Die Macht kommt von unten

Was bisher geschah:

Blogs:
Übersteiger Blog: 32. Spieltag (H) – Hansa Rostock
Magischer FC: ACABaB und die Zwei mit HumorGlaubt eigentlich irgendwer noch der Hamburger Morgenpost?Ääääähhhhmmmm, geh mal denken
Metalust: Der “Störer” ist vor allem die Polizei – trotzdem: Danke an die Mannschaft für 6 Punkte gegen Hansa!!!
KleinerTod: Rumstehterroristen – #FCSP nahezu ohne Hansa Rostock im Gefahrengebiet
Publikative.Org: St. Pauli vs. HRO: Police and ThievesGanz Sankt Pauli fragt die Polizei

Stellungnahmen:
FC St. Pauli: Gewalt verurteilt
Fanladen: Zum Spiel FC St. Pauli gegen den FC Hansa Rostock

Kommentarfunktion

Eine Aufarbeitung der Geschehnisse rund um den 32. Spieltag bzw. das Heimspiel des FC St. Pauli gegen den FC Hansa Rostock geschieht vielerorts und mit unterschiedlicher Akzentuierung. So Manches auf unzähligen Seiten Forum empfand ich als nachvollziehbar, manches als differenziert, in vielen Beiträgen fanden sich plausible Ansichten wieder. Selbst bei nur oberflächlicher Lektüre fällt auf, so viele komplette Fehlschüsse sind es gar nicht. Die scheinen sich, wie es stets zuverlässig der Fall ist, in den Kommentarspalten des Internetauftritts eines Hamburger Boulevardblattes zu finden. Ohne auch nur einen Blick darauf geworfen zu haben, ist die Stoßrichtung jener Kommentare ohne weiteres zu erahnen.

Guter Text, liebe selbsternannten Blogger,
nur wozu? Den Leuten vom Fach mal ins Gewissen reden, dass sie es doch besser wissen müssten? Tun sie wahrscheinlich zumindest in Ansätzen. Aber ihr wisst doch genau wie das läuft in den Redaktionen. Und ihr wisst genau, warum ein aus 3, 4, 5 lyrisch und journalistisch wenig wertvollen Mopo-Online-Kurztexten ein lyrisch und journalistisch ebenso wertloser Mopo(-Online)-Langtext zusammen gesetzt wird. Ihr kennt euch doch aus, nach unter anderem 12 Jahren Texte ins Internet setzen. Ihr haltet doch die ganze Zeit die Stange, weil ihr wisst, wie es läuft, weil ihr wisst, dass es eine große Leerstelle auszufüllen gibt, neben den Nachrichten in den Medien aller Couleur. Weil Fußballfans mehr interessiert, als dass Buttje Rosenfeld ein Tor geschossen hat, was ohnehin alle im Stadion oder Fernsehen gesehen haben. Weil ihr teilen wollt. Erfahrungen, Emotionen, Ansichten – und ihr werdet gelesen, weil sich Menschen dafür interessieren, weil sie den Austausch mögen, weil sie ähnliche oder abweichende Meinungen anderer Fans interessieren. Blogs sind doch im Prinzip die virtualisierte Form eines der wichtigsten Elemente beim Bier in der Kneipe nach dem Spiel oder bei der Zigarette auf der Arbeit vor dem Wochenende. Mit einem weit größeren Wirkradius als diese bezugsgruppenbezogenen Konversationen es je leisten könnten. Und doch ist es eine Minderheit, die sich für derart detaillierte, mitunter differenzierte und stets zutiefst subjektive Wahrnehmungen einer Wahrheit um ihren Verein interessiert. Charmanterweise ist die Quote der Quellen der für diesen Austausch nötigen Schreibenden gemessen an der Zielgruppe / den Lesenden, weit höher als beim Anderen.

Das Andere. Das sind die von euch oben angesprochenen. Die machen Meldungen für die Massen. Quote kommt vor Inhalt. Die Masse hat gar kein Interesse an Inhalten, wie ihr oder auch ich sie zu vermitteln versuchen. Die lesen Zeitungen, wie sie ins Stadion gehen: reines Konsumieren. Ja, ich werte hier. Ganz subjektiv versteht sich. Ohne eine Existenzberechtigung abzusprechen, denn die gibt es. Jedoch schweife ich ab.

Es sei sich nur einmal vorgestellt, alle Nachrichten entstünden ungefähr so, wie die im Fußballfankontext. Das lesen auch ganz viele Menschen, was sollen sie auch sonst machen. Und sie glauben das, finden es gut oder schlecht. Aber sie glauben es. Zumindest die Masse glaubt es. Sie soll es glauben, sie will es glauben, sie kann nicht anders als es zu glauben. Deswegen funktioniert das ganze System. Will sagen: Wir haben doch letzten Endes weit größere Probleme als die journalistische Qualität in Sportredaktionen. Und das schreibt ihr ja auch, und wenn man ehrlich ist, stehen die Dinge eben nicht auf der Agenda eines Sportjournalisten und gehören da im engeren Sinn auch nicht hin. Das können wir gut oder doof finden, ist aber erstmal so. Da werden irgendwelche Hanseln dafür bezahlt, massentaugliche Hetze über Dinge zu bringen, von denen sie nicht im Ansatz Ahnung haben. Brauchen sie auch nicht, denn sie sollen ja das schreiben was interessiert, was aufregt, was das Herz berührt. Immer streng normkonform und immer unter dem Dogma der hohen Auflage bzw. im Zeitalter neuer Medien möglichst vieler Klicks. Und den größten Gefallen tun wir ihnen auch noch, denn auch wir knüppeln uns den Scheiß rein. Im Wissen um eine andere Wahrheit schreiben wir dann unsere Pamphlete und lenken noch mehr Leute auf die Seiten derer. Streng genommen sind wir auch bloß eine Komponente im Boulevardapparat. Mopo – come in and find out, oder so…

Letzten Endes bleibt also ein wirklich schön geschriebener Blogtext, in dem wir uns alle wieder mal klar gemacht haben, dass:

-”wir” in der Minderheit sind
-die Medien so sind wie sie sind
-Zielgruppenorientierung in jedem Kontext das einzig wichtige Paradigma ist
-Sankt Pauli dreckig war, ist und irgendwelcher “Kriminellen” sei dank auch bleibt.

Herzlichst
ein dezent desillusioniertes Lichterkarussell
(Blogger, weder selbster- noch sogenannt, sondern einfach so)

Schreibe ich und erhalte prompt eine SMS, das solle ich mal in mein eigenes Blog packen, das sei zu gut, um in einer Kommentarspalte zu versauern. Nagut.

Nur wenn ich das tue, dann muss ich auch andere Punkte ansprechen, denn das ist kein Blogbeitrag, das ist bloß ein Kommentar. So viel also, als zu lange Einleitung, hoffe der Hauptteil wird kürzer.

Worüber müssen wir also sprechen? Ein Thema ist die mediale Aufarbeitung des Geschehenen, da haben sich die Kollegen vom MagischenFC schon zu genüge abgearbeitet und auch von meiner Seite ist in form der obigen Zeilen mehr als nötig zum Thema beigetragen.

Denn wir müssen über Repression sprechen

Es ist der Dauerbrenner unter Fußballfans. Die Repression, die ihnen allenthalben entgegenschlägt. In erster Instanz natürlich von der Staatsmacht, ferner werden aber auch Anstoßzeiten, Verbände, Vermarktung, Fernsehen, usw. als böse Einflüsse auf ihre Kultur perzipiert. De facto üben all jene genannten Akteure, Institutionen und Faktoren tatsächlich einen Einfluss auf den Profifußball aus und tangieren damit natürlich direkt oder indirekt die Fans und ihre Belange.

„Man muß aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ausschließen, unterdrücken, verdrängen, zensieren, abstrahieren, maskieren, verschleiern würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches. Sie produziert Gegenstandsbereiche und Wahrheitsrituale: das Individuum und seine Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion.“ (Foucault: Überwachen und Strafen 1977, 250)

Es ist mitnichten so, dass der böse Repressionsapparat die armen kleinen Fußballfreunde in der Auslebung ihrer Kultur hindert, vielmehr ist es der Produktionsapparat der Macht, der Fußballfans die Rahmenbedingungen ihres Handelns und Seins definieren lässt, oder anders gesagt, die Fußballfankultur, wie sie vor den bösen Einflüssen von außen zu verteidigen sei, gäbe es in der (zu  verteidigenden) Form gar nicht ohne diese Einflüsse. Wir tun gut daran uns nicht als Opfer eines Herrschaftsapparates zu sehen, dem wir uns machtlos gegenüber finden und gegen den wir mit unseren „Bullenschweine“-Transparenten nicht im Ansatz etwas auszurichten im Stande sind. Stattdessen sollte sich die Selbstwahrnehmung viel mehr dahin verändern, dass wir uns als Teil eines komplexen Apparates verstehen, in dem Milieus kreiert werden, Delinquenz produziert wird, in dem der Widerstand der einen Gruppe einen normativen Effekt auf eine andere Gruppe hat. Wir müssen beginnen uns jener vielschichtiger Verflechtungen bewusst zu werden.

Denn wir müssen über Macht sprechen

Macht ist nicht das, was ein Präsident oder Vorstand von Polizei, Fußballbund, Ligaverband, Verein, Fernsehsender, etc. in seiner Schreibtischschublade liegen hat und bei bedarf gegen die bösen Chaoten, Fußballfans, Autonomen, Störer, Krawallos, unbescholtene Bürger oder sonst irgendwen herausholt und einsetzt um seine Interessen durchzusetzen und dem letztgenannte im Umkehrschluss machtlos gegenüberstehen, ihr ausgesetzt sind. Wäre das so, hätte es nicht eine Revolution gegeben oder, um nicht ganz in die großen Zusammenhänge zu gehen, gäbe es z.B. keinen Ständigen Fanausschuss, der sich mit dem Präsidium unseres Vereins trifft.

„Wo es Macht gibt, gibt es Widerstand. Und doch oder vielmehr deswegen liegt der Widerstand niemals außerhalb der Macht.“ (Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I 1983, 96)

Wenngleich Hannah Arendt einen etwas anderen Machtbegriff entwirft,

„Über Macht verfügt niemals ein Einzelner; sie ist im Besitz einer Gruppe und bleibt nur so lange existent, als die Gruppe zusammenhält“ (Arendt: Macht und Gewalt)

tun wir nicht schlecht daran ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass ganz gleich wessen Machtbegriff der Realität mehr entspricht, wir keineswegs macht- und einflusslos vor schier unlösbaren Problemen stehen, wobei mir der übergeordnete Fußballkontext das größere Problem zu sein scheint, als eventuelle szeneinterne Probleme.

Denn wir müssen über Gewalt sprechen

Wir wissen alle, dass es Gewalt bei Sankt Pauli immer gab und ich bin es, genau wie viele andere sicherlich auch, leid ständig irgendwem erklären zu müssen, dass linke Gegenkultur, wie sie am Millerntor in den 1980ern Einzug gehalten hat, nie frei von Gewalt stattfindet. Es scheint mir aber ein weit verbreitetes Phänomen, die Vergangenheit verklärt wahrzunehmen, was irgendwelche Hirnforscher ja auch zu Hauf erklärt haben. Es scheint mir auch der allgemeine Zeitgeist zu sein, Entwicklung als etwas Rückständiges, wie Rückschrittiges zu begreifen. Das Bild der Mönche, die einen Schritt vor und zwei zurück machen und sich im Anschluss die Bibel vor die Rübe ballern (Monty Pythons: Die Ritter der Kokosnuss), trifft doch ziemlich gut, wie sich ein Großteil der Menschen – oder der Menschheit gar – verhält bzw. entwickelt.

Wenngleich ich genug Leute kenne, die, genau wie auch ich selbst, bestimmten Auswüchsen und Phänomenen in und um unsere Fanszene kritisch gegenüberstehen, ist es viel zu leicht und viel zu kurz gedacht, die Lösung dessen in Distanzierungen oder Ausschlüssen zu suchen. Viele Aspekte der angesprochenen Phänomene stehen grundsätzlichen Werten unserer Fanszene diametral gegenüber. Mackertum, Sexismus, etc. sind keine Seltenheiten. Das ist der Grund, weswegen von einem Problem gesprochen werden kann. Die Frage die sich stellt ist doch, wie und ob, wir einer Lage Herr werden können, deren Ursachen vielschichtiger nicht sein können. Die Soziologen in meinem Freundeskreis hantieren mit Begriffen wie „anomischer Druck“, „Bildungsferne“, „Gewaltdynamik“, etc.. Will sagen, wir besitzen viele tolle Theorien, über das was da passiert, nur patente Lösungsmodelle zu entwickeln, um jenem reaktionären Einfällen von Ausschluss und Distanzierung etwas entgegenzusetzen fällt zunehmend schwer, jedoch widersprechen jene reaktionären Verlautbarungen den Werten unserer Fanszene ebenso und sind nicht minder als Problem zu benennen.

An dieser Stelle komme ich nicht weiter. Ein handfestes Echo auf polizeiliche Eingriffe in die Freiheit der Menschen finde ich schwerlich zu verurteilen. Ein Angriff auf eine leere Kneipe kann ich als Dummheit verurteilen, nur kann ich sie von ersterem trennen? Welche Rolle habe ich als Blogger, welche wir als Fanszene in Bezug auf diese Entwicklung? Was können und wollen wir dulden, was finden wir sogar gut und wo hört der Spaß auf? Es ist schwer darauf Antworten zu finden. Gewissheit besteht für mich lediglich in dem Punkt, dass mir pauschale Verurteilungen irgendeiner Handlung doch etwas zu tumb sind – dafür unterhalte ich mich zu oft und zu gerne mit den Soziologen unter meinen Freunden.

Wir können feststellen, dass unsere Probleme die Probleme unserer Gesellschaft ist, wir können feststellen, dass Macht eine komplexe Angelegenheit ist, wir können eine Utopie haben, in der Gewalt zwar existent ist, aber minimiert sein sollte, wir können, kurzum, vieles, nur können wir nicht mit Populismus die Probleme einer Gesellschaft lösen. Das können wir genauso wenig, wie die Politik. Zumindest können wir das nicht alleine. Das einzig kompetente Kollektiv, fähig diese Sachverhalte aufzulösen, scheint mir die Gesellschaft selbst.

Und daher ist der Text von den Kollegen beim MagischenFC Blog vielleicht doch ein Stoß in die richtige Richtung, denn letzten Endes geht es um ein Bewusstwerden, um ein Bewusstmachen gesellschaftlicher Prozesse und da spielen gerade die Medien der Masse eine entscheidende Rolle. Der Text wird nichts verändern, ich bleibe dabei, er ist bloß Balsam für die interessierte Fanseele. Er benennt aber zweifelsohne zentrale Akteure und damit eventuell einen der Schlüssel, zur Entwirrung gesamtgesellschaftlicher Probleme, deren Auflösung ich in so weiter Ferne sehe, weswegen ich desillusioniert aber nicht resigniert verbleibe, denn:

„Die Macht kommt von unten,[…]“ (Foucault: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I 1983, 115)