Angst essen Bratwurst auf

von Morten Tailor und Hugo Kaufmann

Dieses Wochenende startet für die 1. Bundesliga die Rückrunde, die 2. Liga beendet ihre Winterpause zwei Wochen später, am ersten Februar Wochenende. Pünktlich dazu vereinen sich die TV-Partner der Bundesliga zu einer Initiative, um sich in die zuletzt geführte Debatte um mehr Stadionsicherheit einzumischen. Sie stützen sich dabei auf Daten, die besagen, die Gewaltbereitschaft in den Stadien sei gestiegen. Wenn auch nicht spezifiziert wird, um welche Daten es sich handeln soll, ist davon auszugehen, dass es sich um die Zahlen der ZIS handelt, die ja bereits zu genüge kritisiert wurden. In der Realität ist es eher so, dass Stadien in Deutschland so sicher wie nie und wie keine andere Massenveranstaltung sind. Eine Feststellung die sich im Eindruck der Stadiongänger widerspiegelt.

Die Quotenjäger von Sky über Sport1 bis zu den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten stört das natürlich herzlich wenig und so produzierten sie einen gemeinsamen Trailer, der die realitätsfernen Wunschträume eines Sportfernsehproduzenten des 21. Jahrhunderts abbildet: Fankurven frei von Pyrotechnik, stattdessen steht und sitzt friedlicher, wohlsituierter, weißer  Mittelstand gemeinsam in der Kurve. Dass dort die Fahnen von mehr als zehn Vereinen auf gerademal zehn Quadratmetern einer Fankurve wehen gilt dem Fernsehfreund von heute wohl eher als Bereicherung, denn als irgendwie merkwürdig anmutendes Bild.

Die ausgeklügelte Bildsprache des Trailers weiß zu überzeugen. Die eröffnete Gleichung lautet: 100% das Spiel + 0% Rauchentwicklung + 0% Schlagstock + 0% Angst = 100% das Spiel + 0% Gewalt.

Schlagstöcke: Neben Pfefferspray größter Gewaltfaktor in deutschen Stadien

Natürlich muss in der bunten Traumwelt der Medienmacher niemand Angst vor Schlagstöcken oder Qualm haben. Pyrotechnik mitzubringen wird dem vom Sofa ins Stadion gebeamten Skyfan auch nicht einfallen und Polizei in Stadien wird natürlich obsolet. In der Realität hat aber auch jetzt schon kaum jemand Angst und Rauchentwicklung ist nur unter einem enorm ausgeweiteten Gewaltbegriff als solche zu begreifen. Insofern erkennen die Fernsehsender schon ganz richtig, dass die größte Gefahr im Fußballstadion derzeit von der Polizei ausgeht.

„Sieh mal“, hätte ich ihm sagen sollen, „wenn sie zu Hause ein ganz normales Ligaspiel bestreiten, habe ich solche Angst, dass sie verlieren, dass ich unfähig bin, zu denken oder zu sprechen, ja manchmal selbst zu atmen.

Diese Worte stammen vom meist zitierten Autoren, wenn es um die Zusammenhänge zwischen Fußball, Fans und Kultur geht: Nick Hornby. Ob er sich von den Initiatoren der Kampagne helfen lassen würde? Denn mit der Angst wird eine „Befindlichkeit“ ins Spiel gebracht, die als solche überhaupt nicht zu verifizieren ist. Wer hat in den Stadien Angst? Und wovor? Sowohl Hornby, als auch andere Fans im Stadion oder vor dem Fernseher haben tendenziell Angst davor, dass ihr Team verliert, sich ein wichtiger Spieler verletzt oder die Konkurrenz um die sportliche Eigenzielsetzung tabellarisch enteilt. Angst ist ein ständiger Wegbegleiter eines Fußballfans. Nur bei Sicherheitsfragen ist sie selten ein Faktor. Nicht mehr heutzutage.

Was aber veranlasst überhaupt die TV-Sender zu einer solchen Initiative? 100% Angst eventuell. Angst davor, in einer für ihr „Produkt“ maßgeblichen Debatte, nicht mitreden zu dürfen. Nach den Protesten unter dem Motto „12:12 Ohne Stimme keine Stimmung“ haben Fanvertretungen und Deutsche Fußball Liga zu einem Dialog zusammen gefunden. Das Fernsehen spielt in diesem Dialog erst mal keine Rolle. Sie braucht es wirklich nicht, um die Debatte zu versachlichen, wie sie es vollmundig und doch schaumschlägerisch ankündigen.

Dieses Kind hat eventuell Angst, dass Sankt Pauli verliert. Das passiert häufiger.

Es ist natürlich vollends geheuchelt, wenn sich nun gerade die Fernsehsender hinstellen und den Fans eine Stimme geben wollen. Diese Stimme haben die Fans bereits, das haben eben die Proteste bewiesen. Auch wenn nicht alle Vereine sich an die Mitgliedervoten gehalten haben bezüglich der Abstimmungen bei der Jahreshauptversammlung des Ligaverbands, ist sehr deutlich geworden, dass Fans heute mehr sind als bloße Staffage.

Die Annahme bzw. die Behauptung die Fans, die gegen Gewalt sind bräuchten eine Stimme, impliziert jedoch, dass die Fans, die derzeit gehört werden eben nicht gegen Gewalt sind. Dass Fans grundsätzlich wahrgenommen werden, wissen auch die Fernsehsender, sie haben doch die Proteste kommentiert und aufgegriffen. So wird die Initiative die jüngsten Fanproteste ungerechtfertigter weise in eine strukturelle Nähe von Gewaltbefürwortung gerückt und ein Keil zwischen Fans getrieben.

Die Rolle der TV-Sender ist dabei eigentlich ganz klar: Medien sind nicht (nie!!) an einer Versachlichung interessiert. Es geht darum, das Produkt Bundesliga weiterhin gut vermarkten zu können. Dafür brauchen die Medien Bilder, die sie sich zur Not selber schaffen. Um es überspitzt zu sagen: Würde Pyro dazu führen, dass 800.000 Menschen Sky-Decoder kaufen, dann würden die Kameras bei jedem Spiel minutenlang auf brennende Blöcke halten. Doch brennende Blöcke sind derzeit nicht en-vogue. Sie wurden durch unsachliche Beiträge von Politikern, Funktionären und natürlich Medienmachern in Verruf gebracht.

Starke Rauchentwicklung im Gästeblock. Im modernen Millerntorstadion kann der Rauch kaum abziehen.

Auf Stammtischniveau kotzt sich der gemeine Deutsche, der noch nie ein Fußballstadion von innen gesehen hat, über die gefährlichen und gewalttätigen Praktiken der Fankurven aus und wünscht sich eitel Sonnenschein. Die Zuschauerstruktur in Stadien soll sein, wie die Besucherstruktur in modernen Innenstädten. Die Menschen sollen zu Besuch kommen, sich artig benehmen und in der geleckten Arena / Einkaufsmeile keinen Dreck machen. Nur zu Hause soll dort niemand sein. Ein Wunschtraum, der der Utopie eines Fußballfans ferner nicht sein könnte. Sein Platz im Stadion ist sein Wohnzimmer, wo es auch mal dreckig sein kann und wo ein paar Kerzen zu mehr Gemütlichkeit führen.

P.S.:
Publikative hat sich diesem Thema ebenfalls angenommen. In gewohnt kenntnisreicher, eloquenter und nachvollziehbarer Argumentation geht Nicole Selmer auf die Initiative und den entsprechenden Trailer ein. Der moralisierende Unterton schmälert den Wert ihrer Arbeit zwar, ist aber noch irgendwie zu ertragen. Warum jedoch die Opfer des Nationalsozialismus und die Befreiung von Auschwitz für Nicole Selmers Kritik am Einmischen der TV-Sender in die nervige und eigentlich unnötige Debatte um Stadionsicherheit herhalten müssen, erschließt sich uns nicht im Ansatz.

Veröffentlicht von

Hugo Kaufmann

Geboren nahe einem Bauernhof in Norddeutschland wuchs Hugo in ländlicher Idylle auf. Von der Ruhe genervt zog er mit Anfang 20 in die weite Welt hinaus, getrieben von dem Ziel fortan an jeder etwas größeren Revolution teilzunehmen. Letztlich strandete er in Hamburg, wo der FC Sankt Pauli sein Revolutionsersatz wurde. Er glaubt weiter an das schöne Leben in der klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, weiß aber, mit Sankt Pauli wird das nicht erreicht. Es folgte die Flucht in digitale Welten, wo er das Lichterkarussell im alkoholisierten Überschwang “erfand”. Fehlende Ahnung wird seither mit exzessivem Fremdwortgebrauch zu kaschieren versucht. Halbwegs gebildete Menschen durchschauen das natürlich sofort. Motto: “Auch wenn alle meiner Meinung sind, können alle unrecht haben.”