Das neue Mekka der Durchschnittsversager

Frei.Wild verliert Nominierung zum ECHO und es kann ihnen scheißegal sein

Das war’s. Die Deutsche Phonoakademie hat die ECHO-Nominierung von Frei.Wild zurückgezogen. Zuvor hatten Kraftklub und MIA ihre Nominierung zurückgewiesen, die Ärzte haben unterstrichen, dass sie ja eh nie kommen, dieses Jahr aber noch weniger und die Toten Hosen schlugen die Einführung der Kategorie “Rechte gegen Nazis” vor. Über das Problem mit Frei.Wild wurde viel geschrieben, daher verlinke ich hier nur die zwei in meinen Augen herausragenden Auseinandersetzungen mit der Band und deren Label / Umfeld. Diskussionen mit den scheißstürmenden Fans der Deutschlandpatrioten aus Norditalien sind so aussichtsreich, wie Nachtwanderungen im Nebel. Das Frei.Wild-Fankommentar-Bullshit-Bingo fasst die sich ewig wiederholenden Phrasen treffend zusammen.

„Um zu verhindern, dass der ECHO zum Schauplatz einer öffentlichen Debatte um das Thema der politischen Gesinnung wird (…)“

Der Grund für die Denominierung von Frei.Wild könnte schwächer aber kaum ausfallen. Da man den ECHO nicht als Plattform für eine Debatte um politische Gesinnungen sehen möchte, schließt man Frei.Wild aus. Das Gegenteil wäre richtig gewesen, WEIL man eine Debatte um das Thema der politischen Gesinnung führen muss, schließt man Frei.Wild aus, denn sie vertreten eine Gesinnung, die man nicht hinnehmen kann und die öffentlich geächtet gehört. Das ist der Stoff aus dem gute Stellungnahmen sind. Doch die Musikindustrie gibt sich lieber “Wischiwaschi” und schert sich vor allem ums Image und den reibungslosen Ablauf.

Die Südkurve Sankt Pauli bringt es auf den Punkt. Foto: USP
Die Südkurve Sankt Pauli bringt es auf den Punkt. Foto: USP

Doch unabhängig davon braucht Frei.Wild den ECHO nicht. Das unterstreicht nicht zuletzt die renitente Haltung der Frei.Wild-Jünger. Die Band sieht sich bekanntlich in den Fußstapfen der Böhsen Onkelz. Einer Band, die sich nur bedingt von ihrer nationalistischen und rassistischen Vergangenheit distanzierte und über den Soundtrack für den Ottodurchschnittsversager nie hinaus kam. Das mussten die Frankfurter Deutschrocker aber auch nicht, denn die Sauf-, Gröhl- und Selbstmitleidskultur, die die einfache Musik und die Texte der Band bedienten war ausreichend weit verbreitet, um zum Abschluss ihrer Karriere am Lausitzring vor 120.000 ihrer Fans zu spielen, die sich ehrfürchtig vor der Bühne zu Boden schmissen, als sei die Kapelle ihr Mekka.

Phillip Burger und seine Bandkollegen füllen die Fußstapfen der Onkelz hinsichtlich der Fanbase noch nicht ganz aus, die Klumpfüße wachsen aber. In Punkto Nationalismus übertrumpfen sie die Onkelz um Längen und auch ihre Distanzierungen fallen noch dünner aus. Trotzdem fällt die nationalistische Saat aus Südtirol auf fruchtbaren deutschen Boden – Scheiße im Kopf ist eben ein guter Dünger. Da es spätestens seit der WM 2006 hierzulande wieder en vogue ist dem “guten” Patriotismus zu frönen, forciert durch Politik, Medien etc., kann die Band mit ihrer vermeintlich unpolitischen Heimatliebe jugendliche Herzen im Sturm erobern. Endlich spricht eine Band aus, was so viele von ihnen schon so lange dachten, dass sie doch nämlich nichts dafür könnten, was die Großeltern taten und, dass auch sie stolz auf ihre Heimat sein dürften, wie andere Kids in anderen Ländern ganz natürlich auch.

Eine Sichtweise, die auch die Band MIA vertritt. Vor Jahren wurden sie auch in der politischen Linken noch gefeiert doch gerieten dann in die Kritik. In ihrem Song “Was es ist” besingt die Band eine positive Neuinterpretation der deutschen Identität. Die Farben der Fahne sollen mit positiven Werten verknüpft werden. Doch guten Patriotismus und bösen Nationalismus zu unterscheiden ist eine rein politische Parole und wissenschaftlich kaum haltbar, meinen unter anderem Wilhelm Heitmeyer und Christoph Chors. Beide Begriffe können letztlich synonym verwendet werden. Daher ist es zwar ehrenhaft, dass MIA mitteilen, dass sie das Weltbild von Frei.Wild ankotze, nur darf nicht vergessen werden, dass auch das von ihnen propagierte Weltbild seinen Teil zum Erfolg der Band Frei.Wild beiträgt. Das mag man nun wahrhaben wollen oder nicht.

Frei.Wild ist strukturell mit ihrem eigenen Label und daran angeschlossenen weiteren Bands so gut aufgestellt, dass sie längst ohne Support irgendwelcher Preise oder Festivals auskommen. Bisweilen hilft ihnen die (absolut erfreuliche und wünschenswerte) gesellschaftliche Ächtung sogar, ihrer Opferrolle zu frönen und sich idiotischen Verschwörungstheorien gegenüber der “scheiß Medien” oder “Gutmenschen” hinzugeben. Die Band spielt nicht mehr in kleinen Dorfclubs vor 200 Leuten sondern füllt große Stadthallen und sie sind eben für den ECHO nominiert gewesen, weil sie ihr neues Album über 100.000 mal verkauft haben.

Der Zug Frei.Wild ist abgefahren und nicht mehr aufzuhalten. Mit Pech spielen auch sie irgendwann vor 120.000 Leuten auf einem eigenen Konzert. Ganz ohne Festivals und Musikpreise. Das hängt allein davon ab wie hoch die Arschlochquote hierzulande ist und ich befürchte Schlimmstes. Dennoch gilt es natürlich Frei.Wild jederzeit das Geweih zu stutzen.

Nationalismus ist Kotzescheiße!

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”