch Stani und Truller diese (kritischen) Fragen gefallen lassen. Ich stelle diese Fragen ohne die großen Verdienste der beiden in all ihren Jahren bei unserem FCSP in Frage zu stellen, aber ich stelle diese Fragen in Anbetracht einer unterirdischen Rückserie, an deren Ende wir Fans dastehen, auf unsere Situation blicken und noch nicht so recht wissen, was wir damit anzufangen haben, man hört aber immer häufiger wie jemand murmelt: “Der lässt uns hier mit einem Trümmerhaufen zurück.”

Wer ist eigentlich noch Bestandteil dieses “Trümmerhaufens”? Thomas Kessler hat seine Option, nach Köln zurückzukehren gezogen, kann sich aber laut Hamburger Abendblatt eventuell doch vorstellen zu bleiben, fraglich bleibt woher dieser Sinneswandel, so es denn einer ist, kommt. Matze Hain geht aller Voraussicht nach in den Trainerstab über, so Schubert ihn haben möchte. Was dann mit KaPe wird ist auch noch unklar. Bastian Oczipka, der in dieser Saison, so er gesund war, zu meinen absoluten Lieblingsspielern, gemessen am Können, zählte, wird wohl entweder zurück zu Bayer Leverkusen gehen oder Stani nach Hoffenheim folgen. Nur Braun-Weiß wird er erstmal nicht mehr tragen. Gleiches gilt für Carlos Zambrano mit Schalke, der hat zwar (Leih-)Vertrag bis 2012, unsere sportliche Führung hat aber in den Vertagsverhandlungen einen Haufen Türchen offen gelassen, den Erstliga-Wünschen der Spieler und verleihenden Vereine im Abstiegsfall nachzukommen. Es mag natürlich sein, dass diese Konditionen nicht wegzukriegen waren in den Verhandlungen, vielleicht hat man den Klassenerhalt aber auch für viel zu selbstverständlich gehalten.

Ebenfalls Schalker ist Asamoah und der hat tatsächlich lediglich einen für die Eliteklasse gültigen Kontrakt, somit ist der im Geiste zumindest auch schon einmal zu streichen, auch wenn bisher nichts eindeutiges von irgendeiner der beteiligten Seiten hinsichtlich seines Verbleibes geäußert wurde. Lehmann und Kruse wollen unbedingt Bundesliga spielen, wobei Kruses Vertrag ausläuft und Lehmann auch so eine scheiß Austiegsklausel in seinem Arbeitspapier hat, die ihn im Falle unseres Abstieges erlaubt für günstig Geld rausgekauft zu werden. Ich frage mich, wie man derart schwache Verträge verhandeln kann. Passiert das in diesem Ausmaß auch anderen finanziell eher schwachen Proficlubs?

Sukuta-Pasus Rückkehr nach Leverkusen wird niemandem so richtig weh tun und mir persönlich wird auch Takyi der sich ja seit Jahren für einen der talentiertesten Erstliga-Spieler hält und so gerne zur WM gefahren wäre, nicht fehlen, so er denn einen neuen Verein findet. Laut Morgenpost hatte der Verein ja die Option nicht rechtzeitig gezogen womit Sir Charles ablösefrei wäre. Herr Schulte hat das dementiert, er habe das Einschreiben 1 Tag vor Ablauf der Frist eingesteckt. Wie das jetzt juristisch zu bewerten ist, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass wenn ich Briefe zu einem bestimmten Datum beim Empfänger haben will, dann bringe ich die eher drei Tage als einen Tag vorher zur Post.

Natürlich möchte man die Mannschaft möglichst mit dem Trainer planen, der diese in der kommenden Saison trainieren wird, aber manche Dinge sind eben dringend. Ein Sportchef hat doch nicht durch Zufall das Recht einen Vertrag zu verhandeln oder zu verlängern. Dann wird eben die Option gezogen, dadurch verliert man doch nichts. Es würde sich schon ein Verein finden, der Takyi notfalls umsonst nehmen würde, wenn der neue Trainer den Typen partout nicht will, was ich mir aber auch nicht vorstellen kann, da Takyi ja durchaus Fussi kann, sich dabei nur leider a) selbst überschätzt und sich obendrein b) auch noch in sich selbst verliebt. Das müsste dem Jungen mal wer austreiben. Wenn Takyi mit Selbstvertrauen, Übersicht und Teamgeist spielt, dann ist er sicher ein toller Fußballer. Diese Saison aber hat er die Funktion eines Regisseurs trotz seiner Rückennummer nicht übernehmen können. Schade.

Genauso wie bei Takyi wollte man wohl auch bei anderen Spielern die Koordination mit dem neuen Trainer haben und so kommt es vermutlich, dass mit den “alten Recken” wie Eger, Gunesch, Lechner und Schulle noch niemand gesprochen hat und bei Letzterem zeichnet sich das Karriereende ab, während Erstgenannter prophylaktisch schon einmal den Gang zur Bundesagentur für Arbeit gewagt hat. Da wirkt die Aussage von Helmut Schulte, keiner hätte Gespräche gewollt, dann doch etwas merkwürdig, warum sollte ein Fußballspieler, für den es faktisch kaum eine Alternative zu St. Pauli geben kann, wie Marcel Eger, nicht an einem Vertragsgespräch interessiert sein. Da hat sich jemand die Realität zumindest sehr eigenwillig zurecht gelegt.

Für den FCSP bedeutet die jetzige Situation, dass geplante Verlängerungen genau wie Verstärkungen und Abgänge, schnell geklärt werden müssen, da die Saison für die zweite Bundesliga schon am 15.7.2o11 wieder losgeht und scheinbar ein mehr oder weniger neues Team geformt werden muss. Da dieses Team vorher erst einmal gefunden werden muss, bedeutet das für Herrn Schulte viel Arbeit auf dem Schreibtisch. Ob er da jetzt große Böcke schießt, ob er überfordert ist oder was auch immer, all das ist erst einmal Spekulatius. Ich hoffe, dass diese Schlupflöcher zu Ungunsten des Vereins ein Ende finden, ich hoffe, dass er sich seiner Aufgabe bewusst ist und mit Hochdruck am Kader für die nächste Saison arbeitet, bestenfalls in enger Abstimmung mit Schubert und ich hoffe, nein ich fordere, dass der Schuster bei seinen Leisten bleibt, endlich einmal, also, dass er in Zukunft einfach seine Klappe hält, besonders dann wenn ihm ein Mikrofon hingehalten wird. Am besten zu Allem, mindestens aber zu allem was außerhalb seines Kompetenzbereichs liegt. Zumindest dahingehend kann ich Helmut Schulte nämlich ohne Vorbehalt einen Vorwurf machen und auch ganz ungeniert rummotzen.

Einen Rückschluss auf Helmuts Arbeitsweise lässt zumindest dieses Interview, das Rene Martens mit Andreas Biermann geführt hat, zu und ich empfinde den Vorschlag, die Hälfte des vorgeschlagenen Gehalts aus der Mannschaftskasse der Profis zu zahlen, höchst unprofessionell. Das steht dem in den letzten Jahren gezeichneten Bild, des mittlerweile professionell arbeitenden Clubs gar konträr gegenüber, ich sehe das aber in allerbester Sankt Pauli Tradition. Stets Dilettanten am Werke.

Es bleiben eine Menge Fragen offen, bei diesem Abstieg. Fragen zum Verhalten der sportlichen Leitung, Fragen zur Verhältnis der Spieler untereinander, Fragen zum Verhältnis zwischen Mannschaft und sportlicher Leitung. Sie alle werden ihren Anteil daran haben. Viele werden nächste Saison ihren Anteil am Abschneiden unseres Vereins in der zweiten Liga nicht mehr beizusteuern haben, weil sie dem Verein den Rücken gekehrt haben oder haben werden. Wir werden geblieben sein und den Verein weiter kritisch aber stets lautstark und nur mit den besten Wünschen und Absichten begleiten.

Die Leistung gegen die Bayern, war für jeden braun-weißen Fußball-Fan ein Schlag in die Fresse, vielleicht sogar ein Tritt, mit der Stollen-Sohle voran. So darf man sich nicht von seinem Publikum im letzten Heimspiel der Saison verabschieden. Da können alle nur froh sein, dass wir nicht Frankfurt sind.

Ich will jetzt gar nicht anfangen mit irgendwelchen “hätte, wenn und aber” Thesen, hinsichtlich der Niederlagen unserer Konkurenten und möglichen Punktabzügen. Wir sind abgestiegen und gut.

Vor uns liegt jetzt noch eine Sonderzugfahrt nach Mainz, die man zumindest in der Gewissheit abgestiegen zu sein antreten kann, was hoffentlich zu einer lockeren und unverkrampften Atmosphäre führen wird. Ende Mai steigt dann auf dem Südkurvenvorplatz das Sommerfest und zeitgleich im Stadion, das Fanclubturnier. Gerade auf Ersteres freue ich mich sehr, hat doch eine Person im Forum das letzte Sommerfest Anno 2009 mit “dem Schanzenfest vor 10 Jahren” beschrieben. Zeit also die Saison verdaut zu haben und noch einmal mit vielen Sankt Pauli Fans einen unverkrampften Tag zu verleben, ohne herbe Niederlagen.

Zu guter Letzt noch ein paar weitere Leseempfehlungen. Jekylla habe ich erst angelesen aber da steht was mit Allesfahrern und Herzblut drin, find ich erstmal per se gut. 😛 Ganz wunderbar poetisch hat das Wochenende der begnadete Autor von Metalust & Subdiskurse zusammengefasst. Nicht zu vergessen ist natürlich auch der Übersteiger-Blog, der seit kurzem in neuem Glanze daherkommt. Glückwunsch zur verbesserten Arbeitsoberfläche, Herr Frodo.