CC BY-NC-SA 2.0 by Corscri Daje Tutti! [Cristiano Corsini]

Politische Verbote in Stadionordnungen

(Beitragsbild: CC BY-NC-SA 2.0 von Corscri Daje Tutti! [Cristiano Corsini] auf Flickr)

Ursprünglich war dieser Blogpost von der Änderung der Stadionordnung bei Hertha BSC im Jahr 2013 und der sich daran anschließenden Diskussion inspiriert. Die Fertigstellung hat sich leider etwas hinausgezögert. Das Thema ist aber ohnehin ein Evergreen und hat zudem durch die Diskussion um die Gefahrengebiete in Hamburg, sowie die Mehr-oder-Weniger-Abschaffung der Extremismusklausel zusätzlich Aktualität erlangt.

Ersteres, weil in den Gefahrengebieten Menschen mit Hilfe bestimmter Profile eingestuft werden und sich daran entscheidet, ob eine polizeiliche Kontrolle stattfindet, oder nicht. Zuletzt waren es in Hamburg vermeintlich „linksextreme“, also schwarz gekleidete Menschen. Oftmals kommt aber auch Racial Profiling zur Anwendung, etwa wenn mal wieder Jagd auf Dealer gemacht werden soll. Bei vielen Stadionordnungen wird ein ähnliches Vorgehen festgeschrieben.

Aus diesem Grund können Personen, die vor allem ihrem äußeren Erscheinungsbild  nach in Zusammenhang mit ihrer politischen Einstellung den Eindruck einer extremen Haltung erwecken, von allen Veranstaltungen ausgeschlossen werden. Zum äußeren Erscheinungsbild zählt insbesondere eine typische Bekleidung mit themenbezogenen Schriftzeichen, bei denen verschiedene Zahlen bzw. Buchstabenkombinationen die Einstellung des Trägers deutlich machen oder bestimmte Marken, die als Erkennungsmerkmal dienen.
(Stadionordnung 1. FC Kaiserslautern)

Zweitens kommt die hinter der Extremismusklausel steckende Extremismustheorie im Fußball, und dort in den Stadionordnungen manifestiert, wohl mit am häufigsten zum Einsatz.

Im November, nachdem Hertha seine Stadionordnung geändert hatte, schrieb das Blog „Fußball gegen Nazis“ von einem negativem Beigeschmack der Novelle, denn neben rassistischem, rechtsradikalem etc. verbot man „politisches Propagandamaterial“ und „linksradikale Tendenzen“ direkt mit. Die Kritik des Blogs teile ich ausdrücklich, nur ist Hertha damit leider nur ein Verein unter vielen.

Insgesamt 22 Vereine aller 36 deutschen Profivereine haben einen Passus gegen linksextreme oder -radikale Tendenzen, Propagandamaterialien, Kleidungsstücke oder ähnliches in ihren Stadionordnungen. Immerhin 11 schließen allgemein politisch radikales oder extremes aus.

Kreisdiagramm Stadionordnungen mit Äußerung(en) gegen Linksextremismus
Kreisdiagramm Stadionordnungen mit Äußerung(en) gegen Linksextremismus (Stand: 03.02.2014)

Auf der anderen Seite sprechen sich 35 von ihnen gegen rassistisches, fremden- und ausländerfeindliches und rechtsextremes /-radikales Verhalten, Material, Auftreten, etc. aus. In jedem dieser Fälle ergänzt um die Erwähnung „diskriminierenden Verhaltens“, wodurch theoretisch auch alle gegen Homophobie, Sexismus, etc. sein müssten, aber Diskriminierung wird bekanntlich gerne nach Gutdünken ausgelegt. Statements gegen Homophobie und Sexismus, oder zumindest Spezifizierungen des Diskriminierungsbegriffs hinsichtlich Sexualität, Geschlecht und oder sexueller Identität haben immerhin 15 der 36 Vereine (übrigens auch Hertha, liebe „taz“, in §5).

Kreisdiagramm Stadionordnungen mit Äußerung(en) gegen Rechtsextremismus, Rassismus, etc.
Kreisdiagramm Stadionordnungen mit Äußerung(en) gegen Rechtsextremismus, Rassismus, etc. (Stand 03.02.2014)

„Kleidungsstücke zu tragen oder mitzuführen, deren Herstellung, Vertrieb oder Zielgruppe nach allgemein anerkannter Ansicht im rechtsextremen Feld anzusiedeln sind“ (Stadionordung FSV Mainz 05)

Die Kleidungsmarke „Thor Steinar“ haben neben Hertha noch 10 weitere Erst- und Zweitliga-Clubs namentlich verboten. In einigen Fällen wird neben „Thor Steinar“ auch „Consdaple“ erwähnt. Andere Vereine verzichten auf die Nennung bestimmter Kleidungsmarken und halten sich bewusst weiter gefasst, wie etwa der FSV Mainz 05.

Kreisdiagramm Stadionordnungen mit Äußerung(en) expliziter Erwähnung eines Verbots der Marke "Thor Steinar"
Kreisdiagramm Stadionordnungen mit Äußerung(en) expliziter Erwähnung eines Verbots der Marke „Thor Steinar“ (Stand: 03.02.2014)

Einzig der Karlsruher SC verzichtet auf jegliche Ausführungen über Diskriminierung, Links- oder Rechtsextremismus, Rassismus, etc. und belässt es beim Verweis auf die Freiheitlich demokratische Grundordnung:

Im Geltungsbereich dieser Stadionordnung ist es verboten:
a) Progagandamittel, deren Inhalt sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet, mitzuführen, zu verbreiten oder zur Schau zu stellen,
b) Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen oder Grußformen, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten, zu verwenden.
(Stadionordnung Karlsruher SC)

Als besonders eifrig staatstragend erweisen sich außerdem der FC Schalke und der SC Paderborn. Als einzige Vereine haben diese in ihren Stadionordnungen den Begriff des „Ausländerextremismus“ auf die Verbotslisten aufgenommen. Der diffus umrissene Begriff stammt aus dem Jargon deutscher Verfassungsschutzämter.

Es ist positiv zu vermerken, dass es heutzutage zur Selbstverständlichkeit gehört, sich deutlich von Rassismus und der extremen Rechten zu distanzieren. Insgesamt ist es aber erschreckend, dass sich offenbar über die Hälfte aller Vereine genötigt fühlen, der Extremismustheorie zu folgen und die Distanzierung von Nazis und Rassisten um die von „Linksextremisten“ zu ergänzen, so als seien diese eine ebensolche Gefahr für eine freie und liberale Gesellschaft. Dabei sind es oftmals die sogenannten „Linksextremisten“, die gesellschaftliches Engagement gegen Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie und andere Formen der Diskriminierung voranbringen. Sie werden mit Hilfe der Extremismustheorie kriminalisiert. Den diffusen Begriff des Linksextremismus in Stadionordnungen zu übernehmen, wie es zuletzt Hertha BSC Berlin getan hat, führt die Passagen gegen jedewede Diskriminierung und rassistische Umtriebe ad absurdum. Die blinde Übernahme des Begriffs „Ausländerextremismus“ spricht überdies für sich.

Den dahinterstehenden Geist bringt die Stadionordnung des VfL Bochum wohl am besten auf den Punkt. Dort heißt es:

(4) Es ist insbesondere untersagt:
[…]
10. (…) sich politisch (…)  zu verhalten;

Aber atmen ist ok, ja?

Update 03.02.2014 // Übersicht

Die Analysedaten erlauben folgende Übersicht:

Verbot von:
-(R) Rechtsextremem, rassistischem, etc.
-(L) Linksextremem
-(P) Politisch extremem
-(T) Thor Steinar
-(AS) Antisemitschem
-(H) Homophobem
-(S) Sexistischem
-(A) Ausländerextremistischem

R (35): DFB, Bayern, Leverkusen, Dortmund, Gladbach, Wolfsburg, Schalke, Mainz, Hertha, Stuttgart, Augsburg, HSV, Werder, Hannover, Hoffenheim, Eintracht Frankfurt, Freiburg, Nürnberg, Braunschweig, Köln, Fürth, Kaiserslautern, Union, St. Pauli, Paderborn, 1860, Sandhausen, Düsseldorf, Bochum, Aalen, FSV Frankfurt, Ingolstadt, Bielefeld, Aue, Dresden, Cottbus,

L (22): Bayern, Leverkusen, Dortmund, Gladbach, Wolfsburg, Schalke, Hertha, Hoffenheim, Freiburg, Nürnberg, Braunschweig, Kaiserslautern, Paderborn, 1860, Sandhausen, Düsseldorf, Aalen, FSV Frankfurt, Ingolstadt, Bielefeld, Dresden, Cottbus,

P (11): Gladbach, Schalke, HSV, Fürth, Kaiserslautern, Union, Paderborn, Sandhausen, Bochum, Aalen, FSV Frankfurt,

T (11): Leverkusen, Dortmund, Wolfsburg, Hertha, HSV, Werder, Hoffenheim, Braunschweig, Düsseldorf, Bielefeld, Cottbus,

AS (11): Bayern, Dortmund, Wolfsburg, Schalke, Braunschweig, Union, Paderborn, 1860, Sandhausen, Bielefeld, Dresden,

H (15): Bayern, Dortmund, Wolfsburg, Mainz, Hertha, HSV, Werder, Hannover, Braunschweig, Kaiserslautern, Union, St. Pauli, 1860, Bielefeld, Cottbus,

S (13): Bayern, Leverkusen, Dortmund, Mainz, Hertha, HSV, Werder, Hannover, Braunschweig, Kaiserslautern, St. Pauli, 1860, Cottbus,

A (2): Schalke, Paderborn

Nicht aufgeführt: Karlsruher SC – Verweis auf FDGO

Die gesamte Übersicht hier zum Download: Stadionordnungen PDF

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”