Wider dem weißen Wursthaar-Wahn

Soziale Freiräume sind zu verteidigen. Eine Wahrheit, die in links-progressiven Kreisen hochgehalten wird und der auch ich geneigt bin zuzustimmen. (S)Eine Nische gegen die vereinnahmende Dynamik eines Systems zu verteidigen, sie, entgegen aller innerer und äußerer Widersprüche, mit Leben zu füllen, ist die Essenz beinahe jeden subkulturellen Kontextes.

Am Wochenende bin ich in einen, von der Räumung akut bedrohten, sozialen Freiraum geraten, der mein Fall so gar nicht war. Seiner Verteidigungswürdigkeit freilich steht meine persönliche Abneigung, der den Raum nutzende Menschen gegenüber, in erster Instanz nicht im Wege. Inmitten der Dämpfe esoterischer Öle herumhängende pseudointellektuelle Menschen, die ihren ganz eigenen, auf seine Weise bornierten, Freiheitsbegriff leben, haben natürlich irgendwo ihre Berechtigung. Wer wäre ich, ihre Lebenswelt angreifen zu wollen, nur weil ich sie für mich(!) verurteile?

Die dort gemachten Erfahrungen bringen mich jedoch auf ein Thema zu sprechen, von dem ich beinahe schon gehofft hatte, der Aktualitätsbezug habe seit den Tagen meiner politischen Frühsozialisation abgenommen, leider jedoch ohne, in geradezu törichter Weise, die Regel sich wiederholender Moden zu bedenken: Wursthaare.

Es geht eigentlich weniger um die Haare als solche, deren Beurteilung schließlich ästhetischen Erwägungen zugrunde liegt und als solche kaum fundiert zu kritisieren ist. Es könnte noch angefügt werden, dass die wenigsten weißen Menschen auch nur den Hauch einer Ahnung haben, wie diese Haare zu pflegen sind und sie – das könnte schon beinahe als positiv interpretiert werden – dadurch vielen Mikroorganismen einen Lebensraum bieten.

Es geht um den Habitus weißer Menschen mit Dreadlocks bzw. überhaupt Dreadlocks auf den Köpfen weißer Menschen. Irrelevant ist dabei, ob sich die Menschen selbst als aktiv antirassistisch wahrnehmen, oder die Frisur schlicht schön finden. Bei ersteren wirkt es selbstverständlich noch perfider, dass nämlich das Imitieren von Schwarzsein ein rassistisches Moment innehat.

„Man wird nicht weniger weiß, wenn man aus einer sozial benachteiligten Familie kommt. Man ist auch nicht weniger weiß, wenn man versucht, sich Dreads wachsen zu lassen, oder Schwarze imitiert. Du meinst es ja gar nicht böse, verhälst Dich aber leider wie ein ‚guter Kolonisator’: Du bedienst Dich Schwarzer Symbole, sogar der Befreiungssymbole, eignest sie Dir an, spielst mit ihnen und bekommst dafür von den anderen Weißen Aufmerksamkeit und/oder Bewunderung für Deinen ‚Mut’ und Deine Extravaganz. Die Schwarzen Symbole werden dadurch lächerlich gemacht, weil sie durch Weiße umgedeutet und besetzt werden.“
(Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus S. 251. 2008: München, C. Bertelsmann.)

Ergänzung:
Nun könnte dem natürlich entgegen gehalten werden, das sei ja so weder zu pauschalisieren, noch in der Regel wohl gar so gewollt. Ich wage jedoch stark zu bezweifeln, dass Rassismus einer bewussten Intention bedarf. Dann wäre ja vieles, was unter Alltagsrassismus fällt, gar kein Rassismus, dann zählte ja eine Aussage wie „Das war doch gar nicht böse gemeint“ als Entschuldigung diesbezüglich. Nein einer bewussten Intention bedarf es nicht.

Es muss ja nicht einmal so sein, dass Dreadlocks oder verfilzte Haare ein Phänomen sind, dass nur bei PoC auftauchte, nein von mir aus könnte Thor höchst persönlich mit verfilzten Haaren herumgelaufen sein. Sie sind und/oder waren in anderen kulturellen Zusammenhängen eine bekannte Erscheinung. In unserem europäischen Kontext der letzten paar hundert Jahre, spielten sie aber nun wahrlich keine Rolle. Nun geht es mir mitnichten darum, irgendeine kulturelle Reinheit zu predigen und letztlich geht es wohl nicht mal um die Haare für sich genommen. Jedoch ist anzumerken, dass im Rahmen einer rassistischen Gesellschaft das Besetzen Schwarzer Kultur, sei diese faktisch gegeben oder lediglich gefühlt, den Rassismus dieser Gesellschaft reproduziert. Wenn sich ein Zirkel rein weißer Mittelstandskids mit verfilzten Haaren in seiner vermeintlichen Extravaganz suhlt, das ganze angereichert mit Batiktüchern, Om-Zeichen und Duftkerzen und hier und da noch ein wenig eingebautem „Rastafari-Kult“, dann hat das wenig mit in irgend einer Weise aufgeklärter Weltoffenheit zu tun, sondern ist Ausdruck weißer Dominanzkultur. Das mögen diese Leute dann so nicht geplant oder beabsichtigt haben, das ändert jedoch nichts an den Tatsachen.

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”

  • ein leser

    was für ein blödsinniger text

  • http://metalust.wordpress.com momorulez
  • Anton

    Es ist schon mutig, anderen Pseudointellektualität vorzuwerfen und dann selbst so eine kunstruierte Scheiße zu schwafeln.
    Wenn man nichts Schlaues zu sagen hat, besser Bier trinken und Fußball schimpfen!

  • Tabea

    Natürlich sind Dreadlocks auf weißen Köpfen heute vorallem in Berlin nicht mehr weg zu denken. Natürlich haben wir sie uns in den 70ern von den schwarzen abgeschaut. Und natürlich ist das irgendwoe rassistisch, genau so wie es irgendwo sexistisch ist, wenn ein Mann fFrauenleider trägt. Oder?
    Ich glaube nicht, dass sich jemals ein weißer mit Dreads gedacht hat „oh, jetzt mach ich mich aber mal über die Schwarzen lustig!“
    In einem anderen Artikel wurde Weißen das Recht abgesprochen einen Afro zu tragen. Tschuldigung?! Einen Afro trägt man nicht, den macht man nicht (jedenfalls kenne ich niemanden, der Lust hat sich seine Haare zu einem Plüschball zu toupieren) Einen Afro hat man. Und wenn du den als weißer hast, weil deine Haare sich schlicktweg in einer Millionen kleiner Locken um deinen Kopf legen dann wirst du, falls du nicht zum Rasierer greifen willst damit leben müssen.
    Oder sollen jetzt alle weißen, deren Haare Afro ähnlich abstehen entweder den Kopf rasieren oder die Haare GLÄTTEN um in weiße Schönheitsnormen zu passen?
    Ich find das zum Kotzen. Mein Körper ist wie er ist, meine Haare genau so. Und ich weigere mich, diese zu ändern nur damit ich schön typisch weiß aussehe. Und wenn mir die Haare zu Dreadlocks verfilzen, dann lass ich die auch dran! Ich stecke keine Arbeit in meine Haare weil ich keine Lust habe, mich in ein Raster mit irgendwelchen weißen Sexsymbolen stecken zu lassen.
    Euch ist wohl noch nicht aufgefallen, dass JEDER egal ob weiß, schwarz gelb grün oder blau oder sonstwas von unserer Gesellschaft in ein Raster gequetscht, von frühester Kindheit durch Beleidigungen und Erziehung in das von ihm erwatete Bild, in diese Rolle gepresst wird. Du sollst was leisten, die Gesellschaft unterstützen, DU? du zählst nicht, dein Körper, deine Seele dein Wille? All das zählt nur, wenn es so ist wie die Gesellschaft es will. Da kannste weiß oder schwarz oder sonst was sein, sobald du eine Frau bist hast du in unserem Ach-So-Forstschrittlichen Deutschland schon deine Rolle zu erfüllen, du musst sexy sein, und wehe du wehrst dich, wenn dir ein Typ auf den Arsch klatscht.

    Ich bin Jüdin und habe Glück, dass das in meiner Nachbarschaft Niemand weiß. Es gibt auch Antisemitismus. Fühle ich mich dadurch konstant benachteiligt? Beschwere ich mich wenn ich einen Davidstern auf einem Punkerarm sehe? Nö, ich hab nämlich auch noch andere Probleme.

    • http://lichterkarussell.net Lichterkarussell

      Zum Abschnitt mit dem Afro, kann ich nicht wirklich was sagen, da rekurrierst du ja auf einen anderen Artikel, der nicht von mir stammt. Ich würde dir aber zustimmen, dass es absurd ist Glätteisenpflicht für weiße Lockenschöpfe zu verlangen.
      Zu Dreads: es mag richtig sein, dass sich niemals ein Weißer gedacht hat: „Ich mach mich jetzt damit über die lustig.“, das steht im Text aber ja auch drin. Es ging mir hier darum eine marginalisierte Perspektive auf die Thematik einzubringen.
      Uns sind natürlich diverse gesellschaftliche Mechanismen aufgefallen, die Menschen in stereotype Rollenmuster pressen (sollen) und Sexismus ist natürlich ein Problem, mit Frauen sich konfrontiert sehen, ob weiß oder schwarz, und welches benannt, kritisiert und bekämpft gehört. Wer wäre ich, dir an dieser Stelle zu widersprechen. Und natürlich sind Schwarze, wie weiße Frauen von Sexismus negativ betroffen. Schwarze Frauen obendrein noch von Rassismus, Jüdinnen von Antisemitismus.

      Ziel muss letztlich eine Gesellschaft sein, in der man kein Glück haben muss, dass niemand in der Nachbarschaft weiß, das man Jüdin ist. Eine Gesellschaft, in der Typen Frauen gar nicht erst auf den Arsch klatschen und Schwarze Menschen nicht als „die anderen“ wahrgenommen und behandelt werden, usw. Die Frage nach Frisuren spielt auf diesem Weg in meinen Augen dann doch eine eher untergeordnete Rolle. Sie kann aber ein Aspekt sein.

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  • Deronas

    Entschuldigt mich bitte wenn ich völlig falsch liege und ich bitte im Falle dessen um Korrektur.
    Rassimus bedeutet für mich eine ungleiche Behandlung aufgrund der Eltern die einen zeugten und genau das sehe ich wenn gesagt wird diese Menschen dürfen diese Frisur nicht haben.
    Oder ich denke auch weisse Mittelstandskids haben das Recht nicht rassistisch behandelt zu werden.

    • http://lichterkarussell.net Lichterkarussell

      Nein, beim Rassismus geht es immer auch um Macht. Die weißen Mittelstandskids sind in der privilegierten Position. Wenn nun also Schwarze Widerstandspraktiken weißen Kids etwas „verbieten“, dann ist das eben nicht rassistisch, sondern aufgrund des rassistischen Macht- bzw. Privilegiengefälles notwendig. Ungefähr so, wie du bei Mario Kart nicht den Blitz bekommst, wenn du das Rennen anführst.

      Rassismus gegen weiße ist in unseren Gesellschaften wirklich ein alberner Gedanke!

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  • Fidi987 .

    An diesen Texten stört mich immer wieder die Formulierung „man wird nicht weniger weiß“. Weißsein, das Geborenwordensein mit wießer Haut, das zufällige Fehlen nichtweißer Menschen in der Ahnenlinie, ist also per se negativ und es gibt Menschen, die veruschen, sich dieser Schande zu entledigen, indem sie verschiedene Sachen probieren oder sagen. Immer wieder lese ich Texte darüber, dass „Weiße niht über Rasse reden“ wollen. Aber waruam sollte man über etwas reden, das für einen selbst, von außen, auschließlich negativ besetzt bzw. bestimmt ist? Müsste nicht die Formulueurng „man wird nicht weniger wieß“ aufhorchen lassen? Ist es so gedacht, dass Weißsein, als Weißer geboren worrden zu sein, nichts dagegen uz unternhemen, also nicht zu verushcen, diese Definition für scih zu ändern, einfach eine Schande ist und man diese Schande mit Würde akeptiern muss? Und was ist dann die Würde? Schham und Einsatz für People of Color, vielleicht auch überzogene Großzügigkeit (Geld, Aufgabe von etwas, das man möchte/ braucht, um es PoC zu schenken), um sich für das Weßsein zu entschudligen, um sie für die eigene, unterdrückende Existen zu entschädigen (ich meine hier konkrete Individuen, keine Handlungen auf politisher Ebene)?
    Und wie lange kann wohl eine Gruppe Menshcen mit der Idee leben, dass das eigene Leben, die eigene Existenz eine Schadne ist, der man nicht entkommen kann und DARF`?
    Es gibt da aus meiner Sciht nur zwei Wege aus dem Dilemma: Man tut alles für andere und verbringt den Rest des Lebnes in Scham, fühlt sich minderwertig, meidet jeden, den man mit seiner Existen evtl. belästigt, lässt sich von anderen vorschreiben, was man als Weißer so darf oder lassen sollte oder man akeptiert das Label, sagt, okay, es gibt NCIHTS das ich tun kann, um der Schande des Weißseins zu entkommen, alslo tue icih jetzt, was ich will, es werden sowieso bestimmte Menschen (und wie viele sind das?) aufgrund meiner Haufarbe/ Vorfahren auf mich herabsehen.

    Kann man sich vorstellen, dass dieser Satz, diese Formulierung in anderem Zusammenahng gebracht wird, „du kannst machen was du willst, du wirst immer behindert/ Franzose/ klein“ bleiben? Würden dann nicht sofort Aktivisten kommen und sagen, hey, es ist keine Schande, behindert, Franzose oder klein zu sein? Und wie sieht es aus mit Person of Color oder Schwarz? Egal, was du tust, du entkommst nie der Schande, PoC oder Schwarz zu sein? Würden da nicht SOFORT Aktivisten schreien, dass dies keine Schande ist und man jetzt ERST RECHT sichtbar PoC oder Schwarz sein sollte?
    Also, kann es nicht sein,d ass gerade solche Formulierungen irgendwann zu Menschen führen, die bewusst, sichtbar, stolz „weiß“ sein wolle?
    Das werden sie dann entweder nach eigener Definition tun und darauf peifen, was andere davon halten, oder sie werden resigniert das einzige Label annehmen, das man ihnen von außen gelassen hat, und sich selbst als Nazi identifizieren. Das wollen wir ja nun nicht.
    Könnte es nicht auch sinnvoll sein, für Weiße, die diese Texte lesen und seufzend sagen, „ja, ich bin weiß, ich kann nichts daran ändern“ ein positives Selbstbild überigzulassen, eines, das auch eine positive Identiät abseits des selbstaufopferndenden Helfers oder selbstbeschämenden Schweigers bietet?