Eine Antwort an Jan Fleischhauer

Moin Jan Fleischhauer,
ich möchte mich bei Ihnen bedanken für Ihre heutige Kolumne bei SPIEGEL Online. Nachdem die Texte, sowohl in der Print- als auch in der Online-Ausgabe der Abiturienten-BILD, in letzter Zeit deutlich zu sehr meine Meinung getroffen haben, haben Sie sich ein Herz gefasst und das Zerrbild wieder gerade gerückt. Es darf einfach keinen SPIEGEL links von Helmut Schmidt geben.

Ich würde Ihnen ja sogar Recht geben, mit Ihrer These, dass die Gutmütigkeit, die Ihre (potentielle) Leserschaft an vielen Orten Geflüchteten entgegenbringt, schnell auch ins Gegenteil sich verkehren kann, wenn es nicht bei einer Zahnbürste extra beim Wocheneinkauf bleibt, sondern tatsächlich Einschnitte gemacht werden müssen. Wut- und Gutbürger waren sich immer schon näher, als manchen klar ist.

Ich hoffe Sie kommen damit klar, dass ich die Menschen Geflüchtete nenne. Ich weiß, Sie bevorzugen das tradierte „Flüchtling“, und Sie finden das auch gar nicht diskriminierend, nur definieren zum Glück nicht Leute wie Sie, wann sich jemand diskriminiert zu fühlen hat. Genauso wenig haben Sie zu entscheiden, ob ein Trauma real ist oder nicht. Ich frage mich (und Sie), Jan Fleischhauer, ist das eine Denkleistung, die Ihnen zu vollbringen so schwer fällt? Auch relativieren Sie den rassistischen Mob, der kurz davor war, ein zweites Lichtenhagen zu verursachen, mit Auseinandersetzungen zwischen Geflüchteten. Es kommen derzeit diverse Menschen zu uns, mit diversen Hintergründen und diversen Problemen und Konflikten – auch untereinander. Aber das stellen Sie dann auf eine Stufe mit den Gewaltexzessen hassverzehrter Nazifratzen?

Obendrein folgt dann Ihre absurde Conclusio, dass wir nämlich deswegen schneller, rigoroser und gründlicher die Spreu vom Weizen zu trennen und alle, die keine „echten“ Flüchtlinge sind, zurückschicken müssen. Schlichtweg dumm! Wir sollen also zum Beispiel Roma aus den Balkanstaaten, weil da ist es ja sicher, sagt irgendwer, abschieben, damit die Gutmütigkeit der Deutschen nicht zu schnell in Hass umschlägt, wie in Heidenau?

Und damit sind die Konflikte unter Geflüchteten gelöst und das Naziproblem lösen dann die 10bar aus dem WaWe10000. Der war aber nicht da in Heidenau, als eine unterbesetzte Polizei zwei Tage lang mit Mühe und Not die Wut des Mobs erlebte, ihn weitgehend gewähren lies. Erst die Antifaschist*innen, die dann am dritten Abend anreisten, um vor Krieg und Verfolgung geflohene Menschen vor dem Hass der dummen Deutschen zu schützen, bekamen das Waffenarsenal der Polizei zu spüren. Pfefferspray, Schlagstock, Wasserwerfer – Knochenbrüche, Haut- und Augenreizungen, Schürfwunden und Prellungen. Danke.

Heidenau, das wissen Sie, ist nicht überall. Heidenau, vor wenigen Wochen nannte man das wenige Kilometer entfernte Freital, ist aber an verdammt vielen Orten. Allein in der ersten Hälfte diesen Jahres gab es über 200 Übergriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten. Doch alles, was Ihnen dazu einfällt, ist das Problem klein zu reden und darauf zu drängen rigoroser abzuschieben, damit das soeben klein geredete Problem nur ein bisschen größer bleibt, als Sie es machen und nicht noch viel größer.

Mit Ihrer Argumentation liefern Sie dem Stammtisch Argumente, eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der wahrscheinlich größten humanitären Katastrophe seit dem zweiten Weltkrieg ist das aber nicht. Vermutlich wäre eine solche aber auch nicht zu erwarten. Sie sind schließlich bloß Schreiberling bei SPIEGEL Online, nicht etwa „echter“ Journalist. Ein „echter“ Journalist würde sich nicht die Blöße geben einen ganzen Absatz despektierlicher Äußerungen über Slogans der radikalen Linken und Fair Trade Kleidung zu verschenken.

Und deswegen, Jan Fleischhauer, sollte man ihren geistigen Abfall, ganz schnell, rigoros und gnadenlos ins Daten-Nirvana abschieben – denn dahin, wo er herkam, wird er wohl nicht zurückgehen.

Ciao!

Artikelbild: Jan Fleischhauer (Abbildung ähnlich) Foto von Oliver Hallmann auf Flickr; lizensiert unter CC-BY 2.0

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”